In 13 von 14 Ländern schwindet die Bindung an Gewerkschaften. Deutschland verliert, nur Österreich gewinnt.
In Europa bröckelt die gewerkschaftliche Bindung. Das zeigt eine Studie des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), die 14 Länder vergleicht. In Deutschland sank der Anteil der organisierten Beschäftigten (ohne Arbeitslose und Rentner:innen) von 20,2 Prozent im Jahr 2016 auf 16,6 Prozent im Jahr 2023. Die Spannbreite reicht von 5,6 Prozent in Ungarn bis 72,3 Prozent in Schweden. Zuerst berichtete die “Frankfurter Allgemeine Zeitung” über die Ergebnisse.
Besonders stark fiel der Rückgang in Belgien aus: Dort sank die Quote um 13,4 Prozentpunkte. Dennoch waren 2023 noch rund 39 Prozent der Beschäftigten organisiert. Einzig Österreich verzeichnete einen Anstieg: Der Organisationsgrad kletterte von 27,8 Prozent (2016) auf 32,1 Prozent (2023).
Schwierige Zielgruppen und Altersstruktur
Das IW sieht die Ursachen vor allem in Mobilisierungsproblemen. Teilzeitkräfte und befristet Beschäftigte, die oft von Tarifverträgen profitieren könnten, bleiben schwer erreichbar. Gewerkschaften müssten den Nutzen einer Mitgliedschaft für diese Gruppen deutlicher machen, so die Studienautor:innen.Auch die Altersstruktur bremst: Jüngere treten seltener bei als Ältere. „Besonders die Altersklasse der 51- bis 65‑Jährigen ist in vielen europäischen Ländern stark überrepräsentiert“, heißt es in der Analyse. Das führt zu einer alternden Mitgliederbasis, die den Nachwuchs kaum spiegelt. Um jüngere Beschäftigte zu gewinnen, empfiehlt das IW gezielte Ansprache – mit passgenauen Angeboten, einfacher Kommunikation und Präsenz in Ausbildungs- und Einstiegsphasen.
Erschwerend kommt die Kleinteiligkeit vieler Betriebe hinzu, vor allem im Dienstleistungssektor. In kleinen Unternehmen fällt es schwerer, Beschäftigte zu organisieren. Das IW rät, gezielt Kleinbetriebe und Beschäftigte mit Migrationshintergrund anzusprechen, die oft unterdurchschnittlich organisiert sind.
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Folgen für die Tariflandschaft
Die Unterschiede zwischen den Ländern zeigen, wie stark nationale Rahmenbedingungen wirken. Ungarn liegt mit 5,6 Prozent am unteren Ende, Schweden bleibt mit 72,3 Prozent Spitzenreiter. Deutschland rangiert mit 16,6 Prozent im unteren Mittelfeld und verliert seit 2016 deutlich. Österreichs Zuwächse beweisen, dass Gegenbewegungen möglich sind, wenn Organisationen und Rahmenbedingungen zusammenwirken.
Die sinkenden Mitgliederzahlen erschweren es, Tarifbindung zu sichern und neue Bereiche zu erschließen. Gleichzeitig steigt der Druck, die Vorteile kollektiver Regelungen – von planbaren Löhnen bis zu Weiterbildungsmöglichkeiten – sichtbarer zu machen. Das IW zieht Bilanz: Wer Mitglieder gewinnen will, muss dorthin gehen, wo die künftige Erwerbsbevölkerung ist – zu den Jüngeren, in kleine Betriebe und in die wachsenden Bereiche atypischer Beschäftigung.

