Die Einkommenslücke zwischen Frauen und Männern ist noch größer

equal pay day 2016 Auftaktveranstaltung

Wie hoch ist der Einkommensabstand zwischen Ihnen und Ihrem Partner? Im Schnitt haben Frauen in Deutschland nur halb so viel Einkommen wie Männer. Konkret sind es aktuell 45,3 Prozent Differenz.

Übertragen auf den Job würde das heißen: Eine Frau hat bis zum 14. Juni unbezahlt gearbeitet und erhält erst ab diesem Tag einen Lohn – während ein Mann natürlich die ganze Zeit bezahlt wurde. So argumentiert Henrike von Platen. Sie ist Unternehmensberaterin und stand seit sechs Jahren als Präsidentin den Business and Professional Women (BPW) in Deutschland vor. Der Frauenverband organisiert weltweit den Equal Pay Day.

Der Tag entfällt in der Regel auf einen Tag Mitte März. Im kommenden Jahr wird es der 18. März sein. Dieser Tag markiert symbolisch die Lohnlücke zwischen den Geschlechtern, die aktuell bei 21 Prozent in Deutschland liegt. 21 Prozent von 365 Tagen – das sind 77 Tage, die Frauen (quasi) umsonst arbeiten. Und so fällt der Equal Pay Day auf den 18. März, um auf die ungleiche Bezahlung der Frauen aufmerksam zu machen.

53 Prozent weniger Vermögen

Und was hat es jetzt mit dem 14. Juni auf sich? Es gibt noch weitere Statistiken, die zeigen, dass zwischen den Geschlechtern ein Gerechtigkeitsproblem besteht. Beispielsweise die Untersuchung des Soziologen Carsten Wippermann, der die Lebenswirklichkeiten von Frauen zwischen 30 und 50 Jahren in einer umfassenden Studie untersucht hat. (Wippermann hatte übrigens schon 2009 mit einer Studie über die gläserne Decke Aufsehen erregt. Unter anderem hatten er und sein Team Tiefeninterviews mit Entscheidern darüber geführt, warum Frauen es so selten in Spitzenführungspositionen schaffen – und dabei erhebliche Vorurteile ausgemacht.) Nach seiner jetzigen Untersuchung verdient die heutige Frauengeneration im mittleren Alter weniger als  1.500 Euro im Monat, 14 Prozent der Frauen in dieser Lebensphase hat gar kein Einkommen, sondern ist auf einen Versorger angewiesen. Nur zehn Prozent haben ein eigenes Nettoeinkommen von mehr als 2.000 Euro. In dieser Kohorte ist zudem die Teilzeitquote sehr hoch, nur 39 Prozent der Frauen in diesem Alter sind vollzeiterwerbstätig. Und wenn man sich zudem die Vermögensverteilung zwischen den Geschlechtern ansieht, ist das Bild noch verheerender: Die Autorin Anke Domscheit-Berg hat in ihrem Buch Ein bisschen gleich ist nicht gleich genug untersucht, wie die Grenze zwischen den Geschlechtern verläuft. Bezieht man nämlich neben dem Arbeitseinkommen auch Kapital- und Vermietungserlöse sowie Renten, Pensionen und Lohnersatzleistungen ein, dann haben Männer im Schnitt 53 Prozent mehr Vermögen als Frauen!

Die Business- and Professional Women nehmen nun die 45,3 Prozent als Größe für die Einkommensverteilung zu Grunde und rechnen hier wieder in Tage um – so kommen sie auf den 14. Juni als Tag, der auf die ungleiche Einkommensverteilung hinweist. Besonders, da aktuell im Bundestag über das Entgeltgleichheitsgesetz verhandelt wird, ist es wichtig, diesen Tag auch zu begehen. Das Gesetz beinhaltet im wesentlichen drei Instrumente: die Festlegung eines individuellen Auskunftsanspruchs für Beschäftigte, die Einführung einer Pflicht für Teile der Bundesverwaltung und Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten, die Entgeltgleichheit zu überprüfen und herzustellen sowie eine Berichtspflicht für diese Unternehmen über Frauenförderung und den Status Quo der Gehaltsstruktur. Zudem müsste künftig in Stellenanzeigen das Mindestentgelt angegeben werden. Alles das würde Frauen einen Hebel an die Hand geben, für eine bessere Bezahlung zu kämpfen.

Seit 40 Jahren erst gleiche Rechte

Übrigens ist der 14. Juni auch aus anderen Gründen ein wichtiger Tag für die Frauen in Deutschland. Denn genau heute vor 40 Jahren wurde das Familienrecht novelliert. Erst seither kann der Ehemann nicht mehr den Arbeitsvertrag der Frau kündigen – und sie kann dies ohne seine Zustimmung tun. Mehr noch: Man kann sagen, dass Frauen erst seit 40 Jahren einigermaßen selbstbestimmt über ihr Geld verfügen können.

Wenn sie denn Geld hätten. Wahnsinn ist in diesem Zusammenhang übrigens die Argumentationslinie der Gegner. Schon mehrfach wurde der Gender Pay Gap vom Max-Planck-Institut zur Unstatistik des Jahres gekürt, wie Henrike von Platen in einem Gastbeitrag im Karriere-Ressort von ZEIT ONLINE schreibt. “Dort steht er in illustrer Reihe neben dem Slogan “Alle elf Minuten verliebt sich bei uns ein Single”, daseinsverlängernden Kaffeebohnen, der depressiven Wirkung von Übergewicht und lebensverkürzende Wurstwaren. Singles, Übergewicht, Kaffee, Wurst und Gender Pay Gap! Die Auszeichnungsliste des Max-Planck-Instituts spricht Bände und verrät die Ignoranz”, so die BPW-Präsidentin. Kritisiert wird, dass die Zahl keine echte Vergleichbarkeit liefere, da ja die durchschnittlichen Bruttostundenlöhne von Männern mit denen der Frauen verglichen werden (in Vollzeit, wohlbemerkt.) Die Kritiker halten dagegen: Das verzerre das Bild, weil Frauen ja überdurchschnittlich häufig in Teilzeit arbeiten würden, weniger in Führungspositionen und eben die schlecht bezahlten Berufe wählten und wegen der Kindererziehung so viele Auszeiten hätten. Und ja, tatsächlich hängt (bis auf die Teilzeit) das alles miteinander zusammen und ist sehr viel komplexer als dass man(n) den Unterschied mit der einfachen Begründung, die Frauen seien selbst dran schuld aufgrund ihrer individuellen Lebensentscheidungen wegwischen könnte. So viel Diffamierung ist unverschämt. Denn natürlich ist auch der unbereinigte Gender Pay Gap eine statistische Größe mit relevanter Aussagekraft.

Die Kritiker argumentieren dagegen: Vielmehr müsse man die bereinigte Lohnlücke anwenden, also nur die Stundenlöhne von Männern und Frauen bei absoluter Vergleichbarkeit in Position, Tätigkeit, Ausbildung und Berufserfahrung miteinander vergleichen – aber selbst diese liegt bei sieben bis acht Prozent.

Als Unstatistik diffamiert

Von Platen verdeutlicht es so: “Die Frage, die wir nicht stellen, die uns aber unterstellt wird, lautet: Wie viele Tage muss die Frau länger arbeiten, um dasselbe zu verdienen wie der Mann? Wir fragen nicht nach den Überstunden, die die Frau machen müsste, um am Ende dasselbe zu haben wie der Mann. Nein. Wir fragen, was die Frau für die gleiche Arbeit bekommt. Wir fragen nach dem Lohnunterschied.”

Und sie nennt ein konkretes Beispiel:

“Man stelle sich zwei Kisten Bier vor. Herr Mustermann und Frau Musterfrau bekommen nach einem Arbeitstag zur Belohnung jeweils eine Kiste Bier. Der Unterschied: in Frau Musterfraus Kiste fehlen vier Flaschen. Sie bekommt also 20 Prozent weniger.

Was wir kriegen ist: Vier Flaschen weniger.

Was wir sagen: Wir wollen auch 20 Flaschen.

Daher rechnen wir vor, wie viele Tage Frauen umsonst arbeiten – bis zum Equal Pay Day. Wir rechnen 365 Tage minus 20 Prozent. Was uns vorgerechnet wird: Wenn Ihr 20 Flaschen haben wollt, müsst Ihr 25 Prozent länger arbeiten. Ein Viertel von 80 Prozent. Das sind 365 Tage plus 25 Prozent.

So gesehen müssten wir, um 20 Flaschen zu bekommen, unterm Strich nicht ein Jahr, sondern ein und ein viertel Jahr arbeiten. Aber der Punkt ist: Das wollen wir gar nicht. Wir wollen nicht mehr Arbeit, wir wollen das gleiche Geld.”

Tina Groll

Tina Groll arbeitet hauptberuflich als Redakteurin bei ZEIT ONLINE im Ressort Politik & Wirtschaft. 2008 zeichnete sie das Medium Magazin als eine der “Top 30 Journalisten unter 30 Jahren“ aus. Sie ist Mitglied im Deutschen Presserat sowie als Vorsitzende der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union tätig. Als Autorin von WIR SIND DER WANDEL beschäftigt sie sich mit der Arbeitsmarkt-, Sozial- und Gesundheitspolitik.

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