Mindestlohn von 15 Euro: Zu viel für Deutschland?

Ein Mann wischt den Boden vor einer geöffneten Gebäudetür

Arbeitsministerin Bas fordert 15 Euro Mindestlohn bis 2026. Arbeitgeber warnen vor wirtschaftlichen Folgen und Transferentzugs-Effekt für einkommensschwache Familien. Die Mindestlohnkommission tagt erst im Juni, doch schon jetzt streitet man über eine mögliche Erhöhung. Was dagegen spricht.

Die Debatte um einen Mindestlohn von 15 Euro pro Stunde ist neu entflammt. Arbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) forderte die Mindestlohnkommission auf, diesen Schritt für 2026 zu vollziehen – notfalls per Gesetz. Arbeitgebervertreter warnen jedoch vor den Folgen eines solchen Eingriffs, besonders in wirtschaftlich schwachen Zeiten.

Steffen Kampeter, Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und Mitglied der Mindestlohnkommission, nannte die 15-Euro-Forderung ein „ökonomisches Himmelfahrtskommando“. Sie sei populistisch und ohne wirtschaftliche Grundlage. Angesichts von Rezession, Konsumflaute und hoher Steuerlast sei eine Erhöhung um 17 Prozent nicht vermittelbar und gefährde Arbeitsplätze.

Folgen für einkommensschwache Familien werden übersehen

Irrtümer und Mythen rund ums ArbeitsrechtDie Mindestlohnkommission muss laut Gesetz die wirtschaftliche Lage berücksichtigen. Diese ist jedoch alles andere als stabil: Viele kleine und mittlere Unternehmen leiden unter hohen Energiepreisen, Lieferkettenproblemen und schwacher Nachfrage. Eine drastische Erhöhung würde Betriebe zusätzlich belasten, besonders in arbeitsintensiven Branchen wie Gastronomie, Pflege, Einzelhandel oder Gebäudereinigung.

Oft übersehen werden die Folgen für einkommensschwache Familien. Haushalte mit zwei Kindern und 3.000 bis 3.500 Euro brutto profitieren von Kinderzuschlag oder Wohngeld. Diese Leistungen sind einkommensabhängig und werden bei steigendem Bruttoeinkommen gestrichen. Das bedeutet: Steigt der Mindestlohn, verlieren viele Familien Transferleistungen, ohne dass ihnen mehr Netto bleibt.

Der Transferentzugs-Effekt ist groß

In der Praxis führt dies zu einem „Transferentzugs-Effekt“: Der zusätzliche Lohn wird durch wegfallende Sozialleistungen kompensiert. Mehr Arbeit bringt kaum mehr Geld. Jüngste Sozialreformen – etwa die Ausweitung des Wohngelds – haben dies noch verstärkt. Eine Mindestlohnerhöhung kann sich so als Nullsummenspiel erweisen.

Zudem untergräbt ein Eingriff in die Arbeit der Mindestlohnkommission deren Unabhängigkeit. Sie wurde als paritätisches Gremium geschaffen, um politischen Einfluss zu vermeiden. Wenn das Kabinett nun mit Gesetzen droht, falls die Kommission nicht im Sinne der Regierung entscheidet, ist das ein gefährlicher Präzedenzfall. Kampeter kritisierte diese Drohgebärden als „einer Bundesregierung unwürdig“ und forderte Respekt vor der Kommissionsarbeit.


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Es braucht eine differenzierte Debatte

Eine Debatte über die Höhe des Mindestlohns ist legitim, besonders angesichts gestiegender Lebenshaltungskosten. Doch eine pauschale Anhebung auf 15 Euro ohne Rücksicht auf die wirtschaftliche Realität und soziale Wechselwirkungen kann mehr schaden als nutzen. Stattdessen braucht es eine differenzierte Debatte: Wie kann man gezielt Menschen unterstützen, die trotz Arbeit wenig verdienen? Wie lassen sich Lohnzuwächse mit dem Erhalt von Arbeitsplätzen vereinbaren? Und wie kann der Sozialstaat so gestaltet werden, dass sich Mehrarbeit lohnt?

Ein Mindestlohn von 15 Euro mag attraktiv erscheinen, doch in der aktuellen Lage könnte er zu hoch sein. Die Mindestlohnkommission sollte autonom entscheiden. Klar ist: Die 15 Euro werden kommen, vielleicht nicht 2026, aber sicher bis 2028.

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Tina Groll

Tina Groll, SPIEGEL-Bestsellerautorin und Redakteurin bei ZEIT ONLINE im Ressort Politik & Wirtschaft, konzentriert sich als Autorin von WIR SIND DER WANDEL auf Arbeitsmarkt-, Sozial- und Gesundheitspolitik. 2008 zeichnete sie das Medium Magazin als eine der “Top 30 Journalisten unter 30 Jahren” aus. Ferner ist sie Mitglied im Deutschen Presserat.