Arbeitszeit versus Freizeit? Ist diese Vorstellung noch zeitgemäß? Arbeitszeiten, Arbeitspensum, Arbeitsziele werden in der schönen neuen Arbeitswelt weniger von „oben“, sondern mehr im Miteinander definiert, heißt es. Schauen wir uns das mal an…
Ein Gastbeitrag von Nicole Willnow
Es ist Sonntagnachmittag und ich arbeite. Und es tut gar nicht weh. Ich spüre trotzdem, dass Sonntag ist. Weil es so ruhig ist. Was sehr beim Arbeiten hilft. Morgen könnte ich mir einen halben Tag frei nehmen, um die paar Stunden Sonntagsarbeit auszugleichen. Muss ich aber eigentlich nicht, denn es ist weder anstrengend, noch ist es ein ungutes Gefühl zu arbeiten. Im Gegenteil, es ist toll, wenn man etwas geschafft und geschaffen hat. Und man sich auf die Schulter klopfen kann – egal an welchem Wochentag. Vor allem, wenn man die freie Arbeitszeitwahl hat.
Bin ich ein 24/7-Arbeiter? Also jemand, der 24 Stunden, 7 Tage die Woche arbeitet? Sicher nicht. Ich schlafe auch ganze gerne täglich sieben bis acht Stunden. Bin ich ein “9 to 5-Worker”? Nö, das auch nicht.
Ist das die flexible Zukunft der Arbeit? Bedingt. Denn die Selbstbestimmung über Arbeitszeiten hat im Moment mehr mit meiner Selbständigkeit zu tun als mit modernen Arbeitsformen der Zukunft. Aber da geht es angeblich hin. Nach dem Schaffen von Gleitzeit und Arbeitszeitkonten, fangen nach den selbständigen jetzt auch die angestellten Wissensarbeiter an, ihre eigentlich schon lange währende Arbeitszeitfreiheit vermehrt und wirklich vollständig zu nutzen. Hat zwar mehrere Jahrzehnte gedauert, aber nun ja… *
Vertrauensarbeitszeit ohne Vertrauen?
Veränderte Arbeitszeiten haben nicht direkt etwas mit Digitalisierung zu tun. Es war eine Entscheidung von Gewerkschaften, Gleitzeit zu fordern, von Unternehmen, flexible Arbeitszeiten anbieten und vom Gesetzgeber, dieses fördern zu wollen. Die Digitalisierung bietet heute lediglich mehr Werkzeuge und schafft mehr Möglichkeiten, Arbeitsstunden bzw. Arbeitsleistungen einfacher zu verwalten und zu organisieren. Doch trotz aller Tools, ohne Vertrauen funktioniert diese Freiheit nicht. Deswegen nennt man dieses Modell neuerdings auch Vertrauensarbeitszeit.
Und seit kurzem ist vermehrt sogar nicht nur die Arbeitszeit, sondern auch der Arbeitsort zur Vertrauenssache und zum Gestaltungselement geworden. Und wieder scheint es mehr eine Entscheidung von Unternehmen zu sein, ihren Arbeitnehmern mehr und mehr die Wahl zu lassen, wo sie arbeiten wollen. Als nächstes wird dann auch nicht mehr der Chef über Arbeitspensum und Arbeitsziele entscheiden, sondern die Arbeitnehmer – wenn man diversen Artikeln zum Thema „Arbeiten 4.0“ Glauben schenken möchte. Die Freiheit, für die ich mich noch selbständig machen musste, haben einige Arbeitnehmer inzwischen auch als Angestellte.
Weniger Regeln und mehr Handlungsfreiheit
Die Gründe dafür werden gerne als Generationsfrage dargestellt (Stichwort: Gen Y). Meiner Meinung nach hat das aber mehr mit freigeistigem Denken und Individualisierung zu tun. Und das fing spätestens bei den Baby Boomern an. Es hat bloß Zeit gebraucht, sich durchzusetzen. Und anscheinend (und auch hoffentlich) setzt sich dieses Weniger an Regeln und Mehr an Handlungsfreiheit in der Arbeitswelt der Zukunft endgültig durch. Damit wäre allen geholfen.
Es gibt aber auch Nachteile: nämlich etwas mehr Arbeitsstunden pro Woche, so die Statistik. Das könnte allerdings auch ein Übergangsproblem sein. Und ja, für diese Art von Arbeit braucht man mehr Selbstmanagement, Flexibilität und Eigenverantwortung. Und darüber verfügt nicht jeder. Auch ist eine neue Haltung, eine neue Einstellung zu Arbeit und Freizeit, bei der beides Spaß macht und sich nicht mehr unversöhnlich gegenüberstehen, notwendig. Wie bei der unsäglichen Work-Life-Balance.
Arbeitsinhalte sind entscheidender als Arbeitszeiten
Zwischen „Arbeit“ im Sinne von “Fron-Arbeit für andere” und „Freizeit“ im Sinne von „zur eigenen freien Verfügung stehenden Zeit” zu unterscheiden, ist antiquiert. Wenn man Spaß an der Arbeit hat, sie, und nicht nur die Freizeit, als lebensbereichernd ansieht. Das heißt, wir brauchen einen neuen Arbeitsbegriff, denn Arbeitsinhalte sind entscheidender als Arbeitszeiten.
„Freizeit“ heißt oft auch Hausarbeit oder Kindererziehung, was, wie wir alle wissen, sehr anstrengend sein kann. Anstrengender und mehr Arbeit als zum Beispiel Wissen erlernen oder weitergeben, forschen oder kreativ sein, oder oder.
Arbeitszeiten zu definieren und zu managen, wird in der Zukunft anders aussehen als heute. Und das Rad zurückdrehen lässt sich auch kaum. Denn wenn Arbeitnehmer dieses Mehr an Freiheit bekommen haben, geben sie es nicht wieder zurück – egal, welcher Generation sie angehören. Auch und gerade, wenn sie lange brauchten, um ihre Arbeitszeit nach ihrem Bedarf zu gestalten. Genauso, wie die meisten Selbständigen, die ich kenne, auch nicht wieder in ein Angestellten-Verhältnis zurück wollen, weil sie die größere Freiheit so sehr schätzen.
Wenn sich diese Freiheiten immer mehr angleichen, wird man vielleicht häufiger hin- und herspringen. Ob angestellt oder selbständig, ob Sonntags- oder Montagsarbeit, ob am Schreibtisch oder auf dem Sofa, das wird dann irrelevant sein.
Gleich welche Arbeitszeiten Sie wählen, lassen Sie uns gemeinsam die Zukunft entwickeln…
* Das erste bekannt gewordene deutsche Gleitzeitmodell wurde bereits im Jahre 1967 von der Firma Bölkow in Ottobrunn praktiziert. (Quelle: www.arbeitsratgeber.com)