Feinfühlig und trotzdem zufrieden im Beruf

Frau steht vor vorbeifahrender U-Bahn

Trifft die Feinfühligkeit auf das Berufsleben, gilt es, die richtige Balance zwischen Feinfühligkeit und Arbeitsanforderungen zu finden. Wie das geht, weiß Nicole Lindner aus eigener Erfahrung.

Gerade sensible Menschen möchten bei ihrer täglichen Arbeit oft alles perfekt machen. Sie erledigen die ihnen übertragenen Aufgaben äußerst sorgsam. Leider vergessen sie dabei allzu oft ihre eigenen Bedürfnisse und sind dann überrascht, wenn sich irgendwann der Körper meldet und zu verstehen gibt, dass er eine Pause braucht. Doch das muss nicht sein. Es gibt Maßnahmen, die einer drohenden Überlastung vorbeugen.

Feinfühlige Menschen – insbesondere Hochsensible – haben von Natur aus ein sehr sensibles Nervensystem. Das heißt, sie nehmen alles das, was sie sehen, hören, riechen, schmecken oder fühlen intensiver wahr – und brauchen länger, um es zu verarbeiten. Kurz gesagt, sie nehmen ein Mehr an Eindrücken auf und müssen dieses Mehr auch verarbeiten – was wiederum schneller zu einer Reizüberflutung führt als bei Normalsensiblen.

Den Arbeitsalltag stressfreier gestalten

Nicht nur aus diesem Grund benötigen empfindsame Menschen zu ihnen passende Arbeitsbedingungen, welche das Beste aus ihnen hervorholen ohne sie zu überfordern. Die gute Nachricht: Feinfühlige können selbst sehr viel dazu tun, damit es im Job gut läuft. Die schlechte: Manchmal hat auch das im – oft fremdbestimmten – Arbeitsalltag seine Grenzen und ist leider nicht immer 1:1 umsetzbar Es gibt jedoch glücklicherweise eine ganze Menge Maßnahmen, die in der Hand des empfindsamen Menschen liegen.

Für jeden Menschen ist es wichtig, einen Tagesablauf zu haben, der den eigenen Bedürfnissen entgegenkommt – für Sensible im Normalfall noch viel mehr. Um dies zu erreichen ist es sinnvoll, sich in einer ruhigen Minute Gedanken darüber zu machen, was die eigene Person entspannt und was nicht. Hetze ich zum Beispiel jeden Tag durch einen riesigen Stau um fünf vor acht ins Büro und knalle mich an meinen Schreibtisch lässt mich das die tägliche Arbeit sicherlich alles andere als entspannt beginnen. Schon morgens fühlt man sich dann ausgebrannt, ohne überhaupt den Stift in die Hand genommen zu haben. Ob der Tag dann noch viel besser wird, ist die große Frage.

Schaffen Sie sich aktiv kleine Entspannungsinseln

Für einen gesunden Lebenswandel ist es unerlässlich, gut für sich zu sorgen. Dies fängt schon bei der Frage an, ob man ausreichend schläft, sich gesund ernährt und sich regelmäßig bewegt. Auch die Psyche spielt eine wichtige Rolle – wer ständig auf Anschlag funktioniert, läuft Gefahr, irgendwann überlastet zu sein und krank zu werden. Entspannungsinseln wirken dem entgegen, sie vermitteln ein Gefühl von „Zuhause sein“ und erleichtern es, im stressigen Alltag zu bestehen:

  • Beginnen Sie Ihren Tag so entspannt wie möglich – anstatt so lange wie möglich im Bett zu bleiben. Stehen Sie lieber 15 Minuten früher auf und genießen Sie einen Tee oder Kaffee, ein gesundes Frühstück oder die Zeilen Ihres Lieblingsbuches. Wichtig ist, dass Sie etwas finden, was Sie gut in den Tag starten lässt.
  • Sollten Sie wie viele andere auch morgens im Stau stehen, gestalten Sie diesen möglichst so angenehm wie möglich: Lauschen Sie Ihrer Lieblingsmusik oder genießen ein gutes Hörbuch. Verzichten Sie lieber auf oftmals aufwühlende Tagesnachrichten – diese könnten Sie zu früher Stunde schon unnötig belasten. Vielleicht gibt es ja auch die Option, den Stau komplett zu umgehen (z.B. mit einem anderen Anfahrtsweg, dem Fahren mit dem Rad, der Bahn usw.)?
  • Über den Tag verteilt sollten Sie sich immer wieder kleine Auszeiten gönnen. Zum Beispiel können Sie aufstehen, die Arme kreisen lassen, tief durchatmen und das Fenster kippen. Oder Sie gehen auf die Toilette, halten einen Plausch usw.
  • Verbringen Sie Ihre Mittagspause lieber alleine in der freien Natur anstatt sich möglicherweise mit Kollegen über Kunden oder die Firma aufzuregen, in der Sie arbeiten.
  • Trinken Sie über den Tag verteilt viel Wasser – das kurbelt den Stoffwechsel an und schenkt Energie.
  • Planen Sie Termine – wenn möglich – immer mit „Luft“ dazwischen. Das heißt, schaffen Sie sich zwischen anstrengenden Meetings Pufferzeiten, in denen Sie sich wieder regenerieren und durchatmen können.

Feinfühlige Menschen sind häufig Vieldenker und gleichzeitig sehr körperbewusst. Nicht nur deswegen stellt der Körper eine wunderbare Möglichkeit dar, Entspannung zu finden und sich zu erden. Möglichkeiten gibt es hier viele: Bewusst ausgeführte Alltagstätigkeiten wie z.B. im Garten arbeiten, Bügeln oder Ordnen; sportliche Aktivitäten (z.B. Joggen, Yoga, Schwimmen usw.) oder das Ausführen von kreativen, mit Hand gefertigten Tätigkeiten (z.B. Stricken, Malen, Musizieren usw.). Vorteil bei all diesen Aktivitäten: Man ist mit allen Sinnen dabei und kann das – oftmals nervenraubende Kopfkino – zumindest eine Zeit lang ausschalten.

Die eigenen Ansprüche hinterfragen

Die meisten feinsinnigen Menschen mögen ihre Arbeit gerne perfekt erledigen, doch gerade das erzeugt gehörigen Druck. Dabei ist Perfektion etwas, das so eigentlich gar nicht existiert! Oder haben Sie schon einmal ein Kind gesehen, welches das Laufen gelernt hat ohne jemals hinzufallen? Überprüfen Sie deshalb Ihre eigenen Erwartungshaltungen. Wollen Sie immer alles perfekt machen oder reicht vielleicht etwas weniger? Welches Arbeitspensum können Sie gut bewältigen bzw. wann wird es zu viel? Was könnten Sie ändern, damit Sie weniger belastet sind? Seien Sie hier offen für alternative Optionen – nicht selten gibt sich das Umfeld nämlich auch mit weniger ausgefeilten Arbeitsergebnissen zufrieden.

All diese Tipps helfen sensiblen Menschen, im Arbeitsalltag gut zu bestehen, ohne sich selbst dabei zu vergessen. Denn nur mit einem ausgeglichenen Geben und Nehmen ist es möglich, die persönlichen Ressourcen so zu erhalten, dass sie dauerhaft ein gesundes und erfolgreiches Arbeitsleben garantieren.

Am besten, Sie fangen gleich heute schon damit an!

 

Die Sozialpädagogin Nicole Lindner ist Betreiberin einer Onlineplattform für Feinfühlige und Autorin des Buches Feinfühligkeit trifft auf Berufsleben. Wie Sie Beruf und Ihr Naturell in Einklang bringen können. Sie selbst ist eine feinfühlige Person und brauchte lange, bis sie eine Tätigkeit fand, die zu ihr passte. Heute jedoch lebt sie beruflich erfüllt und gibt ihre Erfahrungen gerne auf unterschiedlichen Wegen an andere Feinfühlige weiter.

Die Ratgeber-Redaktion

Unter der Autor:innen-Bezeichnung REDAKTION veröffentlichten DIE RATGEBER von 2010 bis 2020 Gastbeiträge sowie Agenturmeldungen. Im August 2020 gingen die Inhalte von DIE RATGEBER auf die Webseite WIR SIND DER WANDEL über.