Bewerbungsverfahren haben hohes Frustrationspotential

Frau in Gesprächssituation

Trotz des hohen Bedarfs an Arbeitskräften erleben Bewerbende frustrierende, ungleiche und ineffiziente Bewerbungsverfahren.

Greenhouse, das US-amerikanische Hiring-Softwareunternehmen, hat seinen jährlichen Candidate Experience Report veröffentlicht. Der international angelegte Bericht basiert auf Umfrageergebnissen zu 2.900 Beschäftigten aus dem DACH-Raum (500), den USA (1.200), UK (1.000) sowie Irland (200) und beleuchtet ihre Perspektiven, Herausforderungen und die für sie entscheidenden Faktoren in Bewerbungsprozessen. Eine zentrale Erkenntnis ist, dass die Mehrheit der Befragten trotz des hohen Bedarfs an Arbeitskräften frustrierende, ungleiche und ineffiziente Einstellungspraktiken erlebt.

Sowohl im DACH-Raum als auch in Übersee herrscht bei Beschäftigten eine hohe Wechselbereitschaft: Nur 19 Prozent der Befragten in Deutschland, Österreich und der Schweiz stehen einem Arbeitsplatzwechsel innerhalb der nächsten sechs Monate ablehnend gegenüber. Und während in den USA jede und jeder zweite Beschäftigte aktiv nach einer neuen Stelle sucht, ist die Mobilität im UK mit 40 Prozent etwas geringer ausgeprägt.

Drei Herausforderungen dominieren Arbeitsmarkt

Aktuell dominieren drei Herausforderungen den Arbeitsmarkt: Gehalt und Sozialleistungen entsprechen nicht den Erwartungen der Bewerbenden (35 Prozent), die Stellenbeschreibungen sind nicht klar genug (34 Prozent) und Unternehmen oder Personalverantwortliche kommunizieren während des Bewerbungsverfahrens unzureichend (32 Prozent). Trotz dieser Schwierigkeiten im Zuge von Bewerbungsprozessen bleibt die Mehrheit der Befragten (68 Prozent) in Bezug auf die Entwicklung des Arbeitsmarktes optimistisch und zeigt sich damit trotz aller Widrigkeiten widerstandsfähig.

Obwohl 58 Prozent der Befragten im DACH-Raum angeben, im letzten Jahr leichte bis deutliche Verbesserungen wahrgenommen zu haben, bergen Bewerbungsverfahren noch immer ein hohes Frustrationspotential. So gaben 43 Prozent der Befragten an, viel Zeit in den Bewerbungsprozess investiert zu haben, um letztlich doch eine Absage zu erhalten. Eine Erfahrung, die die Bereitschaft zu mehreren Interviews und Feedbackschleifen offenbar senkt. So würde sich nur ein knappes Zehntel auf sechs oder mehr Gespräche einlassen, wenn dies für die Stelle erforderlich wäre. Beliebter sind Prozesse, bei denen der Einstellung bis zu vier Gespräche (33 Prozent) vorausgehen, während 43 Prozent sich sogar nur auf ein bis zwei Interviews einlassen würden.

Ghosting statt wertschätzender Kommunikation

Zudem ist hinsichtlich der Kommunikation von Arbeitgebern einerseits und ihren Handlungen andererseits eine Diskrepanz zu beobachten: Obwohl fast die Hälfte der Befragten im Bewerbungsprozess viel Lob von Personalvermittler:innen erhält, entsprechen die Jobangebote nicht den mitgebrachten Qualifikationen, Fähigkeiten und Erfahrungen. Dies gilt insbesondere für den angebotenen Titel sowie das Gehalt. Viele würden sich hier eine proaktive Kommunikation wünschen. So stellt eine fehlende Gehaltstransparenz in Stellenausschreibungen für 35 Prozent der Bewerbenden ein Ausschlusskriterium dar.

Irrtümer und Mythen rund ums ArbeitsrechtDie Candidate Experience steht und fällt dabei mit dem Maß an Transparenz und Wertschätzung, dass die Kommunikation im Bewerbungsprozess prägt. Im DACH-Raum erwartet mit 37 Prozent mehr als jede und jeder dritte befragte Bewerbende innerhalb der ersten zwei Wochen ein Feedback, weitere 25 Prozent möchten spätestens nach drei bis vier Wochen von ihrem potenziellen neuen Arbeitgeber hören. Dabei wird nicht nur positives Feedback geschätzt und als hilfreich empfunden. Im Gegenteil: Für gut 68 Prozent steigern konstruktive Rückmeldungen auch im Falle einer Ablehnung die Motivation, sich zu einem späteren Zeitpunkt erneut an das Unternehmen zu wenden.

Allerdings bleiben viele Arbeitgeber in Deutschland, Österreich und der Schweiz deutlich hinter einer solchen Feedbackkultur zurück. So geben 65 Prozent der Befragten an, in einem laufenden Bewerbungsverfahren schon einmal geghostet worden zu sein. Amerikanische Arbeitgeber sind diesbezüglich offenbar bereits einen Schritt weiter – zwar erleben noch immer knapp über die Hälfte der Bewerbenden einen solchen abrupten Kommunikationsabbruch, doch ist der Wert im Vorjahresvergleich um 22 Prozent gesunken, während er im DACH-Raum konstant blieb.

Diskriminierungserfahrungen vor allem bei Frauen

“Unsere Umfrage zeigt, dass Bewerbende im DACH-Raum trotz einer positiven Entwicklung des Arbeitsmarkts immer wieder mit frustrierenden und unfairen Einstellungspraktiken konfrontiert sind”, sagt Daniel Chait, Mitbegründer und CEO von Greenhouse dazu. “Unternehmen müssen ihre Kommunikations- und Einstellungspraktiken modernisieren, um im Wettbewerb um die besten Talente zu bestehen.”

Ein weiterer Faktor, der die Candidate Experience von zwei Dritteln der im DACH-Raum Befragten negativ beeinflusst, sind diskriminierende Fragen in Vorstellungsgesprächen. Dabei sind Frauen mit fast 70 Prozent noch häufiger als Männer (61 Prozent) damit konfrontiert. Thematisch geht es besonders häufig um eine Elternschaft oder eine mögliche Schwangerschaft (jeweils 27 Prozent) sowie den Heiratsstatus von Bewerberinnen (22 Prozent). Aber auch Alter (26 Prozent) und Aussehen (25 Prozent) werden von Arbeitgeberseite immer wieder zum Thema gemacht. Männliche Bewerber sind ihrerseits am häufigsten mit altersbezogenen Fragen konfrontiert (35 Prozent). Zudem spielen bei ihnen neben Fragen zur Elternschaft (25 Prozent) und zum Heiratsstatus (24 Prozent) auch Fragen zur Herkunft und einer möglichen kriminellen Vorgeschichte (jeweils 23 Prozent) eine große Rolle.

Daher verwundert es kaum, dass sich viele Eltern, insbesondere solche mit mehr als zwei Kindern, in Einstellungsverfahren benachteiligt fühlen. 52 Prozent von ihnen haben den Eindruck, in ihrem letzten Bewerbungsprozess nicht weitergekommen zu sein, obwohl ihre Fähigkeiten und Erfahrungen grundsätzlich hervorragend zur Stellenbeschreibung gepasst hätten. Unter kinderlosen Personen teilen nur 25 Prozent diesen Eindruck.

Aktiv gelebte Unternehmenskultur spielt maßgebliche Rolle

Diese Realität führt nicht nur zu Frustration auf Seite der Bewerbenden, sondern schadet auch Arbeitgebern, spielt der Umgang von Unternehmen mit dem Thema Diversity, Equity, and Inclusion (DE&I) für viele Arbeitnehmende doch eine wichtige Rolle. Insbesondere die Generation Z achtet vor einer Bewerbung auf das DE&I-Konzept potenzieller Arbeitgeber: Unter den 18- bis 24-Jährigen besitzt das Thema für jeden zweiten Beschäftigten eine (sehr) hohe Bedeutung, während dies nur für 30 Prozent der befragten Beschäftigten ab 54 Jahren gilt. Insgesamt geben lediglich 17 Prozent der Befragten im DACH-Raum an, die DE&I-Strategie potenzieller Arbeitgeber überhaupt nicht in ihre Entscheidungen im Bewerbungsprozess einzubeziehen.

In Zeiten von Sozialen Medien und prominenten Jobbewertungsplattformen spielt auch die Employer Brand sowie die nach außen kommunizierte und aktiv gelebte Unternehmenskultur eine maßgebliche Rolle. So gaben knapp 66 Prozent der Befragten im DACH-Raum an, dass sie ihre Bewerbungsabsicht verwerfen oder zumindest intensiv überdenken würden, wenn sie auf negative Berichte und Bewertungen zu potenziellen Arbeitgebern stoßen. In den USA würden negativ konnotierte Informationen über die Unternehmenskultur sogar neun von zehn Jobsuchenden in ihrer Entscheidung beeinflussen.

Vorstellungsgespräche mit KI-gesteuerten Avataren

Für Carin Van Vuuren, Chief Marketing Officer von Greenhouse, ist die Wichtigkeit des Einstellungsprozesses als erster Einblick der Bewerbenden in die Unternehmenskultur kaum zu überschätzen. “Wie Unternehmen Bewerbenden behandeln ist ein entscheidender Faktor – schließlich möchten sie langfristig mit einem Unternehmen zusammenarbeiten, das ihre Zeit schätzt, häufig kommuniziert und transparent ist. Arbeitgeber, die keine positive Einstellungserfahrung schaffen, riskieren es deshalb, zukünftige Bewerbenden abzuschrecken und Kritik sowie negative Kommentare in öffentlichen Foren zu erhalten.”

Während im vergangenen Jahr nur 19 Prozent der Befragten angegeben haben, künstliche Intelligenz (KI) im Bewerbungsprozess einzusetzen, steigt dieser Prozentsatz im Candidate Experience Report 2024 auf 40 Prozent. Dabei gehören Tools zur Jobsuche sowie zur Vorbereitung von Bewerbungsunterlagen und -gesprächen zu den beliebtesten Anwendungen. Umgekehrt setzen auch Arbeitgeber vermehrt auf Automatisierung und KI, um ihre Einstellungsprozesse effizienter zu gestalten – so hat bereits jede und jeder Zweite der Befragten im DACH-Raum schon einmal ein Vorstellungsgespräch mit einem computergenerierten oder KI-gesteuerten Avatar geführt.

Dennoch ist ihre Haltung gegenüber KI-Tools gemischt: Während 31 Prozent der Befragten KI als Unterstützung in Bewerbungsprozessen erleben, haben 25 Prozent den Eindruck, KI-basierte Auswahlprozesse würden ihren Zugang zu Recruiter:innen erschweren. Etwas ausgewogener sind die Anteile der Befragten, aus deren Sicht der Aufstieg von KI bestehende Jobs eliminiert (knapp 24 Prozent) beziehungsweise neue schafft (gut 20 Prozent).

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