Die Bundestagsabgeordnete Petra Hinz hat offenbar Teile ihres Lebenslauf erfunden. Weil sie weder das Abitur noch ein Jurastudium abgeschlossen hat, legte sie nun ihr Mandat nieder.
Petra Hinz war seit 2005 SPD-Abgeordnete im Bundestag. Vorher gehörte sie von 1989 bis 2005 dem Rat der Stadt Essen an, von 2003 bis 2005 war sie auch Mitglied im Regionalrat Düsseldorf. Danach wechselte sie als Bundestagsabgeordnete nach Berlin. Nachdem ein freier Journalist über den Lebenslauf der SPD-Politikerin recherchiert hatte, kam heraus, dass sie wesentliche Teile erfunden hatte.
Sie habe keine allgemeine Hochschulreife erworben, kein Studium der Rechtswissenschaften absolviert und auch keine Juristischen Staatsexamina abgelegt, teilte nun ihr Anwalt in einer Erklärung mit. Die entsprechenden Angaben standen auch auf der Website des Bundestags. Mittlerweile wurde sie entfernt. Mit Bekanntwerden ihrer falschen Vitaangaben hatte die Essener Abgeordnete auch ihr Mandat niedergelegt.
Was sich nun viele Wählerinnen und Wähler fragen: Warum hat Petra Hinz über ihre beruflichen Qualifikationen falsche Angaben gemacht? Und warum sind die unwahren Angaben in ihrer langen politischen Laufbahn nie aufgeflogen?
Tatsächlich ist ein Abgeordnetenmandat kein Arbeitsverhältnis im eigentlichen Sinne. Gleichwohl sind an so ein Amt gewisse Voraussetzungen geknüpft – wenngleich kein Berufspolitiker überhaupt Abitur haben muss oder Akademiker sein soll, ist der Anteil der Nicht-Akademiker im Bundestag verschwindend gering. Gewissermaßen ist eine bestimmte Glaubwürdigkeit mit einer akademischen Bildung verbunden – etwas, das wichtig ist, um überhaupt ein Mandat zu bekommen. Der Kriminalist Marco Löw sagt dazu: “Betrug beim Lebenslauf kommt vor, etwa wenn es um Machtpositionen geht, es viel Konkurrenz gibt und die falschen Angaben in der alltäglichen Arbeit nicht sofort auffliegen können.” Entscheidend sei auch, wenn die Zugangsvoraussetzungen zu einer Position für den Anwärter sehr hoch sind. Also: Abitur und abgeschlossenes Studium als selbstverständlich gelten, vielleicht auch Auslandserfahrungen oder ein Titel.
Fast nur Männer als Hochstapler
Nicht umsonst sind in den letzten Jahren ja gerade in der Politik viele falsche Doktoren aufgeflogen. Löw, der auch mehrere Sachbücher über Lügen geschrieben hat – darunter auch das Buch Falle Bewerbungsbetrug – sagt dazu: “Wer nicht mithalten kann und die entsprechende psychische Veranlagung hat, nimmt den einfachen Weg und mogelt sich seinen Lebenslauf zurecht. Mitunter treiben auch die Lebensumstände einen Menschen dazu, um jeden Preis eine gute Position finden zu wollen.”
Bemerkenswert an dem Fall ist, dass es diesmal eine Frau ist, die tatsächlich unwahre Angaben gemacht hat – und über viele Jahre eine beachtliche politische Karriere hingelegt. Schaut man sich die Liste bekannter Hochstapler an, so stehen hier vor allem männliche Namen: Neben Figuren aus der Kunst wie der Hauptmann von Köpenick oder Felix Krull erlangten vor allem Männer in der Realität als Hochstapler Ruhm: Dazu zählt der amerikanische Scheckbetrüger Frank Abagnale, der als Arzt, Anwalt und Pilot arbeitete und dessen Leben der Film “Catch me if you can” erzählt. Und dazu zählt der Postbote Gert Postel, der jahrelang hohe Stellen als falscher Arzt bekleidete. Auch Löw sagt, es seien vor allem Männer, die wegen dreister Lügen im Lebenslauf auffallen – aber nicht, weil Frauen per se das bessere Geschlecht seien. Sondern weil einfach weniger Frauen in Machtpositionen strebten.
Kurioserweise schlägt Hochstaplern oft viel Sympathie entgegen. So auch in diesem Fall. Der Berliner SPD-Politiker Christopher Lauer sprach sich in einem Tweet dafür aus, die Parteikollegin zu feiern.
Ich finde man sollte Petra Hinz feiern. Es gibt doch nichts über eine Jahrzehntelang nicht aufgeflogene Hochstaplerin.
— Christopher Lauer (@Schmidtlepp) 20. Juli 2016
Das dürften wohl viele Wählerinnen und Wähler anders sehen. Politiker und Politikerinnen und besonders wenn sie ein höheres Mandat bekleiden, sollten alles dafür tun, dass ihre Glaubwürdigkeit nicht beschädigt wird. Insofern ist es nur konsequent, dass die Politikerin umgehend das Amt niedergelegt hat. Der Hund liegt sicher anderswo begraben: Der Weg ins Parlament ist ein solch schwieriger, dass eben nicht paritätisch vertreten ein Vertreter aus jeder Schicht der Bevölkerung diesen Weg schafft. Besser wäre es, Partei- und Politkarrieren so zu gestalten, dass es weder auf die formale Bildung noch auf einen Titel ankommt – sondern allein auf das politische Engagement, die Ideen und die Fähigkeit, andere Menschen davon zu überzeugen. Dann würde die Politik vielleicht auch insgesamt weiblicher werden.