Erfolgreich durch Nichtstun

Zwei Beine hängen aus Autofenster

Was Psychologen und Hirnforscher in den letzten zwei Jahrzehnten herausgefunden haben, stellt vieles auf den Kopf, was wir über uns zu wissen glaubten. Denn lange unterlagen wir der irrigen Annahme, alle unsere Handlungen und Entscheidungen seien das Ergebnis bewusster Überlegungen.

Ein Gastbeitrag von Andrea Jolander

Tatsächlich schätzt man den Anteil der Hirnaktivitäten, die wir mitbekommen, auf lediglich ein bis fünf Prozent. Der weitaus größte Teil dessen, was da oben vor sich geht, entzieht sich komplett unserer Kontrolle.

Manche Menschen empfinden diese Vorstellung als beängstigend. Wenn Sie sich mit den Fähigkeiten Ihres Unbewussten beschäftigen, werden Sie jedoch feststellen, dass sie nichts Bedrohliches besitzen, und dass sie uns nicht beherrschen, sondern uns dienen.

Das Unbewusste umfasst beispielsweise die Kontrolle unserer Körper- und Organfunktionen sowie unsere angeborenen Instinkte. Teil des Unbewussten ist außerdem das riesige Archiv in unserem Kopf, das alle unsere Erfahrungen umfasst. Sie prägen uns, ob wir uns an sie erinnern können, ob wir sie längst vergessen haben oder ob sie aus der frühesten Lebenszeit stammen, auf die wir keinen Zugriff haben. Entscheidende Grundsteine unserer Persönlichkeit wurden in den ersten Jahren gelegt, und was in dieser Zeit geschah, kann darüber entscheiden, ob wir das Leben mit seinen Aufgaben meistern oder daran scheitern, und sogar, wie körperlich robust oder anfällig wir sind.

Schlafzeiten machen erheblich klüger

Das Unbewusste schiebt 24-Stunden-Schichten, selbst dann, wenn sich unser Verstand nachts für etwa sieben Stunden eine Auszeit nimmt. Wissenschaftler haben herausgefunden, dass Ratten im Schlaf ein neu erlerntes Labyrinth immer wieder durchlaufen. Und zwar vorwärts, rückwärts, in Teilabschnitten und in zwanzigfacher Geschwindigkeit!

Bei uns läuft das nicht anders. Im Schlaf erledigt unser Gehirn Dinge, bei denen der bewusste Teil – und Ablenkung von außen – nur stört. Während dieser Zeit wiederholt es wie ein braver Schüler beim Vokabellernen unermüdlich neu erworbenes Wissen und verfestigt es. Es stellt Verknüpfungen her und löst damit Probleme oder lässt uns kreativ sein. Auch psychische Verletzungen und Kränkungen versucht unser Gehirn im Schlaf zu reparieren, hauptsächlich in der Phase, in der wir besonders intensiv träumen. Wer stolz darauf ist, dass er scheinbar mit wenig Schlaf auskommt, weiß nur noch nicht, dass die Schlafzeiten ihn erheblich klüger machen als die Wachzeiten.

Alles, was automatisch abläuft, erledigt das Unbewusste

Was nachts der Schlaf bewirkt, erledigt tagsüber der sogenannte „Default Mode“. Bevor wir uns aber anschauen, wie wichtig dieser Zustand für unsere Leistungsfähigkeit ist, möchte ich Ihnen etwas über automatisierte Abläufe erzählen.

Unser Gehirn macht einen klaren Unterschied zwischen neuen Informationen und neuen Handlungsabläufen. Neue Informationen findet es gut, denn sie können ihm helfen, noch besser für uns zu sorgen.

Was hingegen unseren Tagesablauf betrifft, greift es gern auf Routinen zurück. Alles, was automatisch abläuft, ohne dass wir Entscheidungen treffen müssen, kann das Unbewusste erledigen. Wir brauchen nicht mehr jeden Morgen darüber nachzudenken, wie Anziehen geht oder Kaffeekochen. Diese kleinen Unterprogramme laufen, einmal gestartet, automatisch ab. Während dieser Zeitspanne kann unser Gehirn sich ausruhen, zumindest von dem energieintensiveren bewussten Denken. Solche automatisierten Tätigkeiten liebt es auch deshalb, weil es in dieser Zeit prima an neuen Lösungen herumtüfteln kann.

Die besten Ideen kommen, während man etwas tut, was man schon tausendmal getan hat

Kommen wir zurück zum „Default Mode“, sozusagen der Standardeinstellung unseres Gehirns. Mit diesem Begriff bezeichnen die Wissenschaftler einen Zustand, in dem wir normalerweise ungefähr die Hälfte unserer wachen Zeit verbringen. Ganz bestimmte Hirnareale sind dann miteinander vernetzt, und unser bewusstes Denken ruht. Unser Unbewusstes hingegen ist sehr aktiv, stellt Zusammenhänge her und entwickelt neue Ideen. Andersherum ausgedrückt: Wenn wir unserem Gehirn nicht genug Zeit geben, in Standardeinstellung zu gehen, können wir uns Dinge schlechter merken, wir haben keine Ideen und wir können weder uns selbst noch andere begreifen. Wenn wir uns weiterentwickeln und geistig und sozial, also im Umgang mit anderen Menschen, leistungsfähig bleiben wollen, brauchen wir die Zeiten, in denen bewusstes Denken und Aufmerksamkeit ruhen und das unbewusste Denken mittels Verknüpfungen und Assoziationen seinen wichtigen Aufgaben nachkommt. Und das sind wie gesagt ungefähr fünfzig Prozent unseres Wachzustands.

In den „Default Mode“ kommen Sie übrigens nicht in völlig reizarmer Umgebung, sondern nur während automatisierter Abläufe – wenn Sie also etwas tun, das zur Routine geworden ist und das deshalb von Ihrem Unbewussten übernommen werden kann, während der bewusste Teil eine Auszeit nimmt. Jeden Tag gibt es unendlich viele Situationen, in denen unser Gehirn von Konzentration, also der Aufnahme von Reizen, auf Standardeinstellung umschaltet, also Verarbeitung, Einordnung und Weiterentwicklung der aufgenommenen Reize und Aufgaben. Das können kurze Wartezeiten an der Ampel sein, langweilige Autofahrten, das Warten auf die nächste Straßenbahn oder auf das Bestellte im Restaurant, aber auch Zähneputzen oder Laufen. Unsere besten Ideen haben wir, während wir etwas tun, das wir schon tausendmal getan haben.

Erholung durch den „Default Mode“

Wenn Sie diese Zeiten nicht mehr für die wichtigen Aufgaben Ihres Gehirns nutzen, ihm nicht mehr die Möglichkeit geben, in Standardeinstellung zu gehen, sondern wenn Sie, sobald Sie die Möglichkeit dazu haben, zum Handy greifen, um Ihrem Gehirn weiteren Input zuzuführen – dann kann das nach Meinung der Hirnforscher nur fatale Folgen haben, die wir noch gar nicht absehen können.

Nicht nur bei der Benutzung des Handys sind die scheinbar langweiligen Auszeiten wie kleine Kuren für Ihr Gehirn. Menschen, die ihre geschäftlichen E-Mails nur dreimal am Tag checken, fühlen sich konzentrierter, weniger gestresst und insgesamt wohler als die, die das ständig tun. Was kein Wunder ist, denn sie überfordern sich nicht mit ständiger Reizzufuhr.

Sollte ihre nächste Aufgabe eher analytischer Natur sein, brauchen Sie den „Default Mode“ anschließend, um sich zu erholen, denn bewusstes, fokussiertes Denken ist sehr anstrengend und kann nicht lange am Stück durchgehalten werden.

Erfordert Ihre nächste Aufgabe eher Ihre kreativen Fähigkeiten, sammeln Sie zunächst alle Informationen, die Sie brauchen. Tun Sie anschließend etwas, das nicht Ihre Konzentration benötigt und geben Sie Ihrem Unbewussten Zeit, mit dem Material zu arbeiten. Es wird sich melden, wenn es seine Aufgabe erfüllt hat.

Vielleicht weckt es Sie sogar mitten in der Nacht.

Die Ratgeber-Redaktion

Unter der Autor:innen-Bezeichnung REDAKTION veröffentlichten DIE RATGEBER von 2010 bis 2020 Gastbeiträge sowie Agenturmeldungen. Im August 2020 gingen die Inhalte von DIE RATGEBER auf die Webseite WIR SIND DER WANDEL über.