690 Milliarden Euro weniger Bruttowertschöpfung, 2,5 Millionen verlorene Arbeitsplätze, Krankenhäuser ohne Ärzt:innen und Pflegekräfte, ein Staat, der wegen 181 Milliarden Euro Steuereinnahmen zahlungsunfähig wird – so sähe Deutschland unter einer AfD-Regierung aus.
Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) hat diese Szenarien im Auftrag des Bündnisses “Vielfalt der Zukunft” untersucht. Dem Bündnis gehören zahlreiche deutsche Konzerne und Wirtschaftsverbände an. Wenige Tage vor der Bundestagswahl warnen Wirtschaftsvertreter:innen vor den ökonomischen Risiken eines weiteren Erstarkens der AfD. Sie sehen in deren Plänen eine Bedrohung für Wohlstand, Wachstum und Stabilität – trotz der im Wahlprogramm angekündigten Steuerentlastungen.
“Die wirtschaftspolitischen Ideen der AfD sind für die Wirtschaft schädlich und würden in der Umsetzung einen massiven Wohlstandsverlust bedeuten”, sagt Hildegard Müller, Präsidentin des Verbands der Automobilindustrie. Die Partei sei innovationsfeindlich – “sei es bei der Elektromobilität oder den erneuerbaren Energien. Wer den Klimawandel leugnet und Zukunft nicht als Chance versteht, besiegelt den langfristigen wirtschaftlichen Abstieg.”
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AfD-Konzepte stoßen auf Ablehnung
Weder die geplanten Steuersenkungen von 181 Milliarden Euro noch die Rentenerhöhungen, der angestrebte Euro-Ausstieg, die Migrationspolitik oder Energiepolitik der AfD überzeugen die Wirtschaft. In der Energiepolitik setzt die Partei auf den Abbau von Windrädern, die Rückkehr zur Kernenergie und die Reparatur von Nord Stream 2 – kombiniert mit Abgaben- und Steuerentlastungen. Laut IW-Gutachten sehen 67,2 Prozent der Unternehmen darin ein Risiko, nur sieben Prozent erkennen Chancen.
“Der von der AfD proklamierte Ausstieg aus der Windenergie würde Deutschland mit aller Härte treffen”, warnt Ingrid Rieken, Personalvorständin bei MAN Energy Solutions. Das Unternehmen mit Sitz in Augsburg stellt Großdieselmotoren und Turbomaschinen her und entwickelt Technologien für die Abscheidung und Speicherung von CO2 sowie Großwärmepumpen. Von den rund 15.000 Beschäftigten weltweit arbeiten allein am Firmensitz in Augsburg Menschen aus über 80 Nationen. Die Migrationspolitik der AfD schadet dem Wirtschaftsstandort Deutschland schon jetzt, so Rieken. Der Konzern sei auf qualifizierte Zuwanderung angewiesen, da der Personalbedarf aus dem Inland nicht gedeckt werden könne.
Scharfe Kritik aus der Wirtschaft
Auch Reinhard Lüken, Hauptgeschäftsführer des Verbands für Schiffbau und Meerestechnik, zeigt sich besorgt. Deutschlands Wohlstand hänge stark vom Export ab, der jeden vierten Arbeitsplatz sichere. Viele der weltweit rund 100.000 Containerschiffe oder deren Technik stammen aus Deutschland. Zudem müsse die Flotte modernisiert werden, um den CO2-Ausstoß zu senken – ein großes Potenzial für den deutschen Schiffbau. Auch bei der Offshore-Energie sei Deutschland vorne mit dabei – eine große Wachstumschance. Doch die AfD wolle Offshore-Anlagen abreißen und nicht weiter fördern. Für Verbandschef Lüken sind das Vorschläge aus der Vergangenheit – “Schwachsinn”, sagt er.
Der Digitalverband Bitkom, dem 2.200 Unternehmen angehören, warnt ebenfalls. “Deutschlands digitale Wirtschaft wird massiv beschädigt, wenn das Programm der AfD und die Ankündigungen ihrer Vertreterinnen und Vertreter umgesetzt würden”, sagt Fabian Zacharias aus der Bitkom-Geschäftsleitung. Besonders in Ostdeutschland hätten Arbeitgeber der Digitalwirtschaft schon jetzt Probleme, Fachkräfte zu finden. Die hohen Zustimmungswerte dort schrecken nicht nur ausländische, sondern auch inländische Fachkräfte und Investor:innen ab. Zudem fürchten viele Unternehmen, dass die Politik der AfD den Kurs der demokratischen Parteien beeinflusst. Zacharias fordert, dass sich die Mitte weniger von den Rechtsextremen treiben lässt. Doch die Analysen zeigen, dass selbst linke Parteien durch das Erstarken der AfD nach rechts gerückt sind.
Wirtschaftliche Folgen der “Remigration”
Das IW-Gutachten beziffert den volkswirtschaftlichen Schaden, den eine von der AfD propagierte “Remigration” anrichten würde: Ohne Zuwanderung gäbe es kein Beschäftigungswachstum mehr. Schon heute erwirtschaften die 6,7 Millionen ausländischen Beschäftigen 13,2 Prozent der Bruttowertschöpfung. Rechnet man vor- und nachgelagerte Effekte hinzu, steigt ihr Anteil auf 16,9 Prozent – das entspricht einer Wertschöpfung von 648 Milliarden Euro. Besonders in Ostdeutschland hat die Zuwanderung die Wirtschaft gestärkt. Ohne sie hätte es dort in den vergangenen Jahren keine Zuwächse bei sozialversicherungspflichtigen Jobs gegeben. „Die AfD ist nicht nur eine Gefahr für den Standort, sondern sie vergiftet auch den Diskurs“, sagt IW-Studienautor Knut Bergmann.
Für die Studie analysierten die IW-Forschenden die Wahlprogramme der AfD und befragten 2.700 Unternehmen zu deren Wirtschaftspolitik. Zudem flossen Daten aus dem IW-Zukunftspanel ein, einer seit 2006 laufenden Befragung von fast 1.000 Unternehmen zu wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen.