Der neue Mindestlohn kommt langsamer als erhofft – und das ist gut so. Warum Maßhalten oft gerechter ist als Maximallösungen.
Die Mindestlohnkommission hat entschieden: Der gesetzliche Mindestlohn steigt in zwei Stufen – auf 13,90 Euro ab 2026 und 14,60 Euro ab 2027. Das Echo fiel erwartungsgemäß geteilt aus. Gewerkschaften und Sozialverbände fordern größere Sprünge, verweisen auf die 15-Euro-Marke im Koalitionsvertrag. Arbeitgeber sprechen von einem „vertretbaren Kompromiss“. Doch jenseits der politischen Rhetorik zeigt ein nüchterner Blick: Die Entscheidung ist ausgewogen, sozial gerecht und wirtschaftlich vernünftig – gerade in Krisenzeiten.
Fünf bis sechs Millionen Beschäftigte profitieren von der Erhöhung, viele in prekären, oft systemrelevanten Berufen. Für sie bedeutet der Anstieg bis zu 310 Euro brutto mehr im Monat. Kein Wohlstand, aber ein spürbarer Fortschritt. Die Kommission hat ihren Auftrag erfüllt: den Schutz der Arbeitnehmer:innen zu verbessern, ohne Arbeitsplätze zu gefährden oder die Wirtschaft zu belasten.
Moderater Anstieg mit Bedacht
Solidarität im Sozialstaat heißt nicht nur, Bedürftige zu unterstützen, sondern auch die Balance zwischen sozialen Ansprüchen und wirtschaftlicher Tragfähigkeit zu wahren. Genau das ist hier gelungen.
Die Entscheidung fällt in eine Phase wirtschaftlicher Stagnation. Die deutsche Wirtschaft kämpft mit strukturellen Problemen, geopolitischen Unsicherheiten und schwachen Investitionen. Zwar hat sich die Inflation nach den extremen Jahren 2021 bis 2023 beruhigt, doch die Kaufkraft vieler Haushalte bleibt angespannt.
Eine drastische Erhöhung hätte kleine und mittlere Unternehmen in arbeitsintensiven Branchen wie Einzelhandel, Gastronomie oder Landwirtschaft überfordert. Die Kommission hat diese Realität anerkannt und sich für einen moderaten, aber stetigen Anstieg entschieden. Das ist keine Schwäche, sondern Ausdruck ökonomischer Vernunft.
Ein demokratisch legitimierter Prozess
Die Mindestlohnkommission ist kein willkürliches Gremium. Sie besteht aus Vertreter:innen von Arbeitgebern und Arbeitnehmer:innen, ergänzt durch eine unabhängige Vorsitzende. Ihre Entscheidungen beruhen auf Daten, Anhörungen und wissenschaftlichen Analysen – nicht auf parteipolitischen Vorgaben.
Dass die SPD 15 Euro gefordert hat, ist legitim. Doch die Kommission setzt keine Parteiprogramme um, sondern sucht einen tragfähigen Ausgleich. Diesmal gelang das einstimmig. In Zeiten wachsender Polarisierung und schwindenden Vertrauens in demokratische Institutionen ist das ein ermutigendes Signal: Kompromisse sind möglich, wenn alle Seiten Verantwortung übernehmen.
Ein Mindestlohn von 14,60 Euro im Jahr 2027 bleibt ein Zwischenschritt. Die Kommission wird Tarifabschlüsse, Produktivität und Lebenshaltungskosten weiter beobachten. Die 15 Euro kommen – wahrscheinlich 2028.
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Ein Kompromiss, der trägt
Die Entscheidung schafft Planungssicherheit – für Beschäftigte wie Unternehmen. Sie stärkt das Vertrauen in einen Sozialstaat, der nicht mit der Gießkanne verteilt, sondern mit Augenmaß handelt.
Die Erhöhung verbessert das Leben von Millionen Menschen, ohne die wirtschaftliche Basis zu gefährden. Sie zeigt, wie soziale Gerechtigkeit in der Praxis funktioniert: nicht als Maximalforderung, sondern als verantwortungsvoller Fortschritt.
In einer Zeit, in der Populisten einfache Antworten auf komplexe Fragen versprechen, ist das die wichtigste Botschaft: Gerechtigkeit braucht Geduld, Dialog – und Kompromisse.