Ärztinnen schätzen ihre Karrierechancen schlechter ein

Frau schaut in die Ferne

Der einstige Männerberuf Arzt ist schon lange keine reine Männerdomäne mehr. Mittlerweile stellen Frauen mehr als die Hälfte unter den jungen Ärzten. Und in den Medizinstudiengängen wird mittlerweile über eine Männerquote nachgedacht. Umso erstaunlicher sind die Ergebnisse von Befragungen, die der Hartmannbund unter seinen Mitgliedern kürzlich durchgeführt hat.

Der Verband, in dem immerhin mehr als 70.000 Mediziner organisiert sind, wollte von seinem weiblichen Nachwuchs wissen, wie sie ihre Karrierechancen einschätzten? Fast 3.000 Ärztinnen und Medizinstudentinnen machten mit. Aber nur 13 Prozent der Befragten glaubt auch, dass sie die gleichen Karrierechancen haben werden wie ihre männlichen Kollegen. Weitere 20 Prozent vermuteten ein zögerliches Vielleicht. Und ganze zwei Drittel der befragten Medizinerinnen gaben an, dass sie glaubten, es schwerer zu haben.

Am hinderlichsten halten die Medizinerinnern demnach die Unvereinbarkeit von Familie und Beruf im Arztberuf für ihren eigenen Karriereverlauf. Fast 92 Prozent der Befragten sind der Meinung, dass Teilzeitarbeit besonders für Frauen in der Medizin noch eine Herausforderung darstellt. Nichtsdestotrotz können sich 87 Prozent vorstellen, eine Weile in Teilzeit zu arbeiten. Allerdings glauben auch 45 Prozent der befragten jungen Frauen, dass sie als Ärztinnen eher auf Familie verzichten müssten, wenn sie die Karriere voll durchziehen wollten.

Ärztinnen planen Karriere vorsichtiger

Entsprechend verhalten sind die Karrierepläne der jungen Medizinerinnen: Jede Zweite möchte als angestellte Ärztin in einer Klinik arbeiten. Nur jede Dritte kann sich eine eigene Praxis vorstellen. Und nicht einmal zehn Prozent wollen Chefärztin werden. Die mesisten gehen davon aus, dass sie als Frauen sowieso nicht in diese Position kommen.

Frappierend, wie ich finde. Eine weitere Befragung des Hartmannbundes unter 1.248 angestellten Ärzten kommt zu dem Ergebnis, dass fast dreiviertel der Mediziner die Erfahrung gemacht haben, dass Teilzeit der Karriere schade. Und eine weitere Umfrage unter Assistenzärzten aus dem Jahr 2012 zeigt, wie stark die zeitliche Belastung ist. Demnach können mehr als die Hälfte der Mediziner ihre Arbeitszeit nicht einhalten. Das hat natürlich Auswirkungen auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Zwar gibt immerhin jeder zweite Assistenzarzt und 80 Prozent der Assistenzärztinnen an, dass sie sich eine Teilzeittätigkeit vorstellen könnten, am liebsten wäre den jungen Ärzten aber ein Stundenmodell, das über der klassischen 50-Prozent-Stelle liegt. Daran mangelt es in vielen Kliniken allerdings noch. Und auch an Möglichkeiten der Kinderbetreuung. Mehr als zwei Drittel der Befragten klagt darüber, dass es entweder kein Kinderbetreuungsangebot gebe oder kein Platz verfügbar sei.

Und die befragten Ärztinnen, die bereits Kinder haben, berichten in der Umfrage davon, dass wenig Rücksicht auf ihre Schwangerschaft genommen wurde. Nur 15 Prozent sagten, dass sie als Schwangere die vorgeschriebenen Pausenzeiten einhalten konnten. Jede Zweite hatte als werdende Mutter keine Möglichkeiten zur Weiterbildung. Und 11 Prozent sagten sogar, dass sie eine bestehende Schwangerschaft ihrem Arbeitgeber nicht mehr mitteilen würde. Der Hartmannbund hatte 900 Assistenzärzte befragen lassen.

Tina Groll

Tina Groll, SPIEGEL-Bestsellerautorin und Redakteurin bei ZEIT ONLINE im Ressort Politik & Wirtschaft, konzentriert sich als Autorin von WIR SIND DER WANDEL auf Arbeitsmarkt-, Sozial- und Gesundheitspolitik. 2008 zeichnete sie das Medium Magazin als eine der “Top 30 Journalisten unter 30 Jahren” aus. Sie ist Mitglied im Deutschen Presserat und Vorsitzende der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union.