Forschende fanden heraus, wer bei Bewerbungen oder Beförderungen diskriminiert wird. Hohe Qualifikation begünstigt faire Urteile. Doch selbst geringfügige Zusatzinformationen können Stereotype wecken und die Entscheidung verzerren.
Menschen gehören oft mehreren Gruppen an, über die klischeehafte Vorstellungen bestehen. Diese Voreingenommenheit wirkt sich auf den Arbeitsmarkt aus: Der Verdacht, wegen Geschlecht, sexueller Orientierung oder Migrationshintergrund benachteiligt zu werden, beschäftigt viele Bewerber:innen. Ob sachfremde Gründe wie Gruppenzugehörigkeit oder nur fachliche Qualifikationen bei der Stellenbesetzung zählen, untersuchte ein Team um Sozialpsychologin Melanie Steffens von der Rheinland-Pfälzischen Technischen Universität Kaiserslautern-Landau (RPTU) in zwei Studien. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) förderte die Experimente.
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In einer aktuellen Veröffentlichung in „Collabra: Psychology“ bewerteten 212 Teilnehmende fiktive Bewerbungen von Chirurginnen. Die zufällig ausgewählten Personen, mit und ohne Führungserfahrung, entschieden, welche Frauen sie einstellen würden. Die Bewerberinnen unterschieden, welche Frauen sie einstellen würden. Die Bewerberinnen unterschieden sich in Hautfarbe und sexueller Orientierung, erkennbar durch Fotos und Zusatzinformationen. Sie beschrieben sich mit Kompetenz- oder Wärme-bezogenen Eigenschaften. Kompetenz-Eigenschaften wie Durchsetzungsstärke gelten als traditionell maskulin, während Wärme-Eigenschaften wie Teamorientiertheit als feminin eingestuft werden.
Hohe Qualifikation überstrahlt negative Stereotype
„In der Chirurginnen-Studie haben wir zu unserer Überraschung keine Hinweise auf Diskriminierung gefunden“, fasst Steffens zusammen. Die Bewerbung auf eine Führungsposition reichte aus, um negative Stereotype zu überstrahlen. Alle Frauen wurden unabhängig von Gruppenzugehörigkeit oder Eigenschaften positiv beurteilt. Die Studie zeichnete sich durch eine große Stichprobe aus: Jede Person beurteilte 32 Bewerbungen. In klassischen Studien bewerteten Teilnehmende oft nur eine Bewerbung, was Diskriminierung überschätzen könnte, da sie im Einzelfall größer erscheint als im Durchschnitt.
In einer früheren Untersuchung im „Journal of Applied Social Psychology“ beurteilten 746 Teilnehmende Bewerberinnen mit deutschem und türkischem Namen. Sie erhielten entweder nur positive Informationen oder auch Hinweise auf berufliche Schwächen. Diese Schwächen wurden als „traditionell maskulin“ oder „traditionell feminin“ eingestuft. Steffens erklärt: „Traditionell maskulin war etwa, dass Bewerberinnen in einem vorangegangenen Projekt Entscheidungen ohne Absprache mit dem Team getroffen hatten.“ Traditionell feminin war, dass sich eine Bewerberin sich nicht traute, ihre Meinung zu äußern. Die Teilnehmenden entschieden, welche Frauen sie aus einem fiktiven Team ausschließen oder befördern würden.
Bereits kleine Zusatzinformationen können Stereotype aktivieren
Das Ergebnis: Deutsche und türkische Frauen wurden gleichermaßen befördert, wenn keine Schwächen erwähnt wurden, die Türkinnen sogar etwas mehr. Eine typisch feminine Schwäche führte jedoch dazu, dass die Türkin öfter ausgeschlossen wurde als die Deutsche. „Unsere Interpretation ist, dass für Türkinnen ein negatives Frauenstereotyp leichter aktiviert wird als für Deutsche.“ Umgekehrt war das Ergebnis bei typisch maskuliner Schwäche: Hier wurde die Deutsche häufiger ausgeschlossen als die Türkin. Vorschreibende Stereotype für „Karrierefrauen“ dürfen demnach von Türkinnen eher überschritten werden als von deutschen Frauen.
Steffens zieht das Fazit: „Eine sehr gute Qualifikation ist eine gute Voraussetzung dafür, fair beurteilt zu werden. Kleine Zusatzinformationen können allerdings Stereotype und Diskriminierungsmuster aktivieren.“ Bei mehreren Gruppenzugehörigkeiten (türkisch-weiblich, weiblich-schwarz-lesbisch) sind die Auswirkungen komplex und schwer vorherzusagen. Diese Erkenntnisse sind nicht nur für Berufstätige bedeutsam: „Auch bei Bewerbungen um Studienplätze oder Praktika ist zu erwarten, dass ähnliche Prozesse ablaufen.“ Die Sozialpsychologin empfiehlt: Bewerbende sollten ihre Qualifikationen betonen; Urteilende sollten soziale Gruppenzugehörigkeit ignorieren und sich bewusst sein, dass Informationen je nach Person unterschiedlich gewichtet werden.