Entlastung für Pflegende

Mann sitzt auf Sofa mit Gesicht in den Händen

Wer Angehörige pflegt und gleichzeitig seinem Job nachgeht, ist einer großen Belastung ausgesetzt. Das soll sich jetzt verbessern. Dafür macht der Unabhängige Beirat für die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf konkrete Vorschläge.

Der Unabhängige Beirat für die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf wurde 2015 vom Bundesfamilienministerium eingesetzt. Seitdem befasst sich der Expertenrat mit allgemeinen und spezifischen Fragen zur Vereinbarkeit von Pflege und Beruf. In seinem neuen Teilbericht empfiehlt das Fachgremium die bisherigen gesetzlichen Regelungen radikal zu vereinfachen. Das heißt, bezahlte Freistellungen und Arbeitszeitabsenkungen im Job stark auszuweiten. Außerdem liefert der Bericht erstmals konkrete Vorschläge für eine Ausgestaltung des Familienpflegegelds. Dieses soll eine Lohnersatzleistung sein, ähnlich wie das Elterngeld für Pflegende – und zwar für 36 Monate. Denn mehr als die Hälfte der über vier Millionen Pflegebedürftigen in häuslicher Umgebung werden in Deutschland von ihren Familien und Angehörigen versorgt.

Wir sind der Wandel-NewsletterDabei ist die häusliche Pflege für die Angehörigen eine enorme Belastung – und zwar nicht nur, weil sie oft Schwerstarbeit ist, sondern auch, weil die bisherigen Regelungen Pflegende kaum sozial absichert. Die finanziellen Hilfen für pflegende Angehörige sind, so geht es aus dem Bericht hervor, absolut unzureichend. Zwar können Menschen während der Pflegezeit ein zinsloses Darlehen beantragen, aber kaum jemand macht davon Gebrauch. Bei der Einführung ging man von mehreren Tausend bis Zehntausenden Inanspruchnahmen pro Jahr aus, insgesamt haben aber seit 2015 lediglich 921 Personen davon Gebrauch gemacht.

Pflegende sind nicht nur Kinder, sondern auch Freunde, entferntere Verwandte oder Nachbarn

Der Expertenbeirat schlägt vor, endlich eine Lohnersatzleistung einzuführen und die verschiedenen Gesetze für Pflegezeiten in einem zusammenzuführen. Denn kaum jemand weiß oder versteht, dass aktuell zwei gesetzliche Grundlagen existieren, um im Job Freistellungen für die Pflege von Angehörigen nutzen zu können. Hinzu kommt, dass die bisherigen Regelungen von einer Hauptpflegeperson ausgehen, die ihre Berufstätigkeit entweder stark einschränkt oder ganz aufgibt.

Im Jahr 2022 erscheint das aber nicht mehr zeitgemäß. Denn Pflegende sind nicht nur Kinder, es sind auch Freunde, entferntere Verwandte oder Nachbarn. Deshalb spricht sich der Beirat dafür aus, im Zuge der kommenden Reform die Familienpflegezeit und das Familienpflegegeld auf einen erweiterten Personenkreis auszuweiten. Und dass mehrere Personen das Familienpflegegeld in Anspruch nehmen und dabei die Pflegezeit flexibel untereinander aufteilen können – wie beim Elterngeld.

Andere europäische Länder machen das schon vor: In Schweden haben neben Verwandten auch Menschen aus Freundschafts- und Nachbarschaftsverhältnissen der pflegebedürftigen Person Anspruch auf die vollständige oder teilweise Freistellung und die finanzielle Leistung.

Wie hoch soll das Familienpflegegeld sein und wie lange soll man es beziehen dürfen?

Der Expertenrat schlägt dafür einen zeitlichen Rahmen von 36 Monaten vor. Dabei könnten sich Pflegende maximal sechs Monate lang ganz freistellen lassen und sich für den Rest der Zeit in Teilfreistellung mit mindestens 15 Wochenarbeitsstunden begeben. Bei der Höhe der Lohnersatzleistung sprechen sich die Experten zwar für eine Analogie mit dem Elterngeld aus, geben jedoch zu bedenken, dass es dabei zu erheblichen Benachteiligungen kommen kann. Denn in der Regel sind die Pflegenden älter, auch ist der Gehaltsunterschied zwischen Männern und Frauen oft sehr groß.

Daher ist wichtig, dass Pflegende, die für diese Tätigkeit ihre Erwerbsarbeit reduzieren, auch bei der Rente berücksichtigt werden. Ein weiteres Manko der heutigen Regelungen, die oft dazu führen, dass pflegende Angehörige Einbußen bei der Rente haben, weil sie bislang unzureichend in der Rentenversicherung abgesichert sind.

Ferner sollen die bisherigen Regelungen, die die Freistellungen regeln, entbürokratisiert werden. Bisher nämlich sind Beschäftigte in kleinen Betrieben mit weniger als 15 Mitarbeitenden benachteiligt, weil für kleine Unternehmen die Regelungen nicht greifen. Das benachteiligt vor allem Frauen, da sie besonders häufig in Kleinbetrieben wie beispielsweise Arztpraxen oder Friseursalons beschäftigt sind. Auch sollen künftig Beschäftigte in Kleinbetrieben wenigstens ein Recht auf eine volle Freistellung haben sowie das Recht, Familienpflegegeld zu erhalten.

Tina Groll

Tina Groll arbeitet hauptberuflich als Redakteurin bei ZEIT ONLINE im Ressort Politik & Wirtschaft. 2008 zeichnete sie das Medium Magazin als eine der “Top 30 Journalisten unter 30 Jahren“ aus. Sie ist Mitglied im Deutschen Presserat sowie als Vorsitzende der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union tätig. Als Autorin von WIR SIND DER WANDEL beschäftigt sie sich mit der Arbeitsmarkt-, Sozial- und Gesundheitspolitik.