Der Arbeitsminister hat geliefert und einen guten Entwurf für das neue Bürgergeld vorgestellt. Doch das Wichtigste fehlt noch: Konkrete Summen für die neuen Regelsätze – und eine Einigung in der Ampel.
Die SPD will Hartz IV endgültig überwinden. Aus fordern und (bislang leider viel zu wenig) fördern soll Partnerschaft auf Augenhöhe werden. In Zeiten eines in vielen Branchen schon problematischen Arbeitskräftemangels ist das nur sinnvoll. Denn Deutschland kann sich weder fast eine Million Langzeitarbeitslose im Grundsicherungsbezug leisten, noch Millionen Menschen in Hartz IV, die mit Sozialleistungen ihre Hungerlöhne aufstocken müssen und deshalb im bürokratischen Gängelungssystem der Jobcenter feststecken – was 74.000 Mitarbeitende in 405 Jobcentern bindet. Man darf schließlich nicht vergessen: Die überwiegende Mehrheit der mehr als fünf Millionen Menschen in der Grundsicherung ist nicht deshalb auf staatliche Unterstützung angewiesen, weil sie faul und arbeitslos sind, sondern weil ihr eigenes Einkommen entweder nicht zum Leben reicht oder die Lebensumstände keine sozialversicherungspflichtige Vollzeitbeschäftigung zulassen.
Das hat nun auch die Politik verstanden und der Bundesarbeitsminister hat geliefert und die Eckpunkte für den Gesetzesentwurf für das neue Bürgergeld vorgelegt: Hartz IV soll am 1. Januar 2023 Geschichte sein und vom Bürgergeld abgelöst werden, so der Plan. Ein umfassender Paradigmenwechsel, der der Beginn einer neuen Ära der Sozialpolitik in Deutschland sein könnte.
Abschaffung des Vermittlungsvorrangs
In dem von Arbeitsminister Hubertus Heil vorgelegten Eckpunktepapier für das Bürgergeld steht sehr viel Gutes: Die Karenzzeiten fürs Wohnen und Vermögen sowie die Erhöhung des Schonvermögens auf 15.000 Euro pro Person in der Bedarfsgemeinschaft. Das wird künftig viele Menschen vor der Altersarmut schützen. Dazu gehört auch die Abschaffung des Vermittlungsvorrangs. Bislang wurden Hartz IV-Empfänger oft dazu gezwungen einen Aushilfsjob anzunehmen, obwohl sie eher Interesse an einer Ausbildung oder einer berufsabschlussbezogenen Weiterbildung gehabt hätten, mit denen ihre Job-Chancen gestiegen wären.
Gut ist auch, dass Weiterbildungen künftig generell stärker in den Fokus rücken und gefördert werden. Grundsätzlich soll es viel mehr Anreize geben wie Weiterbildungsprämien für das Bestehen von Fortbildungen oder die Einführung eines Bürgergeldbonus, wenn man erfolgreich an bestimmten Programmen teilgenommen hat. Viel Gutes steckt auch in vermeintlich kleineren Punkten, die aber bisher vor allem dazu führten, dass sich die Menschen von den Jobcentern gegängelt fühlten. Da wäre etwa zu nennen, dass künftig eine Bagatellgrenze in Höhe von 50 Euro für Rückforderungen geschaffen werden, sich die Menschen bei Abwesenheit außerhalb den Wohnorts künftig nicht mehr beim Jobcenter abmelden müssen oder, dass das Mutterschaftsgeld von der Einkommensberücksichtigung vollständig ausgenommen werden soll.
FDP will an Sanktionen festhalten
Angesichts von rund 20 Jahren Hartz IV kommt für viele Menschen vieles zu spät. Sozialverbände klagen schon lange, dass das System der Grundsicherung fragwürdig und zudem auch erwiesenermaßen unwirksam ist, wenn es darum geht, Menschen in Arbeit zu bringen und sie dabei zu unterstützen, ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten zu können. Da sind die Sanktionen, die erst in einem langjährigen Verfahren durch alle Instanzen in einem Musterfall vom Bundesverfassungsgericht fast 20 Jahre nach ihrer Einführung für unwirksam erklärt wurden. Unverständlich, wie der deutsche Sozialstaat es hat zulassen können, dass Menschen vom Existenzminimum – denn nichts anderes ist die Grundsicherung – noch etwas weggenommen wird. Wie konnte man es für fair oder sogar förderlich halten, ausgerechnet bei ganz jungen Menschen unter 25 Jahren noch viel schneller und noch viel härter zu sanktionieren? Mittlerweile gibt es darüber viel Kopfschütteln. Gut, dass die Sanktionen schon jetzt, wo bereits ein Sanktionsmoratorium gilt, Geschichte sind und auch künftig sein sollen.
Wäre da nicht die FDP. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hat sich nämlich kategorisch gegen einen Verzicht auf Sanktionen beim geplanten Bürgergeld ausgesprochen. Auch beim Bürgergeld müsse es bei Pflichtverstößen Sanktionen geben. Wer etwa Termine nicht wahrnehme, dem müsse “durch Sanktionen eine Grenze aufzeigt werden können”, so Lindner. Aus der Grundsicherung dürfe schließlich kein bedingungsloses Grundeinkommen werden, so der FDP-Vorsitzende. Ähnlich äußerte sich auch der Unions-Arbeitsmarktexperte Axel Knoerig.
Kürzungen der Grundsicherung bleiben weiterhin
Mal davon abgesehen, dass ein Vergleich mit einem bedingungslosen Grundeinkommen, das übrigens jedem Bürger und jeder Bürgerin auch ohne Bedürftigkeit zustehen würden, völlig absurd ist, tun sich tatsächlich Fragen auf. Schließlich sollen die Mitwirkungspflichten und Sanktionen laut dem Entwurf gar nicht ganz fallen. Konkret ist vorgesehen, dass bei Verletzungen des Vertrauens – nach Ablauf einer sechsmonatigen Vertrauenszeit – das Jobcenter doch Mitwirkungspflichten verbindlich festlegen kann. Das Eckpunktepapier nennt hier etwa die Zuweisung von Maßnahmen. Das heißt, ein Bürgergeldempfänger kann zu einer bestimmten Tätigkeit verdonnert werden. Auch soll weiter möglich sein, dass sich die Sozialhilfeempfangenden auf vom Jobcenter vorgeschlagene Jobs bewerben müssen. Im Zweifelsfall auch auf unsinnige oder solche, die nicht dem Qualifikationsniveau entsprechen – hauptsache raus aus der Statistik.
Wie Weisungsmacht und Zwang auf der einen Seite und Partnerschaft auf Augenhöhe auf der anderen Seite zusammen funktionieren soll, bleibt unklar. Und auch “Leistungsminderungen” – also Sanktionen – sollen nur neu geregelt werden. Das müssen sie sowieso, dies hatte schließlich bereits das Bundesverfassungsgericht angeordnet. Geben wird es die Kürzungen der Grundsicherung also auch weiterhin. Und damit bleibt auch weiter die Frage im Raum: Kann der Staat Menschen etwas vom Existenzminimum wegnehmen, wenn er der Meinung ist, sie hätten sich nicht an bestimmte Regeln gehalten?
Vieles bleibt völlig unklar
Außerdem ist völlig unklar, welche Rolle die Jobcenter künftig spielen werden und was die beabsichtigte sechsmonatige Vertrauenszeit konkret eigentlich bedeutet. Heißt das, im ersten halben Jahr im SGB II-Bezug hört man gar nichts vom Jobcenter, hat seine Ruhe und danach folgt doch wieder die ganze Hartz IV-Maschinerie? Immerhin sollen ja die “Angebote und Unterstützungsleistungen” in einem “Kooperationsplan” festgehalten werden, der als „roter Faden“ im Vermittlungsprozess dient. Das klingt wenig nach Neuerung, sondern eher nach schönen Worten für einen eher unschönen Behördenprozess.
Und dann sind da noch die völlig unklaren künftigen Regelsätze. Manches ist zwar sinnvoll, etwa dass Freibeträge für Einkommen aus Schüler- und Studentenjobs sowie für Auszubildende auf 520 Euro erhöht werden sollen und sich auch Aufwandsentschädigungen aus Ehrenamtspauschalen für Menschen in der Grundsicherung stärker lohnen sollen. Aber der eigentlich große Wurf steht noch aus. An der Höhe der künftigen Regelsätze hängt schließlich nichts weniger als die wichtigsten Themen der deutschen Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik.
Der Niedriglohnsektor ist in kaum einem anderen europäischen Land so groß ist wie in Deutschland
Einerseits ist klar, dass die heutigen Sätze angesichts der Inflation und der gestiegenen Lebenshaltungskosten nicht ausreichend sind – aus diesem Grund bereiten die Sozialverbände SoVD und vdk auch gerade eine Musterverfahrensklage vor dem Bundesverfassungsgericht vor. Andererseits hängt an der Höhe der Regelsätze auch der gigantische Niedriglohnsektor, der in kaum einem anderen europäischen Land so groß ist wie in Deutschland. Jede und jeder Fünfte arbeitet hier. Und die Ampel hat den Niedriglohnsektor quasi gerade erst ausgebaut, in dem sie die Geringfügigkeitsgrenzen bei Mini- und Midijobs erhöht haben. Erhöht man nun die Regelsätze in der Grundsicherung definiert man damit auch die Grenzen für das Existenzminimum. Und das wiederum bedeutet: Viele Menschen, die heute über den Hartz IV-Sätzen mit ihrem Niedriglohneinkommen liegen, rutschen dann von oben wieder unter diese Grenze. Sie werden damit zu Aufstockerinnen und Aufstockern – und von diesen gibt es mit gut 900.000 bereits heute viel zu viele.
Aus diesem Grund beabsichtigt Arbeitsminister Heil auch lediglich eine Anpassung der Sätze um 40 bis 50 Euro. Das wäre zwar viel mehr als die rund drei Euro (0,76 Prozent Erhöhung), die es Anfang des Jahres gab. Es ist aber aus Sicht der Sozialverbände und der Linken keinesfalls genug, um ein existenzsicherndes Dasein und soziale Teilhabe zu ermöglichen. Sie fordern eine deutliche Anhebung von aktuell 449 Euro auf mindestens 650 Euro.
Mit der FDP in der Regierung und vor allem an der Spitze des Bundesfinanzministeriums wird wahrscheinlich sogar eine Erhöhung um 40 Euro ein harter Kampf werden. Fraglich ist auch, ob das sportlich gesetzte zeitliche Ziel bis 2023 zu schaffen sein wird. Andererseits hat sich Hubertus Heil bereits beim Ringen um die Grundrente mit einem noch deutlich widerspenstigerem Koalitionspartner, der CDU, in der vergangenen Legislaturperiode schließlich noch fristgerecht durchsetzen können. Man darf also gespannt sein – aber knallen wird es wohl noch.