Fast jeder Job lässt sich so gestalten, dass Mitarbeiter in Teilzeit tätig sein können – auch Führungspositionen. Wie das nicht nur Einbahnstraße wird, verrät Ralf Welters, Personalchef der Schmidt + Clemens Gruppe im Interview.
Eine gute Vereinbarkeit von Familie und Beruf muss Unternehmen nicht viel kosten. So gut wie jeder Job lässt sich in Muss- und Kann-Aufgaben aufteilen, die sich anders verteilen lassen, sagt Ralf Welters, Personalchef der mittelständischen Schmidt + Clemens Gruppe (S+C). Ein Auszug aus dem Buch „Kinder + Karriere = Konflikt? Denkanstöße für eine deutsche Debatte“ von der Journalistin Tina Groll.
Tina Groll: Herr Welters, Sie sind Personalchef des mittelständischen Metall-Unternehmens Schmidt + Clemens mit mehr als 1.000 Mitarbeitern. Wie wichtig ist eine gute Vereinbarkeit von Familie und Beruf für den Mittelstand?
Ralf Welters: Wenn man als mittelständisches Unternehmen seinen Beschäftigten eine ausgeglichene Work-Life-Balance ermöglichen kann, dann ist das ein entscheidendes Erfolgskriterium im Wettstreit um Talente. Wir kleineren Unternehmen können nicht all das bieten, was Großkonzerne zu bieten haben, aber eine gute Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu schaffen, ist gar nicht so schwer. Das bewirkt eine hohe Identifikation. Wir bei S+C sind als Familienunternehmen in der Region stark verankert. Unsere familienfreundliche Unternehmenskultur ist ein Grund dafür, dass sich viele für einen Arbeitsplatz bei uns entscheiden. Würden wir als Familienunternehmen dies nicht durch und durch leben, dann wäre das ein krasser Widerspruch zu den Werten, für die wir stehen.
Groll: Was tut Ihr Unternehmen für eine gute Vereinbarkeit?
Welters: Wir haben beispielsweise einen Betriebskindergarten geschaffen, in dem die Kinder unserer Mitarbeiter einen Ganztagsbetreuungsplatz finden. Unsere Kita ist von 7 bis 17 Uhr geöffnet und hat auch keine Schließungsphasen wie öffentliche Einrichtungen. Wenn es durch die Produktionsstruktur dazu kommt, dass Überstunden nötig sind, hat unsere Kita länger offen, sodass sich niemand Sorgen um die Betreuung des Nachwuchses machen muss. Wir beschäftigen drei Erzieherinnen, zwei von ihnen sind immer anwesend.
Investition in die Zukunft
Groll: Ein Großteil Ihrer Mitarbeiter sind Männer. Viele haben doch sicher Frauen, die sich um die Kinder kümmern. Werden die Kindergartenplätze denn von den Vätern trotzdem nachgefragt?
Welters: Oh ja. Viele unserer Mitarbeiter teilen sich die Kindererziehung mit ihren Frauen, die auch berufstätig sind. Dass unsere Kita eine Ganztagsbetreuung anbietet, ist für unsere Mitarbeiter sehr attraktiv, denn das bieten nicht alle öffentlichen Einrichtungen an. Die Plätze werden gut nachgefragt. Es ist sogar so, dass wir schon mal ein Kind mehr aufgenommen haben. Denn ablehnen wollen wir niemanden. Dann wird das eben möglich gemacht. Als wir den Werkskindergarten geschaffen haben, war für uns aber auch klar, dass wir den öffentlichen Einrichtungen hier in Lindlar-Kaiserau keine Konkurrenz machen wollen.
Groll: Rechnet sich der Betriebskindergarten?
Welters: Als wir die Einrichtung gegründet haben, wollten wir früh auf die wachsende Zahl von Vätern reagieren, die von der Elternzeit Gebrauch machen wollten. Es war natürlich auch eine Investition in die Zukunft. Man braucht die entsprechenden Räumlichkeiten, die bestimmte Kriterien erfüllen müssen, damit man darin eine Kindertagesstätte betreiben kann. Uns hat die Kreisverwaltung hier vor Ort bei dem Vorhaben sehr gut unterstützt. Wir mussten ja auch pädagogisches Personal einstellen.
Groll: Das kostet. Gab es keine Vorbehalte?
Welters: Es war sehr schnell klar, dass sich die Investition lohnt – vor allem auf mehrere Jahre gerechnet. Denn sonst wäre die Fluktuation unter den Mitarbeitern sicher größer. Wir hätten höhere Kosten für die Personalsuche und Einarbeitung. So aber können wir gute Mitarbeiter besser halten und die Kita ist auch ein Grund, weswegen sich Fachkräfte bei uns bewerben.
Mut und die Bereitschaft, Neues auszuprobieren
Groll: Was bietet Ihr Unternehmen sonst noch?
Welters: Zunächst haben wir den Grundsatz, dass wir bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf keine Unterschiede zwischen Männern und Frauen machen. Zwar nehmen die Männer in der Regel eine etwas kürzere Elternzeit als die Frauen. Bei uns sind die Väter im Schnitt zwischen drei bis sechs Monaten aus dem Job raus, die Frauen unterbrechen häufig für ein bis zwei Jahre. Wir wollen es aber allen Mitarbeitern ermöglichen. Bei einer längeren Familienauszeit mit Zeiträumen zwischen zwölf und 24 Monaten kann man als Arbeitgeber etwas besser planen und eine Vertretung in Vollzeit organisieren.
Groll: Und was ist mit den kürzeren Abwesenheiten? Bei Zeiten von drei bis sechs Monaten ist es doch eher schwierig, eine Vertretung einzustellen. Wie machen Sie das?
Welters: Das stimmt, acht Wochen sind leichter zu überbrücken. Ich bin aber davon überzeugt, dass es ein Irrglaube ist, man könnte eine Abwesenheit von mehreren Monaten nicht gut überbrücken. Es braucht Mut und die Bereitschaft, Neues auszuprobieren. Wir nutzen solche Elternzeiten etwa als bewusste Personalentwicklungsfunktion. Dazu ist es nötig, die Position zu analysieren.
Groll: Wie geht das?
Welters: Mit einer Tätigkeitsanalyse findet man heraus, welches die essenziellen Aufgaben sind und welche Arbeiten auch anders verteilt werden können. Beispielsweise kann es attraktiv sein, die volle Position einem jüngeren Mitarbeiter zu übertragen, der karriereambitioniert ist und auf Probe etwas mehr Verantwortung übernehmen möchte. So qualifizieren Sie einen Mitarbeiter weiter, während Sie dem anderen eine gute Vereinbarkeit von Familie und Beruf ermöglichen – und man erkennt auch früh, wer welche Ambitionen und Talente hat. Oder man übergibt die wesentlichen Aufgaben einem anderen Mitarbeiter, der sich gerne in diesen Bereich einarbeiten möchte, und die restlichen Aufgaben verteilt man auf weitere Mitarbeiter im Team. Für die Tätigkeiten, die nicht essenziell sind, lässt sich auch eine Aushilfe einstellen. Es ist in jedem Fall eine individuelle Lösung, die gefunden werden muss.
Eine Frage der Unternehmenskultur
Groll: Das ist doch enorm aufwendig.
Welters: Ja, es macht Arbeit. Aber was ist denn die Alternative? Zum einen haben junge Eltern einen Rechtsanspruch auf die Elternzeit. Zum anderen demotiviert man seine Mitarbeiter, wenn man sie bei so elementaren Anliegen wie dem Wunsch, sich um die Kinder zu kümmern, nicht unterstützt. Dann kündigen sie entweder ganz und suchen sich einen Arbeitsplatz, an dem das möglich ist. Oder sie kündigen innerlich und sind nicht mehr loyal und engagiert. Beides macht in der Summe noch mehr Arbeit. Mal davon abgesehen, dass es auch eine Frage der Unternehmenskultur ist und der Werte, für die man als Arbeitgeber steht.
Groll: Was ist, wenn ein Mitarbeiter erst einige Monate Elternzeit nimmt und hinterher noch mehrere Monate oder auch Jahre Teilzeit arbeiten möchten?
Welters: Auch das versuchen wir möglich zu machen. Wir setzen auf flexible Arbeitszeiten, die an die Lebensphase angepasst sind. Dieses Angebot wird von Mitarbeitern mit kleinen Kindern, aber auch älteren Beschäftigten genutzt, die beispielsweise ihre eigenen Eltern zu Hause pflegen. Ich bin davon überzeugt, dass man aus fast jeder Position eine Teilzeitstelle machen kann, wenn man sie seziert und auf das Wesentliche beschränkt. Wir machen auch gute Erfahrungen damit, Teilzeitstellen zwischen 50 und 90 Prozent anzubieten. Hier haben wir rund zehn unterschiedliche Arbeitszeitmodelle, unter denen die Mitarbeiter wählen können. Und vollzeitnahe Teilzeitstellen sind ja auch für die Beschäftigten finanziell attraktiver. Ein weiteres Modell, das auch sehr gut angenommen wird, sind Teilzeitstellen in Verbindung mit einem bestimmten Extrakontingent an Arbeitsstunden für besondere Projekte, für die wir einen Mitarbeiter in Vollzeit brauchen.
Groll: Wie funktioniert das?
Welters: Angenommen, Sie wollen eigentlich etwa 50 oder 60 Prozent arbeiten, um sich um Ihre Kinder zu kümmern, dann ermöglichen wir es. Aber wir brauchen Sie auch für vielleicht einen Zeitraum von sechs Wochen im Jahr, in dem Sie Vollzeit arbeiten. Dann kann man beispielsweise zu Beginn des Jahres das Vollzeitstunden-Kontingent festlegen, vielleicht 200 Stunden extra. Und das wird dann entsprechend aufgeteilt. Manche Mitarbeiter arbeiten an einem Projekt dann sechs Wochen am Stück in Vollzeit und den Rest des Jahres in Teilzeit. Andere nehmen einen Vollzeittag in der Woche und arbeiten den Rest der Woche halbtags. Die Vereinbarung ist ein Kompromiss zwischen den Bedürfnissen des Mitarbeiters und denen des Unternehmens. Unsere Erfahrung zeigt aber: Wenn man offen für solche flexiblen Lösungen ist, dann profitieren alle davon.
Groll: Wie sieht es bei S+C mit der Arbeitszeit aus? Funktioniert das Modell denn auch mit fest vorgeschriebenen Arbeitszeiten?
Welters: Wir haben in den meisten Bereichen feste Arbeitszeiten und einen Teil variable Arbeitszeiten. Also beispielsweise eine Kernarbeitszeit am Tag, in der die Mitarbeiter da sein sollen und einen Teil Rahmenarbeitszeit, in der sie flexibel sind. In der Produktion haben wir Schichtdienste. Außerdem bieten wir unseren Beschäftigten Arbeitszeitkonten, auf denen Überstunden erfasst werden. Die Mitarbeiter können dann wählen, ob sie sich die Mehrarbeit auszahlen lassen oder ob sie lieber einen Freizeitausgleich in Anspruch nehmen.
Personalwesen in der Geschäftsleitung ansiedeln
Groll: Funktioniert das Konzept auch bei Führungspositionen?
Welters: Ja, das zeigt unsere Erfahrung ebenfalls. Führungspositionen müssen nicht immer zwingend 100-Prozent-Stellen sein. Nehmen wir als Beispiel meine Position. Als Personalleiter gibt es einige Aufgaben, die ich selbst machen muss. Und andere Aufgaben, die mir übertragen wurden oder die ich übernommen habe, aber die nicht zwingend mit der Position verknüpft sind. Wenn man das Stellenprofil genau analysiert, findet man allerlei Tätigkeiten, die auch auf andere Positionen verteilt werden können.
Groll: Nichtsdestotrotz kann man ja nicht munter Aufgaben ständig anderen Mitarbeitern zuordnen. Irgendwann kommt es so auf anderen Stellen zu einer Überlastsituation.
Welters: Das ist richtig. Darum erfordert diese Flexibilität sensibles Vorgehen, sprich eine kluge Personalarbeit. Und da, wo es nicht geht, muss ein Unternehmen dann eben neue Leute einstellen. Das macht die Personalarbeit zu einer verantwortungsvollen Tätigkeit. Es ist daher sinnvoll, das Personalwesen auch in der Geschäftsleitung anzusiedeln.
Groll: Wie viel kosten diese Maßnahmen Ihr Unternehmen?
Welters: Sie kosten vor allem Flexibilität und Kommunikation. Aber das lohnt sich, denn wir bekommen Leistungsbereitschaft zurück, eine hohe Identifikation der Mitarbeiter mit unserem Unternehmen und dadurch haben wir eine entsprechend geringe Fluktuation.
Groll: Was sollte Ihrer Meinung nach die Politik tun, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu fördern?
Welters: Sie sollte Arbeitgeber bei ihren Bemühungen unterstützen – etwa die bürokratischen Hürden bei der Eröffnung eines Betriebskindergartens herabsenken. Ich denke, dass die Verantwortung für Familienfreundlichkeit nicht nur bei der Wirtschaft, sondern auch bei der Politik liegt.
Kinder + Karriere = Konflikt?
Denkanstöße für eine deutsche Debatte
von Tina Groll
Stark Verlag (1. Auflage, Februar 2016)
17,95 Euro (D)
ISBN: 978-3-8490-1457-5