Gefühle am Arbeitsplatz sind für viele Menschen immer noch ein Tabu, obwohl sie in jedem Unternehmen täglich eine zentrale Rolle spielen. Wie ein bewusster Umgang mit schwierigen Gefühlen Teams weiterbringen kann, weiß Vivian Dittmar.
Ein Gastbeitrag von Vivian Dittmar
Während es bis vor kurzem für Führungskräfte noch ganz normal war, ihre angestauten Emotionen ab und zu an Mitarbeitern abzureagieren, ist diese Lösung heute immer weniger salonfähig. Führungskräfte sind also gefordert, einen neuen Umgang mit schwierigen Emotionen zu finden – vor allem, wenn sie hochqualifizierte und entsprechend selbstbewusste Mitarbeiter auf Dauer halten wollen. Das gleiche gilt natürlich auch unter Kollegen. Denn der Abschied vom Command-and-Control-Verhalten bedeutet auch, dass mehr Beziehungen auf Augenhöhe gelebt werden – wodurch Gefühle und Emotionen plötzlich einen neuen Stellenwert bekommen.
Emotionale Altlasten verzerren unsere Wahrnehmung
Eine besondere Herausforderung stellt der Umgang mit emotionalen Altlasten dar. Diese nicht gefühlten Gefühle aus der Vergangenheit trägt jeder in seinem emotionalen Rucksack mit sich herum. Und auch wenn wir das gerne so hätten, er lässt sich leider nicht einfach beim Pförtner abgeben. Wir haben ständig mit ihm umzugehen – ob es uns bewusst ist oder nicht. Konkret bedeutet das, dass immer wieder Dinge passieren, die in uns unangemessene Reaktionen auslösen. Leider merken wir das oft gar nicht oder erst, wenn es zu spät ist. Unsere Wahrnehmung wird verzerrt, unsere emotionale Steuerung versagt, wir werden unsachlich und irrational.
Oft sind es nur Kleinigkeiten, die diese Reaktionen in Gang setzen: ein Kollege, der zu spät zu einer Besprechung erscheint. Eine bestimmte Art unseres Chefs, uns an eine Deadline zu erinnern. Eine E-Mail, die aus Versehen ohne Anhang rausging. Was uns meistens nicht klar ist: Diese emotionalen Prozesse gehören eigentlich nicht in die gegenwärtige Situation. Sie sind Überreste aus längst vergangenen Erfahrungen, die wir nicht verarbeitet haben. Deshalb reagieren Menschen auch so unterschiedlich auf diese Stressoren. Was den einen auf die Palme bringt, ist für den anderen kein Thema.
Emotionale Altlasten belasten berufliche und private Beziehungen
Diese nicht verarbeiteten Erfahrungen warten in unserem Rucksack auf eine Gelegenheit, gefühlt zu werden. Dabei ist es für unser System gar nicht gesund, diese über Jahrzehnte mit uns herumzutragen. Doch das, was für unsere emotionale Heilung gut wäre, ist nicht unbedingt gut für unsere Beziehungen. Ganz im Gegenteil, berufliche und private Beziehungen können sehr darunter leiden, wenn immer wieder emotionale Altlasten ins Spiel kommen – vor allem wenn uns das nicht bewusst ist.
Emotionale Aktivierungen bei uns selbst und anderen zu erkennen ist der erste Schritt, um einen neuen Umgang mit diesen herausfordernden Situationen zu entwickeln. Ich vergleiche emotionale Ladungen in Konfliktsituationen gerne mit Alkohol am Steuer: Wenn ich weiß, dass ich alkoholisiert Auto fahre, ist das schon schlimm genug. Wenn mir jedoch nicht klar ist, dass ich betrunken bin, ist das ungleich gefährlicher. Und natürlich ist ein Bewusstsein, dass ich gerade nicht ganz bei mir bin, die Voraussetzung dafür, dass ich mich in diesem Zustand nicht ans Steuer setze bzw. keine wichtigen Auseinandersetzungen führe.
Raus aus der Dramaschleife
Doch woran erkennen wir die emotionale Aktivierung? Gängige Symptome sind: Tunnelblick, veränderte Stimmlage, erhöhter Puls, Gedankenkarussell, starke Emotionalität oder auch die plötzliche Abwesenheit von jeglichem Gefühl.
Wenn wir erkannt haben, was Sache ist, geht es darum, einen neuen Umgang mit dem schwierigen Gepäck zu entwickeln. Die Lästerrunde an der Kaffeemaschine ist zwar ein probates Mittel, uns vorübergehend Erleichterung zu verschaffen, wirkliche Klärung und Entwicklung geschieht dadurch jedoch nicht. Um den Konflikt zwischen dem, was für unseren Rucksack gut wäre, und dem, was unsere Beziehungen vertragen, aufzulösen, empfehle ich die bewusste Entladung. Stark vereinfacht ausgedrückt heißt das, sich in einem vertraulichen Rahmen fünf Minuten alles von der Seele zu reden und dadurch in einen geklärten inneren Zustand zurückzufinden.
Anders als beim Lästern geht es hier nicht darum, schlecht über andere zu reden, sondern genau zu spüren, welche Emotionen das Verhalten des anderen in mir auslöst. Ein kleiner, aber feiner Unterschied. Dabei setzt die bewusste Entladung auf Vertrautheit: unser Gesprächs- bzw. Entladungspartner ist nicht nur Dritten gegenüber zu absoluter Verschwiegenheit verpflichtet, er darf auch mich nicht mehr auf das Gesagte ansprechen. So verhindern wir, dass das, was wir so unverblümt und ungefiltert herauslassen, uns hinterher um die Ohren fliegt.
In vielen Unternehmen spielen Emotionen offiziell keine Rolle
In meiner Arbeit mit Teams erlebe ich, dass es heute riesige Unterschiede gibt, was die emotionale Kompetenz betrifft. Leider spielen in vielen Unternehmen Emotionen offiziell keine Rolle, dominieren allerdings gerade deshalb alles gewissermaßen untergründig. In anderen Unternehmen ist es für Mitarbeiter und Führungskräfte selbstverständlich, offen anzusprechen, wenn emotionale Altlasten ihr Unwesen treiben. Das Gute: Beim Thema emotionale Hygiene kann jeder einen Anfang machen, indem er oder sie beginnt, sich bewusst mit den eigenen Altlasten zu befassen. Was zu mehr Gelassenheit und Souveränität im Umgang mit den Aktivierungen anderer führt und einen neuen Standard von Reife setzt, der für andere Teammitglieder inspirierend sein kann.
Vivian Dittmar, Gründerin der „Be the Change“-Stiftung für kulturellen Wandel, gibt Seminare zur Entwicklung sozialer und emotionaler Kompetenz sowie Kurse zu den Themen Beziehungsfähigkeit und Gefühle. In Der emotionale Rucksack zeigt sie, wie man lernen kann, belastende Gefühle loszulassen.