Gründer:innen mit Migrationsbezug: Innovativ, aber ausgebremst

Personen auf Aufsichtsplattform

Gründer:innen mit Migrationsbezug prägen die deutsche Wirtschaft mit Innovation und Wachstumspotenzial, stoßen jedoch auf Finanzierungshürden. Eine Studie zeigt Wege auf, wie ihre Potenziale besser gefördert werden können.

Gründer:innen mit Migrationsbezug sind ein unterschätzter Motor der Innovation in Deutschland. Der “Innovationsmonitor Migration”, erstellt von der Bertelsmann Stiftung und dem Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), zeigt: Diese Gründer:innen sind nicht nur besonders innovativ, ihre Unternehmen besitzen auch großes Wachstumspotenzial. Doch sie stoßen überdurchschnittlich oft auf Finanzierungsprobleme, die ihre Entwicklung bremsen – und damit auch ihren Beitrag zur gesamtwirtschaftlichen Dynamik.

Die Analyse stützt sich auf Daten des IAB/ZEW-Gründungspanel, das über fast 20 Jahre rund 40.000 Unternehmensgründungen untersucht hat. Sie zeigt: Der Anteil der Gründungen mit mindestens einer Person mit Migrationsbezug hat sich zwischen 2005 und 2022 mehr als verdoppelt – von 8 auf 19 Prozent.  Heute hat jede fünfte Unternehmensgründung in Deutschland eine Gründerperson mit Migrationsbezug.

Mehr Innovation trotz Benachteiligung

Irrtümer und Mythen rund ums ArbeitsrechtDiese Entwicklung verdeutlicht das große unternehmerische Potenzial von Menschen mit Migrationsbiografien. „Die Studienergebnisse zeigen, dass diese Gründer:innen nicht nur eine hohe unternehmerische Eigeninitiative mitbringen, sondern auch gezielt Wachstum und Innovation anstreben“, sagt Julia Scheerer, Wirtschaftsexpertin der Bertelsmann Stiftung.

Gründungen mit Migrationsbezug sind besonders innovativ: Sie haben eine um 14 Prozent höhere Wahrscheinlichkeit, weltweit neuartige Produkten oder Dienstleistungen auf den Markt zu bringen. Auch ihre Bereitschaft zu Forschung und Entwicklung liegt über dem Durchschnitt.

Doch dieses Potenzial bleibt oft genutzt. Ein Hauptgrund: Schwierigkeiten beim Zugang zu externem Kapital. Jede fünfte Gründung mit Migrationsbezug berichtet von Problemen bei der Kapitalbeschaffung – deutlich mehr als Unternehmen ohne Migrationshintergrund.

Finanzierung: Hürden und Eigeninitiative

Gründer:innen mit Migrationsbezug greifen häufiger auf Eigenkapital oder Unterstützung aus dem privaten Umfeld zurück. Der Zugang zu Bankkrediten bleibt ihnen oft verwehrt – selbst bei vergleichbarer Qualifikation, Branche und Erfahrung. Das deutet auf implizite Barrieren hin, die Chancengleichheit im Finanzsystem behindern.

Wagniskapital spielt bei diesen Gründungen eine etwas größere Rolle als bei anderen. Dennoch profitieren sie trotz ihres Potenzials nicht stärker von staatlicher Förderung.  Eine gezielte Anpassung der Förderprogramme könnte helfen – etwa durch die Einbindung migrantischer Netzwerke oder den Abbau sprachlicher und bürokratischer Hürden.

Vielfältige Motive und resiliente Strategien

Entgegen gängiger Annahmen gründen Menschen mit Migrationshintergrund nicht primär aus wirtschaftlicher Not. Zwar nennen sie oft „bessere Verdienstmöglichkeiten“ als Motiv, doch auch strategische Ziele wie „selbstbestimmtes Arbeiten“ oder „Unternehmenswachstum“ spielen eine zentrale Rolle.

Diese Gründungen zeugen von Resilienz und Weitblick. Ihre Teams sind häufig international und interkulturell aufgestellt – etwa jedes dritte Team mit Migrationsbezug arbeitet mit deutschen Mitgründer:innen zusammen. Kulturelle Vielfalt erweist sich dabei als Stärke.


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Wachstum ohne Grenzen – aber mit Hindernissen

Trotz der Herausforderungen entwickeln sich Gründungen mit Migrationsbezug bei Umsatz und Beschäftigung ebenso dynamisch wie andere. Angesichts ihrer höheren Innovationskraft wäre jedoch ein noch größerer wirtschaftlicher Erfolg zu erwarten. Das zeigt: Bestehende Strukturen fördern ihr Potenzial nicht ausreichend. Shamila Borchers vom Migrant Accelerator bestätigt: „Diese Studie zeigt schwarz auf weiß, was viele migrantische Gründer:innen täglich spüren: Talent allein reicht nicht – es braucht Strukturen, die Zugang und Teilhabe wirklich ermöglichen.“

Die Studie macht deutlich: „Der unternehmerische Beitrag von Menschen mit Migrationsbezug ist ein bedeutsamer Teil der Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands – und zugleich ein Bereich, in dem Potenziale noch gefördert werden können“, sagt Jennifer Eschweiler, Gründungsexpertin der Bertelsmann Stiftung.

Daraus ergeben sich klare Maßnahmen für Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft:

  1. Finanzierungsbarrieren abbauen: Banken und Investor:innen müssen für die Herausforderungen migrantischer Gründer:innen sensibilisiert werden. Vertrauensvolle Finanzbeziehungen – etwa durch diversitätsorientierte Anlaufstellen – können entscheidend sein.
  2. Förderprogramme inklusiver gestalten: Öffentliche Fördermaßnahmen sollten gezielt für Gründer:innen mit Migrationsbezug geöffnet werden – durch mehrsprachige Beratung, niedrigschwellige Informationsangebote und die Ansprache migrantischer Netzwerke.
  3. Erfolge sichtbar machen: Die öffentliche Wahrnehmung von Gründungserfolg ist oft von Stereotypen geprägt. Sichtbarkeit und Anerkennung erfolgreicher migrantischer Gründer:innen können als Vorbilder wirken und gesellschaftliche Narrative verändern.
  4. Interkulturelle Teams stärken: Gemischte Gründungsteams vereinen unterschiedliche Perspektiven und steigern die Innovationskraft. Netzwerke und Programme, die den Austausch über Herkunftsgrenzen hinweg fördern, verdienen besondere Unterstützung.

Gründungen mit Migrationsbezug bereichern das deutsche Innovationssystem. Sie verbinden Vielfalt mit Dynamik und stärken den Wirtschaftsstandort. Um ihr Potenzial voll auszuschöpfen, braucht es gezielte Unterstützung, faire Finanzierungsbedingungen und die Anerkennung ihrer Leistungen in Öffentlichkeit und Politik. Die Studie liefert eine fundierte Grundlage – und zeigt Wege, wie Deutschland seine Gründungslandschaft zukunftsfähig und inklusiv gestalten kann.

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