Ein kluges Buch für mehr Geschlechtergerechtigkeit

Frau schaut vor Hauswand hervor

In nur einer Nacht habe ich das wirklich exzellente Buch von Anke Domscheit-Berg verschlungen. Es ist eines der klügsten Bücher zur Geschlechtergerechtigkeitsdebatte, das in jüngster Zeit auf den Markt gekommen ist. Die Unternehmerin und Publizistin hat die Gleichberechtigungsdebatte um eine wichtige unaufgeregte und erwachsene Stimme bereichert.

Hier ein Auszug aus meiner Rezension des Buches für ZEIT ONLINE:

Ein bisschen gleich ist nicht genug soll ein Weckruf sein. Darin stellt Domscheit-Berg nüchtern dar, warum überhaupt nicht die Rede davon sein kann, dass Männer und Frauen hierzulande annähernd gleiche oder wenigstens vergleichbare Chancen und Bedingungen haben. Sie erklärt, warum Sexismus nach wie vor ein Problem ist und dass es keine einfachen Erklärungen für die Ungleichheit gibt.

Ruhig und präzise seziert die Autorin in ihrem Buch die Komplexität der Geschlechtergerechtigkeitsfrage. Im ersten Teil beschreibt sie die Ungleichheit anhand von Daten wie etwa den Männer- und Frauenlöhnen. Die bekannten Studien zum Gender Pay Gap bereichert die Autorin um Daten zur Rentenlücke, die zwischen Männern und Frauen immerhin 57 Prozent beträgt. Außerdem geht sie auf die Rechtslage zum Unterhaltsanspruch von Alleinerziehenden ein (die allermeisten sind Frauen). Zahlt der Vater nicht, springt der Staat nur für maximal sechs Jahre ein und generell nicht mehr, wenn das Kind über zwölf Jahre alt ist. “Als hätten Jugendliche in der Pubertät keinen Bedarf an neuer Kleidung, Wohnraum, gesunder Ernährung, vernünftiger Bildung oder Freizeitgestaltung”, schreibt Domscheit-Berg. Die Autorin lässt auch die Vermögensverteilung zwischen den Geschlechtern nicht unerwähnt: Bezieht man neben dem Arbeitseinkommen auch Kapital- und Vermietungserlöse sowie Renten, Pensionen und Lohnersatzleistungen ein, dann haben Männer im Schnitt 53 Prozent mehr Vermögen als Frauen.

Domscheit-Berg, die selbst Politikerin der Piratenpartei war, beschreibt auch die geringe Beteiligung von Frauen in der Politik, zeigt sachlich die Männerdominanz in Behörden, Gremien und Ministerien auf. Selbst in den Medien fehlen Frauen an der Spitze. Vieles hat man schon gelesen, andere Daten dagegen sind selbst versierten Feministinnen neu. Zugleich überfrachtet die Autorin die Leserinnen und Leser nicht mit Studienergebnissen

Die Schieflage hat Gründe

Die Ungleichheit zwischen Männern und Frauen hat Gründe. Aber welche stimmen wirklich? Das beleuchtet Domscheit-Berg im zweiten Teil des Buches. Sie unterzieht eine Reihe von Erklärungen einem Check, etwa dass Frauen einfach den falschen Beruf ergriffen und statt eines sogenannten Mint-Fachs (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik) ein geisteswissenschaftliches Fach studierten. Doch tatsächlich ist der Gender Pay Gap in den Mint-Berufen, wo Frauen händeringend gesucht werden, sogar noch größer als in anderen Bereichen – eine Frau schadet sich also auch noch, wenn sie das “Richtige” studiert. Wie kommt das?

Mit biologistischen Erklärungen hält sich Domscheit-Berg nicht zu lange auf. Stattdessen zeigt die Autorin, dass die Ursachen für die Geschlechterungerechtigkeit in einem komplexen Zusammenspiel von Erziehung, Prägung und starren Machtverhältnissen liegen.

Eine kluge Anleitung zur Erschaffung einer Welt mit mehr Gleichberechtigung

Domscheit-Berg reduziert die Gleichberechtigungsfrage aber nicht auf den Arbeitsmarkt oder die Frage, wer wie viel im Haushalt arbeitet. Sie thematisiert auch Sexismus und Gewalt sowie die private Partnerwahl, die immer noch entscheidend für ein Frauenleben ist.

Sie belässt es außerdem nicht bei der Analyse. Sie liefert konkrete Lösungen. Für die Frauen, die Männer, die Politik und die Wirtschaft. Auch hier hat man manches bereits gehört. Etwa die Forderung, das Ehegattensplitting abzuschaffen und Individualbesteuerung abhängig vom Familienstand einzuführen. Anderes wie etwa konkrete Vorschläge zur Beseitigung des Lohnunterschieds sind teilweise zu wenig bekannt. Auch die Forderung, Verbandsklagen gegen Diskriminierung rechtlich möglich zu machen, sind in der Gleichberechtigungsdebatte lange nicht mehr oder kaum diskutiert worden.

Natürlich erfindet die Publizistin die Welt nicht neu, aber sie stellt unlängst vergessene mit hoch aktuellen Lösungsansätzen zusammen und weist auf Möglichkeiten zur pragmatischen Umsetzung hin. Ihr Buch ist eine kluge Anleitung zur Erschaffung einer Welt mit mehr Gleichberechtigung. Und damit zeigt sie, dass in ihr eine Vordenkerin, eine Visionärin steckt – aber eine, die ausgewogen debattieren kann, weil sie lebenserfahren genug ist.

Die ganze Rezension gibt es hier.

Tina Groll

Tina Groll arbeitet hauptberuflich als Redakteurin bei ZEIT ONLINE im Ressort Politik & Wirtschaft. 2008 zeichnete sie das Medium Magazin als eine der “Top 30 Journalisten unter 30 Jahren“ aus. Sie ist Mitglied im Deutschen Presserat sowie als Vorsitzende der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union tätig. Als Autorin von WIR SIND DER WANDEL beschäftigt sie sich mit der Arbeitsmarkt-, Sozial- und Gesundheitspolitik.

Kommentare

  • Wenn ich mich in unserer großen Landesbehörde umschaue, bei Sitzungen und Besprechungen um den Tisch schaue, dann sehe ich dort nur sehr, sehr wenige Frauen und die wenigen, die dort sitzen, haben sich so an die Männerwelt angepasst, dass man sie wohl irgendwie übersehen und durchgelassen hat. Ich sehe aber auch, dass Anstrengungen unternommen werden, um dieses Ungleichgewicht langfristig ein wenig auszugleichen. Dennoch: In unserer Behörde gibt es keine einzige weibliche Abteilungsleiterin und nur eine einzige Dezernatsleiterin.
    Das Buch interessiert mich, ich werde es mir besorgen.

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