Ruanda bei Gleichberechtigung noch vor Deutschland

Frau schaut vor Hauswand hervor

Die Gleichstellung zwischen Männern und Frauen hat sich verschlechtert. Erst in 170 Jahren würde echte Chancengleichheit herrschen. Das stellt das Weltwirtschaftsforum in seinem Gender Gap Report fest. Deutschland fällt im Ranking noch hinter Ruanda, Nicaragua und Burundi.

2006 – da sah es richtig gut aus für eine baldige Gleichberechtigung von Männern und Frauen in Deutschland. Damals kam die Bundesrepublik weltweit auf Platz 6, was die gleichen Chancen zwischen den Geschlechtern in allen wichtigen Lebensbereichen angeht. Seither gibt es zwar eine Frauenquote für die Aufsichtsräte der börsennotierten Unternehmen, es gibt das Elterngeld mit Partnermonaten auch für den Vater und den Anspruch auf einen Betreuungsplatz für unter Dreijährige. Aber dennoch hat sich die Chancengleichheit leicht verschlechtert. So stark, dass Länder wie Ruanda, Nicaragua und sogar Burundi noch vor Deutschland im Ranking des Weltwirtschaftsforums kommen.

Die Untersuchung bewertet jährlich den weltweiten Stand der Gleichstellung zwischen den Geschlechtern in den Bereichen Bildung, Gesundheit und Lebenserwartung, wirtschaftliche Chancen und politische Beteiligung. Die aktuelle Auswertung zeigt: Deutschland rangiert zwar immer noch weit oben, auf Platz 13 (von 144 untersuchten Ländern) nämlich. Und je nachdem, welchen Teilbereich der Studie man berücksichtigt, schafft es Deutschland noch nicht einmal weit nach vorne.

Noch 170 Jahre bis zur Gleichberechtigung

Aber wenn wir auf der ganzen Welt weiter machen wie bisher, wird es noch 170 Jahre dauern, bis Männer und Frauen tatsächlich die gleichen Chancen auf Teilhabe haben werden. Und wenn Standards weiter sinken und sich unter anderem auch Debatten über die Gleichberechtigung weiterhin verschärfen, Frauen wie etwa in Polen ein generelles Abtreibungsverbot und somit um ihre körperliche Selbstbestimmung fürchten müssen, könnte es möglicherweise noch länger dauern. Im vergangenen Jahr hatten die Experten vom Weltwirtschaftsforum noch mit 118 Jahren gerechnet. Viel zu lange jedenfalls für alle heute lebenden Frauen.

Besonders was die politische Beteiliung von Frauen weltweit angeht, sieht es düster aus. Während in den USA erstmals eine Frau für das Amt als Präsidentin gegen einen offenen Sexisten kandidiert und in den letzten Jahren immerhin einige Frauen ins Amt der Staatschefin gekommen sind (Theresa May in Großbritannien etwa), halten sich die allermeisten Frauen allerdings aus der Politik heraus – oder werden herausgehalten, weil sie gar kein Wahlrecht haben. Weltweit liegt der Wert für politische Beteiligung bei gerade einmal 23 Prozent. Ein Wert, der zumindest uns privilegierte Frauen in den westlichen Industrienationen vor die Frage stellen sollte: Warum machen wir von unserer möglichen Teilhabe an Politik eigentlich nicht aktiver Gebrauch? Auch in Deutschland sind die Mehrheit der Abgeordneten im Bundestag männlich und dominieren in allen politischen Parteien die Männer. Warum eigentlich?

Mehr Beteiligung, und zwar jetzt!

Über den Zugang von Frauen zu Kapital und ihrer Möglichkeit, sich als Unternehmerin zu betätigen, haben wir hier im Blog schon vielfach geschrieben. Ebenso über die Gender Pay Gap, also das weltweite Phänomen, dass Frauen schlechter als Männer bezahlt werden. Das Weltwirtschaftsforum stellt in diesem Jahr eine Verwirklichung der wirtschaftlichen Chancen von Frauen von 59 Prozent fest. Die schlechte Naricht daran: Auch hier ist die Zahl rückläufig, es ist der niedrigste Wert seit 2008. Schuld daran ist vor allem die Lohnlücke zwischen den Geschlechtern. Das Schlimme daran ist: Frauen arbeiten überall auf der Welt mehr und länger als Männer. Nur wird ihre Arbeit – weil ein großer Teil Care-Arbeit ist – schlicht nicht bezahlt. Dazu kommt, dass Frauen überall auf der Welt schlechter in den Arbeitsmarkt integriert sind. In manchen Ländern gibt es nich Berufsverbote für Frauen. So erstaunt es nicht, dass nur 54 Prozent der Frauen erwerbstätig sind – also für ihre Arbeit auch einen Lohn erhalten, während es 81 Prozent der Männer weltweit sind. Und freilich: Überall fehlen Frauen in den Führungs- und Entscheidungspositionen. Bei der wirtschaftlichen Beteiligung schafft es Deutschland gerade einmal auf Platz 57.

In anderen Bereichen steht es deutlich besser aus: In den 144 Ländern sei der Zugang zu medizinischer Versorgung und Hygiene immerhin zu 96 Prozent verwirklicht, heißt es in dem Bericht. Bei der Bildung sind es immerhin 95 Prozent – wobei es immer noch viel zu viele Länder gibt, in denen es Mädchen schwer gemacht wird, eine Schule zu besuchen und Frauen an einer Universität noch immer eine Seltenheit sind. Ausgerechnet bei diesen Themen sieht es aber in Deutschland gar nicht so gut aus. Bei der Bildungs-Teilhabe schaffen wir es nur auf Platz 100.

Und hätten Sie etwa gedacht, dass was den Zugang zu Gesundheit und medizinischer Versorgung angeht, Deutschland gar nicht so gleichberechtigt ist? Im Teil-Ranking für Gesundheit kommt Deutschland auf Platz 54. Ein Grund: Viele Medikamente, Untersuchungen und Behandlungen sind abgestimmt auf den männlichen Normalpatienten. Frauen benötigen aber aufgrund ihrer kleineren Körpergröße, ihres im Schnitt geringeren Körpergewichts und anderer hormoneller Voraussetzungen oft eine andere Behandlung.

Proteste selbst in Island

Das gleichberechtigste Land der Welt ist übrigens Island, gefolgt von Finnland, Norwegen und Schweden. Aber auch in Island gibt derzeit massenhafte Proteste. Am Montag versammelten sich die Isländerinnen zu Massenprotesten gegen die ungleiche Bezahlung. Mehr als 50.000 Frauen verließen am Nachmittag ihre Arbeit, um sich an den Demonstrationen zu beteiligen. Man bedenke: Island hat gerade einmal knapp 300.000 Einwohner – Babys, Kinder und Senioren miteingerechnet. Man kann also sagen, dass sich fast alle Arbeitnehmerinnen Islands zum Demonstrieren zusammengefunden haben.

Vielleicht ein Beispiel auch für Deutschland? 170 Jahre Zeit hat jedenfalls keine heute lebende Frau.

Tina Groll

Tina Groll arbeitet hauptberuflich als Redakteurin bei ZEIT ONLINE im Ressort Politik & Wirtschaft. 2008 zeichnete sie das Medium Magazin als eine der “Top 30 Journalisten unter 30 Jahren“ aus. Sie ist Mitglied im Deutschen Presserat sowie als Vorsitzende der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union tätig. Als Autorin von WIR SIND DER WANDEL beschäftigt sie sich mit der Arbeitsmarkt-, Sozial- und Gesundheitspolitik.

Kommentare

Comments are closed.