Eine neue Gründergeneration schlägt auf Basis eigenständiger Werte einen selbstbewussten Weg ein. Wie sie uns mit ihrer Denk- und Arbeitsweise in eine digitale und zugleich soziale Marktwirtschaft führen kann, erzählt Andreas Nölting.
Andreas Nölting studierte Volkswirtschaft in Hamburg, war viele Jahre u.a. aus Frankfurt und Hongkong für das Manager Magazin tätig und gründete 2010 Nöltingmedia mit dem Schwerpunkt Storytelling. Wie Gründer und Investoren mit neuen Geschäftsmodellen unsere Zukunft sichern, beschreibt er mit seinen Co-Autoren Andreas Haug und Christian Leybold in dem aktuell erschienen Buch Deutschland, Startup!.
Wir sind der Wandel: Wer sind die neuen Gründer?
Andreas Nölting: Während die „Generation Samwer“ 24/7 mit harten Bandagen an ihrem finanziellen Erfolg mit Börsengang, KPI-Erfüllung und Gewinnmaximierung arbeitet, geht es vielen Jungunternehmer heute weniger um das große Geld. Sie sind vielmehr vom Wunsch getrieben, etwas Neues zu erschaffen. Dabei ist das Neue nicht ein rasantes Geschäftsmodell, wo sie große monetäre Beute machen können. Sie streben durch die eigene unternehmerische Tätigkeit soziale, nachhaltige Problemlösungen für die Gesellschaft an.
Wir sind der Wandel: Wo kommt die neue Gründergeneration her?
Nölting: Die neue Gründergeneration stammt in der Regel nicht aus elitären Familien. Sie sind keine Kinder von DAX-Vorständen, die auf Eliteschulen in die USA waren, um erfolgreich zu sein. Sie kommt aus der Mitte unserer Gesellschaft: Tim Sievers zum Beispiel, Gründer von Deposit Solutions, kommt aus einem kleinen Dorf bei Husum und einem Elternhaus, wo der Vater als Polizist tätig ist. Ähnlich wie bei Simon Brunke, dem Gründer von Exporo. Auch er wächst nicht in einer Großstadt auf, sondern in einer ländlichen Umgebung vor den Toren Hamburgs. Die neue Gründergeneration definiert sich nicht über ihre Familie. Ganz im Gegenteil: Sie zeigen, dass eine Gründung mit enormem Willen, großem Einsatz und Wissen sowie guten Ideen möglich ist.
Wir sind der Wandel: Haben sie es nicht dennoch schwerer als Gründer, die aus einer wohlhabenden Unternehmerfamilie stammen?
Nölting: Nicht Geld ist heute die Ressource, sondern die Gründerpersönlichkeit. Daher investieren Investoren mittlerweile in Gründer und nicht in Geschäftsmodelle. Sie brennen für ihre Ideen und treiben sie mit einem enormen Willen voran. Scheitern sie, hadern sie nicht, sondern machen mit der nächsten Geschäftsidee weiter – so lange, bis sie erfolgreich sind. Wie zum Beispiel der Werdegang von Tarek Müller, Gründer und Geschäftsführer des Online-Versandhändlers About You, zeigt: Mit 14 Jahren beginnt Müller mit dem Programmieren, bricht später die Schule ab, holt auf dem zweiten Bildungsweg sein Abitur nach und geht fast pleite. Dennoch hat er nicht aufgegeben. Dieser enorme Wille fehlt Gründern mit großem Namen zuweilen.
„Bei Immobilien heißt es: Lage, Lage, Lage. Bei Gründungen: Gründer, Gründer, Gründer“
Wir sind der Wandel: Was ist dieser Gründergeneration wichtig?
Nölting: Ihnen ist die Selbstbestimmung enorm wichtig. Sie möchten frei arbeiten und wichtige Entscheidungen selbst treffen. Einer dieser Gründer sagte mir mal: „Ich möchte nie einer Arbeit nachgehen, wo ich nicht selber entscheiden kann.“ Dazu gehört ein Unternehmenszweck, der einen Nutzen für die Gesellschaft hat. Und weil sie Unternehmer sind, die nur das ausgeben wollen, was sie auch einnehmen, müssen sie sich an die Regeln der Risikokapitalgeber erst gewöhnen: Hohe Investitionen, schnelles Wachstum. The winner takes it all. Deshalb binden sie sich auch nur an Investoren, die auf eine langfristige Zusammenarbeit setzen.
Führung ist in Zeiten des Wandels eine Herausforderung. Wie gute Führung gelingen kann und welche Herausforderungen Führungskräfte bewältigen müssen, darüber spricht Sabine Hockling in der Serie CHEFSACHE.
Wir sind der Wandel: Worauf kommt es bei einer Gründung an?
Nölting: Bei Immobilien heißt es: Lage, Lage, Lage. Bei Gründungen: Gründer, Gründer, Gründer. Das heißt, es kommt mehr denn je auf die Persönlichkeit eines Gründers an. Es gibt Gründerpersönlichkeiten wie Christian Gaiser, mit denen Investoren zusammenarbeiten wollen, obwohl die Validität des neuen Geschäftsmodells noch fraglich ist.
Wir sind der Wandel: Was können klassische Unternehmen von diesen Gründern lernen?
Nölting: Die Jungunternehmer haben das Glück, ohne Altlasten zu starten. Daher sind sie in vielen Branchen auch der Motor der Transformation. Etablierte Unternehmen sollten sich deren Lösungsansätze für den Wandel anschauen: unternehmerisches Denken und Effizienz statt Hierarchie, Bürokratie und Statussymbole wie Dienstwagen und Vorzimmer. Das heißt, loslegen und ausprobieren, statt Ideen zu zerreden – Fehlerkultur und -toleranz vorausgesetzt. Dazu gehört zwingend, Kontakt zu seinen Kunden aufzunehmen, um Produkte zu entwickeln, die gewünscht sind und gebraucht werden.