Krank zur Arbeit – teuer für alle

Eine Frau sitzt vor einem Monitor

Eine aktuelle Studie zeigt: Die meisten Arbeitgeber halten Lohnkürzungen bei Krankheit für kontraproduktiv. Warum solche Maßnahmen Vertrauen zerstören und mehr schaden als nützen.

Die Debatte über Lohnkürzungen im Krankheitsfall hat in Deutschland an Fahrt aufgenommen. Anlass ist eine aktuelle Studie der Techniker Krankenkasse. Das Ergebnis ist eindeutig: 65 Prozent der befragten Unternehmen lehnen Kürzungen ab, weil sie die Produktivität nicht steigern. Nur 23 Prozent sehen einen Nutzen, 10 Prozent bleiben neutral. Jens Baas, Vorstandsvorsitzender der TK, betont: Gesunde und zufriedene Mitarbeitende sind das Fundament erfolgreicher Unternehmen. Kürzungen bei der Lohnfortzahlung bewirken das Gegenteil. Sie führen dazu, dass Krankheiten verschleppt werden und Mitarbeitende länger ausfallen.

Diese Einschätzung ist nicht nur sozialpolitisch, sondern auch ökonomisch bedeutsam. Auf den ersten Blick mögen Lohnkürzungen Kosten senken, doch langfristig gefährden sie Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit. Ein Kernproblem ist der sogenannte Präsentismus: Mitarbeitende kommen trotz Krankheit zur Arbeit, um finanzielle Einbußen zu vermeiden. Das senkt ihre Leistungsfähigkeit, erhöht die Fehlerquote und steigert das Risiko, Kolleg:innen anzustecken. Studien zeigen, dass die Verluste durch Präsentismus jährlich Milliarden kosten – weit mehr als die Ausgaben für kurzfristige Fehlzeiten.

Vertrauen als Basis

Irrtümer und Mythen rund ums ArbeitsrechtSolche Maßnahme untergraben zudem das Vertrauen zwischen Arbeitgebern und Beschäftigten. Die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall ist ein Grundpfeiler des deutschen Sozialstaats und Ausdruck einer wertschätzenden Unternehmenskultur. Wird dieses Vertrauen zerstört, drohen Demotivation, höhere Fluktuation und eine schwächere Bindung ans Unternehmen. Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels ist das fatal. Unternehmen, die auf Gesundheitsförderung, Prävention und flexible Arbeitsmodelle setzen, profitieren dagegen von zufriedeneren Mitarbeitenden und weniger Fehlzeiten.

Auch die Zahlen sprechen gegen Kürzungen. Die Krankheitstage in Deutschland sind zuletzt gestiegen, vor allem durch Atemwegserkrankungen, psychische Belastungen und Muskel-Skelett-Erkrankungen. Doch statt mit Repression zu reagieren, setzen erfolgreiche Unternehmen auf Weiterbildung, Digitalisierung und flexible Arbeitszeiten. Laut TK-Studie bewerten 86 Prozent der Befragten Technik und Automatisierung als produktivitätssteigernd, 82 Prozent sehen das bei Weiterbildungen, 72 Prozent bei flexiblen Arbeitszeiten.


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Qualität statt Kürzungen

Ein Blick ins Ausland zeigt: Karenztage – also unbezahlte Krankheitstage – sind kein Allheilmittel. In Österreich und der Schweiz, wo es solche Regelungen gibt, sind die Krankenstände nicht automatisch niedriger. Entscheidend sind Arbeitsbedingungen,  Gesundheitsversorgung und Unternehmenskultur. Skandinavische Länder mit großzügiger Lohnfortzahlungen haben keine höheren Krankenstände, dafür aber zufriedenere und produktivere Beschäftigte.

In einer alternden Gesellschaft mit Fachkräftemangel wird die Gesundheit der Belegschaft zum Wettbewerbsfaktor. Unternehmen, die in ergonomische Arbeitsplätze, psychische Gesundheit und Prävention investieren, sichern sich langfristig Vorteile. Lohnkürzungen bei Krankheit sparen kurzfristig Geld, kosten aber Motivation, Loyalität und Innovationskraft. Die Debatte um die Lohnfortzahlung ist ein Prüfstein für die soziale Verantwortung und wirtschaftliche Klugheit deutscher Unternehmen. Die Zahlen der Techniker Krankenkasse zeigen: Die Mehrheit der Arbeitgeber hat erkannt, dass Kürzungen der falsche Weg sind. Stattdessen braucht es Investitionen in Gesundheit, Vertrauen und moderne Arbeitsbedingungen. Denn nur gesunde und motivierte Mitarbeitende sichern die Zukunft der deutschen Wirtschaft.

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Tina Groll

Tina Groll, SPIEGEL-Bestsellerautorin und Redakteurin bei ZEIT ONLINE im Ressort Politik & Wirtschaft, konzentriert sich als Autorin von WIR SIND DER WANDEL auf Arbeitsmarkt-, Sozial- und Gesundheitspolitik. 2008 zeichnete sie das Medium Magazin als eine der “Top 30 Journalisten unter 30 Jahren” aus. Ferner ist sie Mitglied im Deutschen Presserat.