Arbeit wird zunehmend nicht mehr als Chance für Leistung und Selbstverwirklichung betrachtet, sondern als notwendiges, oft sogar gesundheitsschädliches Übel, so Evi Hartmann. Woran es liegt, dass sich immer mehr zurücklehnen statt anzupacken, erzählt die Professorin im Interview.
Chefs, die sich mit den Leistungen anderer schmücken, Nachwuchsmanager, die keine Projektverantwortung übernehmen, Mitarbeiter, die lieber über den Ausgleich ihrer Überstunden als ihre Aufgaben sprechen. Unserer Gesellschaft mangelt es an Menschen, die ihre Fähigkeiten und Möglichkeiten ausschöpfen und die Extra-Meile gehen wollen. Stattdessen breitet sich epidemieartig eine Kultur der Leistungsverweigerung aus, gut getarnt als Work-Life-Balance. Posen statt Performen, heißt die Devise. Eine Pseudo-Elite, intelligent und gut ausgebildet, vermeintliche Säule der Zukunftsgesellschaft, ist selbstzufrieden, anspruchsvoll und überschätzt sich maßlos selbst, so Evi Hartmann in ihrem aktuellen Buch Ihr kriegt den Arsch nicht hoch.
Die Ratgeber: Sie beklagen, dass unsere vermeintliche Säule der Zukunftsgesellschaft eine Pseudo-Elite ist. Zwar intelligent und gut ausgebildet, aber zu selbstzufrieden und zu anspruchsvoll. Woran liegt es Ihrer Meinung nach, dass sich immer mehr Menschen zurücklehnen statt anzupacken?
Evi Hartmann: An Kultur, Systemen und Erziehung. Etliche glauben zwar noch, dass wir in einer Leistungsgesellschaft leben. Doch in vielen Unternehmen, Organisationen und Familien werden herausragende Leistungen nicht thematisiert, anerkannt und gefördert, sondern behindert und marginalisiert. Wann hat Sie jemand das letzte Mal für eine Leistung gelobt, die weit über Ihre eigentliche Pflicht und Aufgabe hinausging?
“Wir wehren uns zu wenig, wenn wir die Extrameile gehen”
Die Ratgeber: Wer hat Schuld an dieser Leistungsverweigerung?
Hartmann: Zunächst die Leistungsverweigerer selbst. Ihre Verweigerung ist kein Schicksal, sondern eine Wahlentscheidung. Mitschuld tragen aber auch Führungskräfte, Eltern, Lehrer, Meinungsbildner und Politiker, die Leistungsvermeidung durchgehen lassen oder selber eine ruhige Kugel schieben oder ihre verbliebenen Leistungsträger nicht anerkennen und fördern, sondern im Regen stehen lassen und ihnen Steine in den Weg legen.
Und zuletzt sind auch viele Leistungsträger selber nicht ganz unschuldig. Wir wehren uns zu wenig, wenn wir die Extrameile gehen und die immer selben Anderen winken immer nur müde ab: „Ach was, lass doch, ist doch nicht nötig, tut’s doch auch so!“ Da sollte man jedes Mal dagegenhalten und zwar vehement und erzieherisch.
Die Ratgeber: Wer kann was unternehmen, um aus den Leistungsverweigerern eine echte Leistungselite zu machen?
Hartmann: Wir alle. Aber eben nicht dirigistisch und missionarisch – das provoziert lediglich den Trotz der Verweigerer. Wir sollten daran denken: Leistungsvermeidung ist eine Sucht und erfordert wie alle Süchte eine sanfte, schrittweise Entgiftung und ein behutsames, aber stetiges Einschwingen auf ganz normale Leistungsaspekte im Alltag, wie zum Beispiel den eigenen, gebrauchten, schmutzigen Kaffeebecher auch selber in die Spülmaschine in der Kaffeeküche einzuräumen und nicht darauf zu warten, dass es „schon jemand machen wird“.
Prof. Dr.-Ing. Evi Hartmann ist Inhaberin des Lehrstuhls für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Supply Chain Management, an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Sie forscht und lehrt intensiv an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Wirtschaft, ist Mitglied im Netzwerk GenerationCEO für Frauen in Führungspositionen, Mutter von vier Kindern und lebt in Frankfurt am Main.