Tobias Schwarz und Katharina-Franziska Kremkau wollten testen, wie gut es sich im grenzenlosen Europa wirklich arbeiten lässt – und reisten zwei Monate durch die europäische Coworking-Szene.
Seit zweieinhalb Jahren leitet Tobias Schwarz die Hamburger Redaktion der Netzpiloten von Berlin aus einem Coworking Space aus. Seine Lebensgefährtin Katharina-Franziska Kremkau arbeitet in Berlin als Freelancerin vom Home-Office aus. Beide wollten wissen, wie mobil es sich im grenzenlosen Europa arbeiten lässt – und gingen im August 2015 für zwei Monate auf ihren #OutofOffice-Trip.
Die Ratgeber: Sie haben zusammen in zwei Monaten 26 Coworking Spaces in 18 Städten besucht. Was war der Anlass für Ihr Projekt Coworking & Travel?
Tobias Schwarz: Im September 2014 waren wir zusammen im Urlaub in Brügge, als ich plötzlich dringend meiner Redaktion aus der Ferne helfen musste, da meine Vertretung krank wurde. Da unser Hotel über ein äußerst schlechtes WLAN verfügte und es unserer Kenntnis nach erst ein für Digitale Nomaden geeignetes Café in Brügge gab, suchten wir nach einem Coworking Space wie wir sie aus Berlin schon kannten. Es gab genau eins, das De Huyskamer, von wo aus ich meine Arbeit problemlos in zwei Stunden erledigen konnte.
Vor Ort lernten wir, dass viele Kunden mit ihren Familien zum Urlaub in Brügge sind, aber für ein bis zwei Stunden ins Coworking Space kommen, um ihre anfallende Arbeit “wegzuorganisieren”. Inzwischen haben wir viele solcher Geschichten gehört und alle zeigen, dass dies oft erholsamer sein kann als ein Urlaub mit der Erkenntnis, dass im Büro nur noch mehr Arbeit auf einen wartet, wenn man wieder zurück ist.
Katharina-Franziska Kremkau: Uns persönlich stellte sich die Frage, wenn wir doch die technischen Möglichkeiten haben, von überall auf der Welt zu arbeiten, und auch beide Berufe haben, in denen das möglich ist, warum wir nicht einfach von unterwegs arbeiten. Denn das Spannendste am Urlaub war für uns das Reisen. Wir können auch nicht ins Internet gehen, unseren RSS-Reader durchlesen oder auf Twitter sein, ohne etwas zu entdecken, dass irgendwie mit unserem Beruf zu tun hat. Der Versuch einer Trennung ist wesentlicher anstrengender.
Dadurch entstand die Idee von Coworking & Travel. An diesem Abend legten wir uns bereits einen Twitter-Account für das Projekt an. Bis zum Juni 2015 besuchten wir immer, wenn wir irgendwo waren, ein Coworking Space und führten Rechercheinterviews. Tobias besuchte Coworking Spaces in Cannes und Chemnitz, gemeinsam waren wir in welchen in Paris und Bad Tölz, um einen Eindruck zu bekommen, was uns auf dieser Reise erwarten könnte und wie wir darüber berichten sollten.
“Meine beiden liebsten Coworking Spaces sind in Gent”
Die Ratgeber: Gab es Unterschiede zwischen den verschiedenen Coworking Spaces bzw. Ländern? Und hat Sie ein Coworking Space besonders begeistert?
Katharina-Franziska Kremkau: Es gibt sehr viele Gemeinsamkeiten in den europäischen Coworking Spaces, die ja oft alle von Menschen mit den gleichen Ideen und Hintergründen eröffnet, betrieben und besucht werden. Und trotzdem war jedes Coworking Space anders und drückte regionale und internationale Unterschiede aus. Die Community ist in allen Coworking Spaces wichtig, genauso das Design der Möbel und die Atmosphäre in den Räumen. Doch wie genau das gestaltet ist, versucht jedes Space für sich zu beantworten, im Idealfall mit der Community.
In Spanien, Frankreich und Italien stellten wir fest, dass es Angebote speziell für TagesbesucherInnen gibt, während wir in den Niederlanden, Dänemark und Schweden immer schauen mussten, ob man hier auch nur für einen Tag arbeiten darf. Das liegt vor allem an der wirtschaftlichen Lage in den Ländern. In Frankreich zum Beispiel gibt es aufgrund der stagnierenden Wirtschaft kaum Arbeitsplätze, weshalb viele Menschen sozusagen in die Selbstständigkeit gezwungen werden. Diese Menschen brauchen natürlich auch einen Arbeitsplatz, weshalb Coworking gerade in Frankreich – irgendwie auch leider – einen Boom erlebt.
Tobias Schwarz: Es wäre leichter zu sagen, wo es uns nicht gefallen hat, denn aufgrund der vielen Unterschiede haben uns gleich mehrere Coworking Spaces aus den unterschiedlichsten Gründen sehr gut gefallen. In Barcelona mochte ich im Makers Of Barcelona und im Pipoca Coworking die vor Kreativität nur so platzenden Communities. Das war unglaublich inspirierend. Im Amsterdamer Bouncespace und dem Stockholmer Café & Co wurde Coworking wunderbar mit einer Gastronomie verbunden, weshalb wir neben der Arbeit auch gleich gut essen konnten. Im La Prairie in Nantes und dem La Cordée in Lyon fühlten wir uns in dieser familiären Umgebung sehr schnell aufgenommen.
Ohne jemanden Unrecht tun zu wollen, waren meine beiden liebsten Coworking Spaces in Gent. Das Floating Desk ist ein Coworking Space im Bauch eines Schiffes, das unglaublich schön auf einem Kanal in der Altstadt liegt. Für uns beide, die sehr gerne am Wasser sind, ein absoluter Traum. Der Betreiber dieses Spaces besucht einmal die Woche, um aus einem beruflichen Alltag heraus zu kommen, ein anders Coworking Space in der Stadt, wo er Raum zum kreativen Denken findet. Er nahm uns ins LikeBirds mit, welches in der Kantine eines verlassenes Gaswerks ist. Uns beiden hat es dort sehr gut gefallen und auch wenn dieses Space aufgrund von Gentrifizierungsmaßnahmen Ende des Jahres dort weg muss, freue ich mich schon auf den nächsten Besuch in Gent, denn ich bin gespannt, wie es mit diesem Space weitergeht.
“Spannender war zu sehen, wie Unternehmen jetzt schon Coworking nutzen”
Die Ratgeber: Haben Sie auf Ihrer Reise ausschließlich Freelancer angetroffen oder gab es auch Mitarbeitergruppen aus Unternehmen, die die Möglichkeit eines Coworking Spaces nutzten?
Tobias Schwarz: Der größte Teil der Coworker sind Freelancer, aber es gibt inzwischen auch eine Vielzahl an Coworking Spaces ausschließlich für Startups. In Bordeaux besuchten wir das Darwin Eco-Système, welches auf tausenden von Quadratmetern Platz für mehrere hundert Startups anbietet. In vergleichsweise kleinerer Formen haben wir das auch im Talent Garden in Barcelona, dem Numa in Paris oder dem Rainmaking Loft in Kopenhagen gesehen.
Mitarbeitergruppen aus Unternehmen haben wir nicht angetroffen, aber gesehen, dass Unternehmen dieses Angebot durchaus an ihre Mitarbeiter machen. Aus Gesprächen weiß ich, dass es oft noch Vorbehalte von Mitarbeitern in großen Unternehmen gibt, die Angst vor Nachteilen haben, wenn sie den sogenannten Flurfunk nicht mehr mitbekommen, weil sie sozusagen außer Haus arbeiten. Das wird sich aber meiner Meinung nach mit einer neuen Arbeitskultur auch ändern. Von vielen bekannten Firmen, wie beispielsweise Buffer, Pinterest oder Drivy, trafen wir Mitarbeiter in Coworking Spaces. Vor allem Buffer könnte ein Vorbild für viele kleine und mittlere Unternehmen sein, die global agieren.
Spannender war aber zu sehen, wie Unternehmen jetzt schon Coworking nutzen, auch wenn ihre Mitarbeiter noch nicht die Angebote annehmen, vielleicht auch von einem Coworking Space zu arbeiten. Zum einen können Coworking Spaces eine Art Talentpool für größere Unternehmen sein, in dem sie für Projekte hoch motivierte Freelancer finden. Das bringt nicht nur neue Fähigkeiten in ein Unternehmen, sondern auch neue Ideen. Zum anderen können Coworking Spaces Orte sein, an dem von dem Unternehmen geförderte Startups Geschäftsmodelle und Projekte austesten, die für ein großes Unternehmen vielleicht zu riskant sind. Setzt sich dieser Trend fort, stellen sich hier meiner Meinung nach bald auch ethische Fragen, aber bis jetzt scheinen alle zufrieden zu sein.