Karriere zählt nicht mehr: Was Fachkräfte heute suchen

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Fachkräfte wollen Sicherheit, Sinn und Selbstbestimmung – nicht Status und Titel. Eine neue Studie erklärt, warum alte Karriereversprechen verblassen und was Unternehmen nun anpassen müssen.

Die Erwartungen der Fachkräfte haben sich verändert. Der klassische Karrierebegriff verliert an Bedeutung. Stress, Druck, ständige Erreichbarkeit – das alte Erfolgsmodell steht infrage. Heute sagen 60 Prozent der befragten Fachkräfte: Karriere ist kein zentrales Lebensziel mehr. Die Mehrheit will sich entwickeln, aber nicht unbedingt führen. Sie möchten lernen, wachsen, beitragen – nicht kontrollieren. Diese Haltung verändert die Spielregeln auf dem Arbeitsmarkt. Unternehmen, die weiter mit alten Mustern werben, ignorieren die Realität.

Eine aktuelle Studie von KOFA und meinestadt.de zeigt, wie tief dieser Wandel reicht. 3.000 Fachkräfte wurden gefragt, was ihnen im Job wichtig ist. Die Ergebnisse spiegeln den gesellschaftlichen Umbruch – und fordern Arbeitgeber zum Umdenken auf.

Wendepunkt: Von Aufstieg zur Verankerung

Irrtümer und Mythen rund ums ArbeitsrechtFachkräfte suchen heute keinen steilen Aufstieg, sondern festen Boden. Arbeitsplatzsicherheit steht unangefochten an erster Stelle – weit vor Karrierechancen oder Benefits. Ein unbefristeter Vertrag, pünktliche Gehaltszahlungen, planbare Arbeitszeiten: Diese Faktoren schaffen Vertrauen. Sie sind nicht altmodisch, sondern zeitgemäß. Gleichzeitig suchen viele nach Sinn. Ein Drittel der Befragten empfindet den eigenen Beruf als Berufung – vor allem ältere Fachkräfte mit langer Berufserfahrung. Doch Sinn entsteht nicht durch Etiketten, sondern durch Selbstwirksamkeit, durch das Gefühl, etwas beizutragen, und durch Anerkennung. Ein Umfeld, das Leistung nicht nur misst, sondern würdigt, macht den Unterschied.

Diese neue Realität stellt die Führungskultur auf die Probe. Wer fördern will, muss nicht zwangsläufig führen lassen. Die klassische Managementkarriere verliert an Strahlkraft. Gefragt sind neue Wege: Fachkarrieren, Kompetenzpfade, flexible Weiterbildungsmodelle. Die Studie zeigt: Fachkräfte wollen lernen – aber nur, wenn die Weiterbildung konkret, praxisnah und erreichbar ist. Titel und Hierarchien allein überzeugen nicht mehr.

Ein weiterer Aspekt rückt in den Fokus: Arbeit erschöpft. Fast 57 Prozent der Fachkräfte empfinden ihren Job als Energieräuber. Zu hohe Arbeitsbelastung, zu wenig Ausgleich – besonders in Logistik, Handel und Gesundheitswesen. Die Lösung liegt nicht in der Reduzierung von Arbeitsstunden, sondern in einer klügeren Gestaltung: durchdachte Dienstpläne, gesunde Führung, Zeitpuffer und verlässliche Pausen. Wer Mitarbeitende überfordert, verliert sie – an Krankheit, Frust oder die Konkurrenz.


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Lösung: Neue Arbeitsrealitäten gestalten

Unternehmen, die den Wandel verstehen, können ihn gestalten. Sie locken nicht mehr mit Karriereleitern, sondern bauen Entwicklungspfade. Sie bieten Stabilität, bevor sie Engagement erwarten. Sie schaffen Raum für Leistung – und für Leben. Und sie kommunizieren ehrlich, was sie bieten – und was nicht. Der Schlüssel liegt im Zuhören: Was brauchen Fachkräfte wirklich? Nicht aus Fürsorge, sondern aus strategischer Notwendigkeit. Der Fachkräftemarkt hat sich gedreht. Wer nicht nur sucht, sondern bindet, muss Sicherheit bieten, Sinn ermöglichen und Entwicklung fördern – nicht als Programm, sondern als Prinzip.

Die Studie liefert klare Impulse. Unternehmen sollten ihre Karriereseiten überarbeiten: Statt „Karriere“ sollten sie von „Zusammenarbeit“, „Wachstum“ oder „Team“ sprechen. Sie sollten Weiterentwicklung von Führungspositionen entkoppeln und neue Rollenmodelle sichtbar machen. Sie sollten gezielt ältere Fachkräfte ansprechen – hier liegt viel Erfahrung und ein starkes Bedürfnis nach Wertschätzung. Und sie sollten verstehen, dass Arbeit nur dann Leistung bringt, wenn sie nicht erschöpft, sondern stärkt. Am Ende geht es um mehr als Fachkräftesicherung. Es geht um Zukunftssicherung. Eine Arbeitswelt, die Sicherheit mit Selbstbestimmung verbindet, ist kein Luxus, sondern ein Wettbewerbsvorteil. Sie zieht Talente nicht nur an – sie hält sie auch.

Die Zukunft der Arbeit entscheidet sich nicht an der Spitze, sondern in der Mitte – dort, wo Fachkräfte täglich Verantwortung tragen. Sie brauchen kein Karriereversprechen, sondern ein echtes Angebot: Sicherheit, Entwicklung, Sinn. Unternehmen, die das liefern, gewinnen nicht nur Bewerbungen, sondern Vertrauen. Und Vertrauen ist heute die härteste Währung auf dem Arbeitsmarkt.

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Sabine Hockling

Die Chefredakteurin Sabine Hockling hat WIR SIND DER WANDEL ins Leben gerufen. Die Wirtschaftsjournalistin und SPIEGEL-Bestsellerautorin beschäftigt sich seit über 20 Jahren mit den Veränderungen unserer Arbeitswelt. Als Autorin, Herausgeberin und Ghostwriterin veröffentlicht sie regelmäßig Sachbücher – seit 2023 in dem von ihr gegründeten DIE RATGEBER VERLAG.