Digital, erreichbar, überfordert?

Frau von Bildschirm beleuchtet

Digitale Tools sollen entlasten – doch oft erzeugen sie neuen Stress. Wie digitale Arbeitsplatzintensität wirkt, woran Führungskräfte sie erkennen und was Organisationen jetzt tun müssen.

Die digitale Transformation hat die Arbeitswelt grundlegend verändert – technologisch und emotional. Hybride Arbeitsmodelle versprechen Flexibilität, moderne Tools steigern die Effizienz. Doch die Schattenseiten digitaler Arbeit treten immer deutlicher zutage. Eine Studie der britischen Forscherinnen Elizabeth Marsh, Elvira Perez Vallejos and Alexa Spence beleuchtet die Belastungen des „Digital Workplace“ und die gesundheitlichen Risiken für Beschäftigte. Die Forschung, basierend auf dem Job-Demands-Resources-Modell (JD-R), führt eine neue Kategorie ein: die digitale Arbeitsplatzintensität („Digital Workplace Technology Intensity“).

Im Kern zeigt sich eine drastische Verschiebung der Arbeitsbelastung, durch digitale Technologien. Klare Arbeitszeiten und die Trennung von Beruf und Privatleben weichen einem ständigen Strom aus Informationen, Nachrichten, Videocalls und technischen Anforderungen. Diese Dauerverfügbarkeit – auch Hyperkonnektivität genannt – steigert nicht nur die Arbeitsintensität, sondern belastet psychisch und physisch. Interviews mit Berufstätigen aus verschiedenen Branchen zeichnen ein klares Bild: Permanente Erreichbarkeit ist zur Norm geworden, begleitet von Schuldgefühlen, schlechtem Gewissen oder der Angst, als „nicht leistungsbereit“ zu gelten.

Zwischen Konzentration und digitaler Ablenkung

Irrtümer und Mythen rund ums ArbeitsrechtDie Studie zeigt, wie Hyperkonnektivität die Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben auflöst. Was früher Distanz schuft – der Heimweg oder das Ausschalten des Diensthandys – wird durch Homeoffice, Messenger-Apps und E-Mail-Benachrichtigungen ersetzt. Besonders im hybriden Arbeiten fehlt oft die Möglichkeit, abzuschalten. Die Folge: chronischer Stress. Betroffene berichten von Reizbarkeit, Schlafstörungen, psychosomatischen Beschwerden und einem Gefühl der Überforderung, das weniger mit Aufgaben als mit der allgegenwärtigen digitalen Präsenz zusammenhängt.

Ein weiteres Problem ist die sogenannte Techno-Überforderung: Die Vielzahl an Anwendungen, Kommunikationskanälen und ständig wechselnden Tools überfordert kognitiv und emotional. Beschäftigte empfinden das Jonglieren mit E-Mails, Slack, Videokonferenzen und Projektsystemen als anstrengend. Der ständige Konflikt zwischen Konzentration und digitaler Ablenkung gefährdet nicht nur die Produktivität, sondern auch die mentale Gesundheit.

Die unterschätzte Last der „Fear of Missing Out“

Hinzu kommen digitale Ärgernisse wie instabile Verbindungen, schlecht gestaltete Tools oder mangelnde Barrierefreiheit. Besonders ältere Mitarbeitende und Menschen mit Behinderungen fühlen sich dadurch unsicher oder hilflos. Diese Frustration verstärkt das Gefühl von Ausgrenzung und Kontrollverlust – ein Warnsignal für Führungskräfte.

Ein weiterer Stressfaktor ist die „Fear of Missing Out“ (FoMO): die Angst, wichtige Informationen, Aufgaben oder soziale Interaktionen zu verpassen. Sie hält Beschäftigte in ständiger Wachsamkeit – selbst außerhalb der Arbeitszeit. Push-Nachrichten oder E-Mails während Meetings erzeugen eine nervöse Grundspannung, die kaum Pausen zulässt. Ironischerweise geht damit genau das verloren, was digitale Tools eigentlich schaffen sollten: Struktur, Transparenz und Übersicht.


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Digitale Arbeit braucht psychologische Gestaltung

All diese Belastungen bündeln sich im Konzept der „digitalen Arbeitsplatzintensität“. Es beschreibt die emotionalen, kognitiven und sozialen Anforderungen digitaler Arbeit. Anders als physische Belastungen sind diese Effekte oft unsichtbar und schwer messbar. Sie entwickeln sich schleichend – mit steigender Gefahr von Burnout, innerer Kündigung und langfristigen Gesundheitsschäden.

Für Unternehmen ergibt sich daraus ein klarer Auftrag: Digitale Arbeit muss nicht nur technisch, sondern auch psychologisch gestaltet werden. Das beginnt mit einem kritischen Blick auf Kommunikationskultur, Tool-Landschaft und Erreichbarkeitserwartungen. Wer ständige Reaktionen fordert, provoziert Stress und untergräbt Selbstbestimmung. Führungskräfte müssen lernen, virtuelle Präsenz nicht mit Produktivität gleichzusetzen. Vertrauen und Ergebnisse zählen mehr als Kontrolle.

Digitale Arbeitsformen sind kein Selbstläufer

Organisationen sollten gezielt Kompetenzen fördern, um die digitale Intensität zu bewältigen. Dazu gehören Trainings zu Selbstorganisation, digitale Achtsamkeit, klare Kommunikationsregeln und individuelle Unterstützungsangebote. Auch technische Lösungen können entlasten – etwa durch benutzerfreundliche Oberflächen, weniger Benachrichtigungen oder zentralisierte Kommunikationskanäle. Entscheidend ist der systematische Blick auf die Nutzererfahrung: Wo erleben Mitarbeitende Friktionen, Überforderung oder Unsicherheit?

Die Forschung zeigt: Digitale Arbeitsformen sind kein Selbstläufer. Ihr Erfolg hängt davon ab, wie Unternehmen die Belastungen angehen. Es reicht nicht, Tools einzuführen – sie müssen sinnvoll eingebettet, dosiert und kulturell reflektiert werden. Nur so entsteht ein digitaler Arbeitsplatz, der unterstützt statt überfordert, der befreit statt vereinnahmt.

In Zeiten knapper Arbeitskräfte und hoher Wechselbereitschaft wird das Wohlbefinden digitaler Mitarbeitender zum Schlüssel für Erfolg. Wer diesen Zusammenhang erkennt und handelt, sichern sich Loyalität, Leistung und eine zukunftsfähige Arbeitskultur.

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Sabine Hockling

Die Chefredakteurin Sabine Hockling hat WIR SIND DER WANDEL ins Leben gerufen. Die Wirtschaftsjournalistin und SPIEGEL-Bestsellerautorin beschäftigt sich seit über 20 Jahren mit den Veränderungen unserer Arbeitswelt. Als Autorin, Herausgeberin und Ghostwriterin veröffentlicht sie regelmäßig Sachbücher – seit 2023 in dem von ihr gegründeten DIE RATGEBER VERLAG.