87 Prozent der Firmen suchen dringend Talente, übersehen sie jedoch häufig – weil sie Abschlüsse höher bewerten als Fähigkeiten. Eine Studie zeigt: Das ändert sich gerade grundlegend.
Drei von vier deutschen Arbeitgebern wollen Bewerber:innen künftig stärker nach ihren Fähigkeiten statt nach Abschlüssen bewerten. Das zeigt eine aktuelle Stepstone-Studie mit über 6.800 Arbeitnehmenden und mehr als 1.000 Recruitern. Trotz Fachkräftemangel fällt es 87 Prozent der Unternehmen schwer, passende Talente zu finden. Eine Grund: Viele Firmen orientieren sich noch immer an Karrieretiteln und klassischen Lebensläufen. Praktische Fähigkeiten wie digitale, kommunikative oder analytische Kompetenzen bleiben dabei oft unsichtbar.
Formale Abschlüsse und Zertifikate spielen zwar weiterhin eine Rolle, doch laut der Studie setzen viele Unternehmen nach wie vor primär darauf. 43 Prozent verlangen für alle Positionen formale Nachweise, obwohl praktische Erfahrungen und Fähigkeiten oft ebenso wichtig sind.
Ungenutztes Potenzial: Talente bleiben unentdeckt
„Viele Arbeitgeber erkennen inzwischen, dass sie mit dieser Herangehensweise zu viele Talente übersehen“, sagt Dr. Julius Probst, Arbeitsmarktexperte bei The Stepstone Group. „Entscheidend ist nicht mehr, was jemand vor Jahren gelernt hat, sondern was er oder sie heute wirklich kann. Deshalb brauchen wir neue Wege, um Kompetenzen sichtbar zu machen, etwa durch Praxistests, Projektbeispiele oder konkrete Arbeitsproben.“
Die Folgen dieser Diskrepanz spüren auch die Beschäftigten: 44 Prozent sind unzufrieden, wie sie ihre Fähigkeiten im Job einsetzen können. 38 Prozent sagen, ihre Aufgaben passten nicht zu ihren Stärken. Die Ergebnis: 68 Prozent denken mindestens mehrmals im Monat über einen Jobwechsel nach. Der Fachkräftemangel ist also nicht nur ein Rekrutierungsproblem, sondern auch eine Folge ungenutzter Potenziale.
Skills als neue Währung
Doch ein Umdenken setzt ein: 77 Prozent der Unternehmen wollen ihre Auswahlprozesse stärker an den tatsächlichen Kompetenzen der Bewerber:innen ausrichten. Ebenso viele (76 Prozent) planen, Soft Skills wie Kommunikationsfähigkeit, Teamarbeit und Problemlösungskompetenz stärker zu gewichten. Auch digitale und technologische Fähigkeiten gewinnen an Bedeutung, nicht zuletzt durch den wachsenden Einfluss Künstlicher Intelligenz.
In der IT-Branche zeigt sich dieser Wandel bereits: 38 Prozent der Recruiter:innen verzichten dort bei bestimmten Positionen auf formale Nachweise. In Branchen wie Bauwesen (10 Prozent) oder Bildung (11 Prozent) ist dieser Anteil geringer.
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„Der Trend zu einer stärker kompetenzorientierten Auswahl, also zum sogenannten Skills-based Hiring, ist keine kurzfristige Mode, sondern eine wirtschaftliche Notwendigkeit“, sagt Probst. „Kompetenzen entscheiden künftig noch mehr darüber, ob Unternehmen innovativ bleiben und ob Beschäftigte langfristig erfolgreich sind.“
Für die halbjährliche Studie „Hiring Trends Update“ befragte Stepstone vom 10. bis 22. September 2025 insgesamt 1.067 Recruiter:innen und 6.857 Beschäftigte in Deutschland. Die Untersuchung erfasste Wahrnehmungen, Herausforderungen und Prioritäten im Recruiting sowie die Bewertung von Kompetenzen, Qualifikationen und Soft Skills. Die Beschäftigten-Stichprobe ist repräsentativ für die deutsche Erwerbsbevölkerung nach Alter, Geschlecht und Bildung.

