Diversität in der Kreativität

Schriftzug Be creative auf einem Zettel

Die Chaoten sind die Kreativen, die Ordentlichen die Langweiler. So die Mär, mit der man gründlich aufräumen sollte. Denn in jedem steckt kreatives Potenzial. Entscheidend ist vielmehr, welches Umfeld wir brauchen, um kreativ zu sein.

Ein Gastbeitrag von Jutta Klein

Ich muss schon manchmal über die stolzen Chaoten und selbsternannten Kreativen schmunzeln, die von sich selbst mit voller Überzeugung behaupten, sie seien die Kreativität in Höchstform. Sie posaunen heraus, dass sie eigentlich immer und überall kreativ sind, selbst im größten Stress und zwischen meterhohen Aktenbergen. Schließlich werden von ihnen auch tolle Ideen gefordert – rund um die Uhr und auf Knopfdruck.

Braucht es jedoch einen kreativen Lösungsansatz für ein vorliegendes Kundenproblem, ist Kreativer Nr. 1 ganz ruhig und lässt sich nicht mehr sehen: Er leide gerade unter einer Kreativitätsblockade. Auch Kreativer Nr. 2 zieht sich klammheimlich an seinen Arbeitsplatz zurück: Er müsse erst einmal seine eigenen Probleme lösen, was in diesem großen Durcheinander auf seinem Schreibtisch gar nicht so einfach sei. Und was ist mit dem Kreativen Nr. 3? Hat er einen kreativen Vorschlag zur Lösung des Problems? Nein, auch er habe gerade keinen parat. Er schlage vor, dass man doch mit vier bis fünf Kollegen mal schnell ein Brainstorming durchführe.

Wie fördern wir die Kreativität im Alltag?

Was fällt hier auf? Die selbsternannten Kreativen sind nicht immer und überall so kreativ, wie sie von sich selbst behaupten. Und wenn sie nicht weiterkommen, greifen auch sie auf Kreativitätstechniken zurück. Dabei sind diese Techniken nichts anderes als klar strukturierte Vorgehensweisen, mit denen die Ideenfindung gefördert wird. Sie stellen also eine Art Ordnung und Struktur dar. Eigentlich etwas, was die chaotischen Kreativen für sich so gar nicht mögen.

Damit wir uns selbst nicht von Chancen ausschließen und tolle Ideen verpassen, sollten wir sowohl den „chaotischen Kreativen“ als auch den „ordentlichen Kreativen“ zulassen. Denn wir sind verschieden und haben unterschiedliche Persönlichkeiten. Es gibt jene, die das Chaos brauchen, um kreativ zu sein und es gibt solche, die Ordnung und Struktur benötigen, um tolle Ideen zu entwickeln. Lassen wir also jedem seine Persönlichkeit und seine Umgebung, in der er kreativ sein kann, ob das nun die Ordnung oder das Chaos ist. Fördern wir den Mix aus beidem: Diversität in der Kreativität sozusagen. Denn so profitieren wir von all den verschiedenen Fähigkeiten. Genauso, wie die übertriebene Ordnung die Kreativität behindert, ist auch das alleinige heillose Chaos ein Kreativitätskiller.

Wunsch nach mehr Ordnung

Kommen wir noch einmal auf die Kreativitätstechniken zurück. Typisch für solche Übungen ist, dass es während der Anwendung zu einer Art kontrollierter Unordnung für eine begrenzte Zeit kommt. Ist die Übung beendet, wird wieder aufgeräumt. Wenn ich selbst an einem Buch oder Artikel schreibe oder an einem Konzept arbeite, sieht mein Schreibtisch aus, als hätte dort eine Bombe eingeschlagen. Ich suche und sammle alles zusammen, was ich für das Thema benötige oder auch nur meine zu benötigen. Sobald ich aber fertig bin, wird alles wieder weggeräumt. Denn die diversen Kaffeetassen, Kekskrümel und Essensreste möchte ich definitiv nicht mehr vorfinden, wenn ich mit meiner nächsten Aufgabe starte.

Und genau hier haben viele Menschen ein Problem. Sie scheinen in ihrer eigenen Unordnung zu ersticken, fühlen sich zutiefst unwohl, stehen sich selbst damit im Weg – und wären gerne etwas ordentlicher. Andersherum habe ich es noch nie mit jemandem zu tun gehabt, der ordentlich war und sich gewünscht hat, chaotischer zu sein.

Wenn der Wunsch nach mehr Ordnung sehr ausgeprägt ist, brauchen Betroffene häufig Unterstützung, damit auch sie wieder ihr kreatives Potenzial entfalten können. Damit also jeder im Team seinen Beitrag im Kreativitätsprozess leisten kann, sollten wir nicht nur den selbsternannten Kreativen den Vortritt lassen, sondern gleichfalls Möglichkeiten für die Ordnungsliebenden schaffen, von denen sehr häufig tolle Ideen kommen. Und wir sollten diejenigen unterstützen, die sich mehr Ordnung wünschen, aber allein nicht wissen, wo sie anfangen sollen.

 

Nach Bankausbildung und BWL-Studium hat Jutta Klein in verschiedenen Funktionen und Führungspositionen in der Strategieberatung, der Versicherung und im Gesundheitswesen gearbeitet. Heute geht sie ihrer Leidenschaft, der Ordnung, nach. Sie ist Ordnungs-Coach und Autorin des Buches Diamond for Life: Wie Sie durch Ordnung und Klarheit ein erfülltes Leben führen.

die Chefin-Redaktion

Unter der Autor:innen-Bezeichnung REDAKTION veröffentlichte „die Chefin – der Blog für Führungsfrauen“ Gastbeiträge sowie Agenturmeldungen. Im August 2020 gingen die Inhalte des Blogs auf die Webseite WIR SIND DER WANDEL über.