Der große Niedriglohnsektor ist ein Problem in Deutschland: Mehr als 20 Prozent der Erwerbstätigen in Deutschland verdienen unter 14 Euro pro Stunde. Die Linke und viele Sozialverbände fordern eine Erhöhung der Lohnuntergrenze.
Knapp jeder vierte Beschäftigte in Deutschland verdient weniger als 14 Euro in der Stunde. Das sind 9,3 Millionen der insgesamt 39,8 Millionen Erwerbstätigen, rund 23 Prozent. Das zeigen Daten aus einer Sonderauswertung des Statistischen Bundesamts für die Linksfraktion im Bundestag. Für die Linken ist das der Beleg für ein “deutlich zu niedriges Lohnniveau”, sagte Linksfraktionschef Dietmar Bartsch den Funke-Medien.
Der große Niedriglohnsektor ist ein Problem in Deutschland. Im April 2022 lag die Niedriglohngrenze laut dem Statistischen Bundesamt bei einem Bruttoverdienst von 12,50 Euro pro Stunde. Fast jede und jeder fünfte Beschäftigte (19 Prozent) arbeitete im vergangenen Jahr zu solch geringen Löhnen. Definiert wird der Niedriglohnbereich als ein Stundenlohn, der geringer ist als zwei Drittel des mittleren Bruttostundenlohns. In Deutschland lag dieser zuletzt bei 21,29 Euro. Der Mindestlohn soll laut einer EU-Richtlinie bei 60 Prozent des mittleren Verdienstes liegen – das wären in Deutschland mehr als zwölf Euro die Stunde.
Kein Arbeitskräftemangel bei Ungelernten und Angelernten
Hat also die Linkspartei recht, wenn sie das zu niedrige Lohnniveau in Deutschland beklagt? Und müsste der zunehmende Arbeitskräftemangel nicht einen Effekt auf das Lohnniveau haben? Immerhin steigen vielerorts die Löhne für Ungelernte und Angelernte. Nicht unbedingt, sagen Experten. Der Ökonom Holger Schäfer vom Institut der Wirtschaft (IW) in Köln sagt, dass bei Jobs für Ungelernte und Angelernte kein genereller Arbeitskräftemangel bestehe – also da, wo Löhne unter 14 Euro stark verbreitet sind. Zudem könnten ganz aktuelle Daten ein anderes Bild zeigen. Denn die Zahlen des Statistischen Bundesamt, auf die sich die Linken beziehen, stammen aus dem April 2022. Und somit ein knappes halbes Jahr vor der Anhebung des Mindestlohns auf zwölf Euro im Oktober 2022.
Neue Daten, die Aussagen über den Effekt der Anhebung zeigen, liegen noch nicht vor. Schäfer geht aber davon aus, dass diese Anhebung einen Effekt auf den gesamten Niedriglohnsektor gehabt haben dürfte – diese also gestiegen sein müssten. Darauf deuteten auch mehrere Indizien: “Die geringfügige Beschäftigung, also die Zahl der Minijobs, hat abgenommen”, so der Ökonom. Viele Menschen im Niedriglohnsektor arbeiten nämlich in Minijobs. Und nach dem starken Einbruch in der Corona-Pandemie habe sie nicht wieder das Ausmaß erreicht wie vor der Pandemie. Und das, obwohl die Geringfügigkeitsgrenze mit der Mindestlohnanhebung auf 520 Euro angehoben worden ist.
Mindestlohn verkleinert Niedriglohnsektor
Auch der Ökonom Markus Grabka vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin rechnet damit, dass sich der Niedriglohnsektor mit der Anhebung des Mindestlohns verkleinert haben dürfte. Dies sei übrigens schon vor der Anhebung der Untergrenze auf zwölf Euro der Fall gewesen. Daten zeigen, dass schon kurz nach Einführung des Mindestlohns dieser Effekt zu beobachten war.
Laut dem Statistischen Bundesamt waren 5,8 Millionen Jobs von der Erhöhung des Mindestlohns zum 1. Oktober 2022 betroffen – das sind fast 15 Prozent aller Beschäftigungsverhältnisse. Im Gegensatz zu den Männern mit 12 Prozent profitierten davon überdurchschnittlich Frauen mit rund 18 Prozent. Der Anteil bei Beschäftigten aus Ostdeutschland, die von der Anhebung profitierten, lag im Osten bei 18 Prozent, im Westen bei 14 Prozent. Besonders häufig waren zudem Jobs im Gastgewerbe sowie in der Land- und Forstwirtschaft, Fischerei betroffen.
Mindestlohnkommission plädiert für Erhöhung der Lohnuntergrenze
Kürzlich hat die Mindestlohnkommission vorgeschlagen, die Lohnuntergrenze zum 1. Januar 2024 zunächst auf 12,41 Euro pro Stunde zu erhöhen; und zum Jahresbeginn 2025 dann auf 12,82 Euro. Die Linke und auch viele Sozialverbände wie der Sozialverband Deutschland (SoVD) und der Sozialverband VdK fordern aber mehr. Wäre das denn sinnvoll?
DIW-Präsident Marcel Fratzscher gibt zu bedenken, dass sich eine optimale Höhe des Mindestlohns aufgrund seiner vielfältigen Wirkungsweisen nur schwerlich bestimmen lasse. “Die Wirkung auf die Beschäftigungs- und Lohnstruktur ist ein Zusammenspiel von Marktstruktur, Preisüberwälzungs- und Substitutionsmöglichkeiten und unterscheidet sich nach Branche und Region”, so der DIW-Präsident. Denn natürlich können Arbeitgeber höhere Löhne auf die Preise aufschlagen, manchmal Jobs einfach streichen – aber eben nicht beliebig. Daher sei es wichtig und richtig, dass Einführung und sukzessive Erhöhungen des Mindestlohns fortlaufend wissenschaftlich evaluiert würden.