Erfolg und dennoch Zweifel? Das Impostor-Syndrom plagt viele – vor allem Hochqualifizierte. Warum Selbstzweifel so zäh bleiben und wie man ihnen im Job sinnvoll entgegentritt, erklärt Sabine Hockling.
Wer kennt ihn nicht, den Zweifel, ob man einer Aufgabe gewachsen ist, den Job verdient hat oder ob die nächste Präsentation die eigene Unsicherheit entlarvt: die Angst, nicht kompetent genug zu sein. Für manche bleib das ein flüchtiger Moment, für andere wird es zum ständigen Begleiter – eine innere Stimme, die Erfolge kleinredet, Fähigkeiten anzweifelt und das Gefühl verstärkt , den eigenen Erfolg nicht verdient zu haben. Dieses Phänomen tragen den Namen: Impostor-Syndrom, auch Hochstapler-Syndrom genannt. Es ist keine anerkannte psychische Störung, beeinflusst aber den Berufsalltag von Millionen Menschen – oft mit gravierenden Folgen.
Das Impostor-Syndrom beschreibt ein Muster, bei dem Betroffene trotz nachweislicher Erfolge glauben, ihren Status nicht verdient zu haben. Sie schreiben Erfolge äußeren Umständen wie Glück, Zufall oder wohlwollenden Kolleg:innen zu, statt ihrer eigenen Leistung. Gleichzeitig fürchten sie ständig, als Hochstapler enttarnt zu werden. Diese Überzeugung bleibt bestehen, selbst wenn es keine objektiven Hinweise auf Inkompetenz gibt. Die Betroffenen erleben eine Kluft zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung. Während das Umfeld Respekt und Anerkennung zeigt, kämpfen die mit Selbstzweifeln, Stress und Überforderung.
Frühe Prägungen als Ursache
Die Ursachen für das Impostor-Syndrom sind komplex. Studien zeigen, dass frühe soziale Prägungen eine Schlüsselrolle spielen. Wer in der Kindheit vor allem über Leistung Anerkennung erhielt, entwickelt oft ein Selbstwertgefühl, das stark an Erfolge geknüpft ist. Gleichzeitig kann eine inkonsistente Bewertung von Erfolg und Misserfolg durch Eltern oder Lehrer:innen ein instabiles Selbstbild fördern. Wer früh lernt, dass Leistung nie ausreicht, trägt dieses Muster oft ins Berufsleben. Auch gesellschaftliche Erwartungen und stereotype Rollenbilder verstärken das Problem. Frauen in männerdominierten Branchen oder Menschen mit Migrationshintergrund in homogenen Teams fühlen sind häufiger als Außenseiter – ein Nährboden für Zweifel an der eigenen Legitimität.
In der modernen Arbeitswelt verschärfen sich diese Muster. Hoher Leistungsdruck, ständige Vergleichbarkeit durch soziale Medien, unsichere Karrieren und der Zwang zur Selbstoptimierung schaffen ein Klima, in dem Scheitern keinen Platz hat. Betroffene arbeiten oft doppelt hart, um Fehler zu vermeiden, setzen sich überhöhte Ansprüche und können Erfolge kaum genießen. Ironischerweise trifft das Impostor-Syndrom häufig besonders leistungsfähige, reflektierte und ambitionierte Menschen. Der Drang, alles perfekt zu machen, wird zum Antrieb – und zur Belastung. Der Berufsalltag wird zur Dauerprüfung, mit langfristigen Folgen für Motivation, Gesundheit und Karriere.
Strategien gegen das Impostor-Syndrom
Die Folgen im Berufsalltag sind vielfältig. Betroffene meiden Verantwortung aus Angst, den Anforderungen nicht zu genügen. Sie halten sich mit Ideen zurück, zweifeln an ihrer fachlichen Kompetenz oder nehmen Kritik übermäßig persönlich. Viele versuchen, ihre vermeintlichen Schwächen durch Perfektionismus oder ständiges Arbeiten zu kompensieren. Das führt kurzfristig zu hoher Leistung, langfristig jedoch zu Erschöpfung, innerer Distanzierung und psychosomatischen Beschwerden. Auch Führungskräfte sind betroffen. Wer sich als “Hochstapler” fühlt, vermeidet Feedback, mikromanagt oder zeigt geringe Konfliktfähigkeit. Kritisch wird es, wenn Betroffene aus Angst vor Enttarnung Entwicklungsschritte verweigern, etwa Führungsrollen ablehnen oder den Jobwechsel scheuen. So blockieren sich hochqualifizierte Fachkräfte selbst –nicht, weil sie es nicht könnten, sondern weil sie es sich nicht zutrauen.
- Kinn hoch!
- Angst: Wie sie Entscheidungen lähmt und Unternehmen beeinflusst
- Emotionale Stabilität als Schlüssel zum Erfolg
Was hilft? Der erste Schritt ist die Erkenntnis: Das Problem liegt nicht in mangelnder Leistung, sondern in der eigenen Bewertung. Es braucht einen bewussten Umgang mit den eigenen Gedanken. Wer sich fragt, wie realistisch die eigenen Erwartungen sind, wie Erfolge zustande kamen und wie objektiv die Selbstkritik ist, kann die innere Verzerrung korrigieren. Auch das offene Ansprechen von Zweifeln – etwa mit Kolleg:innen oder Mentor:innen – entlasten. Oft zeigt sich, dass viele ähnliche Gedanken haben, aber nie darüber sprechen. Diese Erkenntnis allein kann schon helfen.
Unternehmen und Führungskräfte sollten ein Klima schaffen, in dem Fehler als Lernchancen gelten, Erfolge geteilt und Unsicherheiten nicht stigmatisiert werden. Ein offener Umgang mit Herausforderungen und Schwächen kann Vorbildwirkung entfalten – besonders, wenn er von der Führung ausgeht. Personalentwicklung, die auf Wertschätzung, individueller Begleitung und der Stärkung psychischer Ressourcen basiert, ist ein weiterer Hebel. Wer sich gesehen und unterstützt fühlt, entwickelt ein stabileres Selbstbild und ist weniger anfällig für destruktive Selbstzweifel.
Kein individuelles Versagen
Coaching, Mentoring und Feedback helfen ebenfalls, das Selbstbild zu justieren, unrealistische Ansprüche zu hinterfragen und gesunde Maßstäbe für Leistung zu entwickeln. Wichtig ist, dass diese Angebote nicht auf Defizite abzielen, sondern auf Potenziale. Wer lernt, seine Stärken zu erkennen und konstruktiv mit Schwächen umzugehen, kann seine Rolle im Team klarer sehen und mit mehr Selbstvertrauen ausfüllen.
Am Ende bleibt die Erkenntnis: Das Impostor-Syndrom ist kein individuelles Versagen, sondern Ausdruck struktureller Bedingungen. Eine Arbeitswelt, die ständig Beschleunigung, Vergleich und Exzellenz fordert, erzeugt zwangsläufig Menschen, die sich trotz hoher Leistung unsicher fühlen. Der Ausweg beginnt nicht mit der nächsten To-do-Liste oder einem weiteren Training zur Selbstoptimierung, sondern mit dem Mut, die eigenen Leistungen anzuerkennen – und sich nicht nur an Leistung zu messen. Wer das versteht, gewinnt nicht nur Klarheit, sondern auch die Freiheit, im Beruf zu zeigen, was oft zu Unrecht verborgen bleibt: echte Kompetenz.