Powerplayer oder altes Eisen?

Mann am Computer

Wer mit 50 plus einen neuen Job sucht, ist oft überrascht, wie viel er tun muss, um potenzielle Arbeitgeber von sich und seinen Fähigkeiten zu überzeugen. Hans-Georg Willmann, Coach und Ü50, weiß, wie erfolgreiche Bewerbungen aussehen.

Generation Gold, Best Ager, Master Consumer – die Konsumwelt spart nicht mit kreativen Labeln für die Generation 50 plus. Firmen, die Wellness und Weltreisen, Powerdrinks und Potenzmittel verkaufen, umwerben uns mit wohltuenden Zuschreibungen wie junggeblieben, fit, agil, gebildet und mobil. Das geht runter wie Öl.

In der Arbeitswelt gelten wir jedoch offensichtlich als stur, unflexibel, unbelehrbar, gebrechlich und dazu auch noch als zu teuer. Zwischen dem Gefühl, ein alter Sack (immerhin ein alter Geldsack) und ein Powerplayer im besten Alter zu sein, oszillieren viele 50-Jährige hin und her, zwischen Selbstunterschätzung und Selbstüberschätzung. Trotz 20, 30 Berufsjahren und einem beeindruckend langen Lebenslauf fällt es deshalb vielen schwer, sich auf dem Arbeitsmarkt neu zu positionieren.

Mit persönlicher Haltung und Masterplan zum Ziel

Ein zentraler Schlüssel zum Erfolg mit über 50 ist die persönliche Haltung. Gefragt ist eine realistische, offene und aktive Einstellung. Wer seine Gehaltswünsche, seine Veränderungs- und Lernbereitschaft selbstkritisch reflektiert und mit realistischen Vorstellungen flexibel und aktiv auf Jobsuche geht, hat bessere Chancen beruflich durchzustarten. Und die gute Nachricht ist: Noch nie war die Zeit dafür besser als heute. Gut ausgebildete Arbeitskräfte fehlen – weil mehr und mehr Mitarbeitende in den Ruhestand gehen und nicht genug junge Kräfte nachrücken. Die demografische Entwicklung spielt Menschen über 50 in die Hände.

Fakt ist aber auch, die Digitalisierung reißt eine qualifikatorische Lücke auf dem Arbeitsmarkt. Der digitale Wandel verändert die Arbeitswelt schneller als alles bisher Dagewesene. Anders als bislang in der Geschichte haben Arbeitskräfte nicht mehr so viel Zeit zur Verfügung, um sich persönlich und hinsichtlich ihrer Qualifikation anzupassen. Sie müssen sich schneller bewegen, länger lernen, ideenreicher mit sich ständig verändernden komplexen Situationen klarkommen, mit Unsicherheit und mit Mehrdeutigkeit konstruktiv umgehen.

Den richtigen Arbeitgebern die eigenen Stärken mitteilen

Dafür sind die übertragbaren Fähigkeiten wie zum Beispiel Kommunikationsfähigkeit, Selbst- und Zeitmanagement, Problemlöse-, Organisations- und Lernfähigkeit, Führungsqualität und Fremdsprachen entscheidend, die branchen- und aufgabenunabhängig eingesetzt werden können. Hinzu kommen die besonderen 50 plus-Stärken: die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen, Disziplin und Durchhaltevermögen, Branchen-, Fach- und Spezialkenntnisse, langjährig gepflegte Netzwerke, Empathie und Geduld, Verbindlichkeit in der Kommunikation und im Handeln, gute Umgangsformen, Seniorität, Lebenserfahrung und eine oft höhere zeitliche und räumliche Flexibilität, weil in der Regel die Familienplanung abgeschlossen ist.

Die eigenen Stärken und übertragbaren Fähigkeiten gilt es im Bewerbungsprozess mitzuteilen – und zwar den richtigen Arbeitgebern. Daher ist die Suche nach den passenden Unternehmen, die Mitarbeiter 50 plus willkommen heißen, ein wichtiger Erfolgsfaktor. Das sind meist mittelständische und kleinere Organisationen, die weniger in Hightech-Branchen tätig sind, sondern in herkömmlichen Feldern agieren. Eben die Arbeitgeber, deren Firmensitz häufig außerhalb größerer Städte auf dem Land liegt und die in der Bevölkerung weniger bekannt sind, als die großen Konzerne. Denn diese Arbeitgeber haben es schwerer, Fach- und Führungskräfte zu rekrutieren und sind deshalb offener gegenüber Bewerbern über 50.

Persönliche Kontakte sind Gold wert

„Nur“ gut sein und seine Bewerbungsunterlagen an möglichst viele Arbeitgeber zu schicken, reicht mit über 50 nicht mehr aus. Viele, die so vorgehen, machen es sich sehr viel schwerer, als sie es haben müssten. Um sich mit über 50 beruflich neu zu positionieren ist es hilfreich sein soziales Kapital zu nutzen. Eben Netzwerke von Menschen und Institutionen zu nutzen, die uns umgeben und die wir uns im Laufe der Jahre aufgebaut haben. Diese persönlichen Kontakte sind bei der Jobsuche Gold wert. Denn Arbeitgeber versuchen eine Stelle wann immer möglich mit jemandem zu besetzen, den sie persönlich kennen und einschätzen können. Ist das nicht möglich, schauen sie erst danach, wer ihnen jemanden empfehlen kann, bevor sie sich durch Bewerbungsstapel wühlen. Die Bedeutung persönlicher Kontakte und Empfehlungen nimmt in Zeiten der Digitalisierung also sogar noch zu.

Eine veränderte, digitale Arbeitswelt bringt auch neue Bewerbungsprozedere mit sich. Bei der Recherche nach und der Prüfung von geeigneten Kandidaten spielen der Computer und das Internet mittlerweile für die allermeisten Personaler eine zentrale Rolle. Laut Umfragen wollen über 90 Prozent aller Arbeitgeber Bewerbungsunterlagen auf digitalem Wege. Mehr als 60 Prozent der Personalentscheider googeln ihre Bewerber, bevor sie sie zu einem Vorstellungsgespräch einladen (https://www.uni-bamberg.de/isdl/transfer/e-recruiting/recruiting-trends/recruiting-trends-2018/). Daher ist es besser, man kennt seine digitalen Spuren im Netz, lernt mit dem Computer und dem Internet umzugehen und legt sich aktiv ein digitales Profil bei einem Karrierenetzwerk wie XING oder LinkedIn an.

50 ist nicht das neue 30. Da müssen wir uns nichts vormachen. Doch mit einer agilen Haltung und mit ein wenig Know-how über den Arbeitsmarkt und das Internet können Ü50 noch lange ihre Fähigkeiten und Stärken ins Spiel bringen.

 

 

Der Diplom-Psychologe Hans-Georg Willmann arbeitet als Coach und Autor. Er hat sich auf die Karriereberatung und das Krisencoaching spezialisiert. Ferner unterstützt er Menschen in beruflichen Veränderungsprozessen dabei, neue Chancen zu erkennen und Ziele umzusetzen. Zum Thema Durchstarten mit 50 Plus ist jüngst sein neues Buch Durchstarten mit 50 plus erschienen.

Die Ratgeber-Redaktion

Unter der Autor:innen-Bezeichnung REDAKTION veröffentlichten DIE RATGEBER von 2010 bis 2020 Gastbeiträge sowie Agenturmeldungen. Im August 2020 gingen die Inhalte von DIE RATGEBER auf die Webseite WIR SIND DER WANDEL über.