Immer mehr Unternehmen holen erfahrene Kräfte zurück, die das Rentenalter überschritten haben. Laut neuer WSI-Studie punkten Ruheständler mit Wissen, Motivation und Flexibilität – und werden so zu unverzichtbaren Stützen des Erfolgs.
Kernaussagen der Studie:
– 55 % der Betriebe beschäftigen Rentner:innen oder Pensionär:innen.
– 83 % der Ruhständler bleiben ihrem bisherigen Unternehmen treu.
– 85 % setzen ihre frühere Tätigkeit fort.
– 75 % arbeiten in Minijobs, 47 % ausschließlich.
– Hauptmotive: Wissenserhalt (86 %), freiwillige Weiterarbeit (89 %), Fachkräftemangel (56 %).
– Anpassungen betreffen vor allem die Arbeitszeit, selten die Aufgaben.
Immer mehr Unternehmen setzen auf erfahrene Kräfte jenseits der Rentengrenze. Was früher die Ausnahme war, ist heute Alltag: Über die Hälfte der mitbestimmten Betriebe und Dienststellen in Deutschland beschäftigen Rentner:innen. Das zeigt die neue WSI-Studie „Arbeiten im Ruhestand“ der Hans-Böckler-Stiftung (https://www.wsi.de/de/faust-detail.htm?produkt=HBS-009260) – die erste umfassende Analyse aus betrieblicher Sicht. Ihr Fazit: Der Ruhestand ist kein Endpunkt mehr, sondern ein flexibles Arbeitsmodell, getragen von Erfahrung, Motivation und wirtschaftlichem Nutzen.
55 Prozent der Betriebe und Dienststellen beschäftigen heute Ruheständler. Ihr Anteil an der Belegschaft liegt im Schnitt bei einem Prozent – in kleinen Betrieben oft höher. Unternehmen mit weniger als 50 Mitarbeitenden kommen auf fast vier Prozent, während Großbetriebe mit über 500 Beschäftigten nur 0,7 Prozent erreichen.
Das zeigt: Arbeiten im Ruhestand ist vor allem ein Phänomen kleiner und mittlerer Betriebe. Dort zählen persönliche Bindung, Fachwissen und Flexibilität mehr als starre Strukturen. Besonders stark ist der Trend in Dienstleistungsbranchen – von Bildung über Gesundheit bis zu unternehmensnahen Services.
Wissen zählt – nicht der Preis
Warum setzen Betriebe auf ältere Mitarbeitende? 86 Prozent der befragten Betriebs- und Personalräte nennen den Erhalt von Wissen und Fähigkeiten als Hauptgrund. Erfahrung bleibt das wichtigste Kapital. Fast ebenso häufig nennen sie den Wunsch der Ruheständler selbst: 89 Prozent der Unternehmen ermöglichen ihnen die Weiterarbeit, weil sie es wollen. Erst mit Abstand folgen praktische Gründe wie flexible Einsatzmöglichkeiten (56 %) oder der Fachkräftemangel (57 %). Kostenvorteile spielen kaum eine Rolle – nur jedes fünfte Unternehmen sieht darin ein Argument. Die Botschaft ist klar: Es geht nicht um billige Arbeitskraft, sondern um Kompetenz, Kontinuität und gegenseitigen Nutzen.
Drei Viertel der Betriebe setzen Ruheständler in Minijobs ein, fast die Hälfte ausschließlich. Besonders verbreitet ist das im Handel, Verkehr und Gastgewerbe, wo über 50 Prozent der Unternehmen ausschließlich Minijobs vergeben. Der öffentliche Dienst hingegen nutzt häufiger reguläre Teilzeitverträge.
Die Zahlen zeigen: Für viele Rentner:innen ist der Minijob keine Ersatzbeschäftigung, sondern eine selbstbestimmte Erwerbsform im reduzierten Umfang. Er bietet Flexibilität und hält den Kontakt zum Berufsfeld.
Kontinuität statt Neuanfang
83 Prozent der Betriebe beschäftigen Menschen weiter, die schon vor ihrem Renteneintritt dort tätig waren. In Großbetrieben liegt der Anteil noch höher. 85 Prozent dieser Beschäftigten üben im Ruhestand dieselbe Tätigkeit aus wie zuvor. Das zeigt: Es geht weniger um neue Rollen als um den Erhalt bewährter Expertise. Besonders in wissensintensiven Branchen oder Handwerksbetrieben sichern diese Arbeitsverhältnisse das Erfahrungswissen und helfen, Nachfolgelücken zu schließen.
Trotz der Wertschätzung unterscheidet sich die Arbeitssituation der Ruheständler kaum von der regulären Belegschaft. Nur in einem Punkt gibt es klare Anpassungen: 79 Prozent arbeiten mit reduzierter Stundenzahl. Arbeitsinhalte und Verantwortung bleiben meist unverändert.
Viele Betriebe verzichten auf Nacht- oder Schichtarbeit (58 %) und gewähren freie Zeiteinteilung (54 %). Geistig weniger fordernde Aufgaben oder reduzierte Verantwortung sind jedoch die Ausnahme. Kurz: Wer arbeitet, bleibt ein vollwertiges Teammitglied – aber mit selbstbestimmtem Umfang.
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Erfahrung trifft Flexibilität
Die Studie zeigt: Arbeiten im Ruhestand ist kein Randphänomen, sondern Teil moderner Personalstrategien. Sie verbindet betriebliche Notwendigkeit mit individueller Freiheit. Für Unternehmen bedeutet das: Wissen bleibt erhalten, Fachkräftelücken lassen sich schließen, Kundenbeziehungen bleiben stabil. Für Beschäftigte: Sie bleiben aktiv, eingebunden und anerkannt – ohne den Druck einer Vollzeitstelle.
Die Politik setzt auf neue Anreize wie Steuerfreiheit bis 2.000 Euro monatlich und erleichterte befristete Wiederbeschäftigung beim bisherigen Arbeitgeber. Doch die WSI-Daten zeigen: Diese Maßnahmen gehen an der Realität vorbei. Schon heute funktioniert der Markt für Arbeit im Ruhestand – ohne zusätzliche Bürokratie.
Die Gefahr: Neue Sonderregeln könnten einen zweiten Arbeitsmarkt schaffen – mit weniger Schutz und niedrigeren Löhnen. Ein steuerlich geförderter Kombilohn für Ältere würde nicht nur Rentner:innen treffen, sondern auch Druck auf reguläre Beschäftigung ausüben.
Der neue Wert des Alters
Der Report widerlegt das Klischee, ältere Beschäftigte ließen sich nur mit hohen Anreizen gewinnen. Die Realität: Sie arbeiten, weil sie wollen – nicht, weil sie müssen. Betriebe profitieren, wenn sie diese Motivation ernst nehmen, flexible Modelle anbieten und altersgerechte Arbeitsbedingungen schaffen. Das beginnt mit klaren Rollen, planbarer Arbeitszeit und Respekt vor dem Erfahrungswissen. Wer diese Ressourcen klug nutzt, stärkt nicht nur die Belegschaft, sondern auch die Unternehmenskultur.
„Arbeiten im Ruhestand“ ist ein kultureller Wandel. Die Babyboomer geben hin Rente, aber sie gehen nicht verloren. Sie bleiben aktiv, wissbegierig und einsatzbereit. Unternehmen, die das erkennen, sichern sich ein unschätzbares Gut: Erfahrung in Bewegung. Wandel gelingt nicht gegen, sondern mit den Generationen.

