Darum gibt es kein Home-Office-Gesetz

Mann läuft mit Aktentasche

Schulen und Kitas bleiben geschlossen, die Büros aber nicht. Das regt viele Menschen auf. Doch es gibt Gründe dafür.

Schulen und Kitas geschlossen, Kontakte nur noch zu einer einzigen Person erlaubt und in besonders von der Pandemie betroffenen Regionen sogar Ausgangsbeschränkungen: Viele Menschen sind nach der erneuten Verschärfung der Corona-Regeln wütend, entsteht doch der Eindruck, viele Regeln betreffen nur den Privatbereich. Wie kann es sein, dass Kinder über Wochen und Monate nicht ihre Freunde treffen dürfen, aber immer noch viele Firmen darauf drängen, dass ihre Beschäftigten am Arbeitsplatz präsent sein müssen – weil die Politik lediglich darum bittet, Home-Office zu gestatten, es aber nicht verpflichtend macht? Diese Frage wird derzeit auf Twitter unter dem von der Grünen-Politikerin Laura Sophie Dornheim initiierten Hashtag #MachtBuerosZu diskutiert. Beschäftigte erzählen hier, dass sie ohne Not ins Großraumbüro gezwungen werden. Aber stimmt dieser Eindruck wirklich?

Nicht nur Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow verweist darauf, dass ein Großteil der Corona-Regeln vor allem tief in die Wirtschaft eingreift – immerhin sind Kneipen, Restaurants, große Teile des Einzelhandels, Kulturbetriebe und Sportstätten schon seit November 2020 geschlossen. Auch viele andere Firmen haben die Präsenzpflicht schon vor Monaten abgeschafft. Millionen Beschäftigte mit Bürojobs arbeiten seit Monaten zum großen Teil aus dem Home-Office

Die meisten Beschäftigten waren im Home-Office

“Corona ist ein Katalysator für die mobile Arbeit”, heißt es etwa in einer Studie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Vor der Pandemie hingegen konnten lediglich vier Prozent der Beschäftigten aus dem Home-Office arbeiten, Ende Juni 2020 waren es bereits 16 Prozent, die dauerhaft von zu Hause aus arbeiteten, weitere 17 Prozent wechselten zwischen Home-Office und Büro, so die Studie. Faktisch waren also über 30 Prozent der Beschäftigen im Home-Office. Laut einer Analyse des Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) sind insgesamt etwa 40 Prozent aller Jobs hierzulande home-office-tauglich – man muss also feststellen, dass ein Großteil aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer während der Pandemie also die Möglichkeit zum Remote-Arbeiten hatte. Eine Zahl, auf die auch das Münchner ifo-Institut kommt, die kürzlich eine Studie dazu veröffentlicht hat.

Fakt ist aber auch: Es gibt Unternehmen, in denen immer noch an der Präsenzkultur festgehalten wird. Vor der Pandemie kam Remote Work in den meisten deutschen Unternehmen höchstens in homöopathischen Dosen vor, das hatte auch eine Untersuchung des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit bestätigt. Diese kam auch zu dem Schluss, dass ortsunabhängiges Arbeiten jenseits vom Büro nur dort funktioniert, wo auch die Rahmenbedingungen und die Unternehmenskultur darauf ausgerichtet sind. Hier haben die meisten Arbeitgeber in Deutschland in den vergangenen Monaten zwar eine steile Lernkurve hingelegt – immerhin ist ja Home-Office wesentlich normaler geworden als noch vor der Corona-Krise, dennoch fehlen noch viele wichtige Rahmenbedingungen. Dazu gehört neben der steuerlichen Absetzbarkeit der Arbeit von zuhause, die ja nun – befristet für 2020 und 2021 eingeführt wurde – auch der viel geforderte Rechtsanspruch auf Home-Office-Arbeit. Der dazugehörige Gesetzesentwurf ist in der Regierungsabstimmung.

Die Politik hat geliefert

Die Politik hat eine neue verbindliche Arbeitsschutzregel für Corona auf den Weg gebracht, was viele Gewerkschaften gefordert hatten. Die sogenannte SARS-CoV-2-Arbeitsschutzregel ist seit August 2020 gültig. Die Regel wirkt faktisch wie ein Gesetz – der Arbeitgeber ist danach verpflichtet, das Erkrankungsrisiken im Betrieb so gering wie möglich zu halten, Beschäftigte können von ihren Arbeitgebern auch einfordern, sich an dieser Vorschriften zu halten. Und weil hierzulande das Prinzip der Sozialpartnerschaft und betrieblichen Mitbestimmung gilt, sind die Betriebs- und Personalräte bei der Auswahl von Schutzmaßnahmen in der Mitbestimmung und können im Zweifel auch darauf drängen, dass Home-Office für die Teile der Belegschaft eingeführt werden, für die es möglich ist.

Es stimmt also nicht, dass die Politik versäumt hat, die Arbeitgeber in die Pflicht zu nehmen. Es kommt hier allerdings auch auf Beschäftigte an, im Zweifel auf ihr Recht zu bestehen und entweder kollektivrechtlich oder individualrechtlich auf die Einhaltung des Gesundheitsschutzes zu pochen. Was die Politik aber nicht tun kann, ist in die unternehmerische Freiheit einzugreifen. Eine pauschale Home-Office-Pflicht dürfte daher nicht nur verfassungsrechtlich unwirksam sein, sie wäre auch unverhältnismäßig. Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln, gibt außerdem zu bedenken, dass “ein solcher Eingriff in die betriebliche Dispositionshoheit gut begründet sein muss. Bisher gibt es keine Evidenz, dass Arbeitsstätten die Infektionsherde waren – von der Fleischindustrie mal abgesehen, die man aber nicht ins Home-Office verlegen kann.” Der Ökonom geht daher davon aus, dass ein solcher Eingriff wenig Sinn hätte, im Zweifel auch wenig Bestand, weil einzelne Unternehmen dagegen klagen würden.

Dauerhaftes Home-Office für viele Beschäftigte nachteilig

Hinzukommt, dass die Wirtschaft ohnehin durch die Pandemie stark belastet ist. Selbst wenn längeres und vollständiges Home-Office von Belegschaften technisch möglich sei, ginge das zu Lasten der Innovationsfähigkeit und Unternehmenskultur. “Sie können hier nicht auf Dauer von der Substanz leben. Diese betrieblichen wie letztlich volkswirtschaftlichen Kosten sind natürlich schwer zu ermitteln, das heißt aber nicht, dass es sie nicht gibt”, so Hüther. Er verweist auch darauf, dass dauerhaftes Home-Office für viele Beschäftigte nachteilig sei. “Studien von Stanford-Kollegen belegen, dass freiwilliges Home-Office die Produktivität zwar erhöht, verpflichtendes (und vor allem dauerhaftes) aber nicht. Es wirkt sogar gegenteilig”, so der Ökonom.

Das zeigt auch die eingangs erwähnte Studie des Münchner ifo-Instituts unter Arbeitgebern vom November 2020: Hier berichteten 27 Prozent der befragten Unternehmenslenkerinnen und – lenker – die Studie war repräsentativ – von Produktivitätsverlusten. Die Studie belegte auch, dass für über 40 Prozent der Unternehmen in Deutschland Home-Office keine Option darstellt, weil die Arbeit gar nicht ortsunabhängig geleistet werden kann. Dazu zählen etwa Krankenhäuser, Pflegeheime, die Baubranche, Labore, das Reinigungsgewerbe. Auch das ist ein Grund, warum eine Home-Office-Pflicht für große Teile der Wirtschaft schlicht gar nicht greifen würde. Der Ökonom Hüther verweist zudem darauf, dass es einige Wirtschaftsbereiche gibt, wo theoretisch mobiles Arbeiten zwar möglich sei, aus Sicherheitsgründen aber oft darauf verzichtet werde. “Das ist der ganze Bereich, der in hohem Maße mit vertraulichen Vorgängen befasst ist – also Banken, Versicherungen, Steuerberatung, Wirtschaftsprüfung und so weiter”, so Hüther.

Komplettes Runterfahren der Wirtschaft kann niemand wollen

Hinzukommt, dass es wegen der starken Zunahme von Home-Office-Arbeit verstärkt Cyber-Angriffe auf Unternehmen gegeben hat. Laut einer neuen Studie des Unternehmens McAfee und des Zentrum für strategische und internationale Studien (CSIS) stieg die Zahl der Angriffe gegenüber dem Vorjahr um 50 Prozent. Weltweit entstand dabei ein volkswirtschaftlicher Schaden von gut 820 Milliarden Euro, das ist immerhin ein Prozent der Weltwirtschaftsleistung. Der Studie zufolge erfolgten sehr viele Angriffe über Ransomware, bei der die Kriminellen Daten verschlüsseln und für die Entsperrung ein Lösegeld verlangen. Aber auch Phishing-Attacken, die Übernahme von E-Mail-Konten sowie Spionagesoftware nahmen zu. Die Forscherinnen und Forscher hatten in das Ausmaß der Schäden neben den reell eingetretenen Verlusten der Firmen auch Kosten für etwa die Ausfallzeit von Netzwerken einberechnet.

Bisher hat die deutsche Wirtschaft die Folgen der Corona-Pandemie aber trotz aller Widrigkeiten gut verkraftet; die Lage am Arbeitsmarkt ist ebenfalls noch vergleichsweise gut. Auch das könnte ein Grund für die Politik gewesen sein, sich auf einen bloßen Appell an die Wirtschaft zu beschränken. Der Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW), Gabriel Felbermayr, hatte zu Beginn der Pandemie vorgerechnet, dass ein komplettes Runterfahren der Wirtschaft pro Woche ungefähr ein Fünfzigstel, also zwei Prozent, der Wirtschaftsleistung kosten würde. Die Forderung, alle Büros sofort zu schließen, käme diesem Szenario vermutlich recht nahe. Und das will sicherlich niemand.

Tina Groll

Tina Groll arbeitet hauptberuflich als Redakteurin bei ZEIT ONLINE im Ressort Politik & Wirtschaft. 2008 zeichnete sie das Medium Magazin als eine der “Top 30 Journalisten unter 30 Jahren“ aus. Sie ist Mitglied im Deutschen Presserat sowie als Vorsitzende der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union tätig. Als Autorin von WIR SIND DER WANDEL beschäftigt sie sich mit der Arbeitsmarkt-, Sozial- und Gesundheitspolitik.