Rumhantieren mit dem Unterbewusstsein der Mitarbeiter

Verschwommene Menschen eilen über Platz

Erfolgreich im Job sein oder subtil andere manipulieren: Von Kursen für Neuro-Linguistisches Programmieren erhoffen sich Führungskräfte vieles. Ich wollte wissen: Was ist da dran?

Auf der Bühne des alten Konzertsaals in Berlin steht nur ein roter Hocker. 600 Menschen drängen hinein, die Plätze in den ersten Reihen sind von Fans mit Taschen und Jacken blockiert. Chris Mulzer, Trainer für Neuro-Linguistisches Programmieren (NLP), betritt die Bühne. Es wird sofort still im Saal. Mulzer, heißt es, sei ein großer Manipulator.

Das Licht ist schummerig, die Luft stickig. Mulzer erzählt Geschichten. Er berichtet von Reisen, von Erfolgsstrategien, von Studienergebnissen. Er räuspert sich, breitet hin und wieder die Hände aus oder fasst sich am Oberarm. Nie kommt er zum Punkt, immer lässt er eine Geschichten offen, um eine neue anzufangen; verschachtelte Ausführungen. Viele sind bereits nach der ersten halben Stunde eingedöst. Ich versuche, mich mit Mitschreiben wachzuhalten.

Die Menschen im Saal sind Teilnehmer einer zehntägigen NLP-Grundausbildung, Practitioner genannt. Ein Massenkurs. Sie streben nach Erfolg im Job, Harmonie in Familie und Partnerschaft und nach einem glücklichen Leben. Das aus verschiedenen Ansätzen der Psychologie entwickelte Kommunikationsmodell NLP soll es ihnen ermöglichen. Einige wollen auch lernen, andere in ihrem Sinne zu beeinflussen – Mitarbeiter und Kunden zum Beispiel. Unter den Teilnehmern sind Führungskräfte, Verkäufer und Makler. Mulzers Kurs ist als berufliche Weiterbildung anerkannt.

“Das ist NLP!” verkündet beim Hinausgehen nach der Auftaktveranstaltung einer euphorisch. “Der hat uns schon gut in Trance versetzt”, sagt ein anderer. “Krasse Wirkung”, schwärmt ein Dritter, dem angeblich angenehm schwindelig ist.

Manipulation des Unterbewusstseins

Der euphorische Teilnehmer ist selbst NLP-Trainer und leitet später eine Übungsgruppe. Die verschachtelten Geschichten Mulzers heißen nested loops, erklärt er. Dass die Teilnehmer davon müde werden und wegdösen, sei durchaus gewollt. In die Geschichten seien Suggestionen, Lernziele und gewünschte Veränderungen eingebettet. Auf bewusster Ebene bekämen wir das nicht mit, aber das Unterbewusstsein nehme die versteckten Befehle auf. Es sei unmöglich, sich dagegen zu wehren. Als ich anmerke, es sei eine verrückte Vorstellung, jemand könnte in meiner Psyche herumpfuschen, ohne dass ich es merke oder will, belehrt mich der Mann: “Du willst es ja, sonst wärst du nicht hier.”

Tatsächlich möchte ich erfahren, was dran ist an NLP. Menschen auf subtile Weise manipulieren – das verbinden viele mit dem Verfahren, auch weil Sekten wie Scientology NLP anwenden. Andere schwören darauf, dass NLP ihr Leben verändert habe. Wie funktioniert das?

Ein einträgliches Geschäft scheint es auf jeden Fall zu sein. Der Verband für Neuro-Linguistisches Programmieren (DVNLP) hat allein gut 2.000 Mitglieder, und es gibt noch mehr Verbände. Die meisten Anbieter solcher Ausbildungen verlangen für den Grundkurs mehrere Tausend Euro. Wer an Mulzers Großkurs teilnimmt, muss nur 350 Euro zahlen.

Wie eine hypnotische Trance funktioniert, demonstriert Mulzer auf der Bühne mit fortgeschrittenen Teilnehmern. Sie machen den Masterkurs für 3.000 Euro oder gar die Trainerausbildung für 18.000 Euro. Für sie ist es Teil ihrer Ausbildung, beim Grundkurs mitzumachen. Mal sinkt ein Mann unter Mulzers Suggestionen tief in Entspannung, mal bringt Mulzer eine Frau dazu, beim Gedanken ans Putzen gute Laune zu haben.

Der praktische Teil für alle findet dann im angrenzenden Park statt. Wir sollen selbst üben, die Aufgaben klingen wild: sich gegenseitig in Trance versetzen, beim anderen Ängste und Unsicherheiten heilen, das eigene Leben auf einem imaginären Zeitstrahl anordnen und in die Vergangenheit oder Zukunft wandern. Ein junger Mann erlebt seine eigene Geburt noch einmal. Ein anderer will in frühere Leben zurückgehen. Ich bin weniger begabt. Meine Erinnerung hört im Kleinkinderalter auf, in die Zukunft gucken kann ich auch nicht.

Konstantin, Führungskraft bei einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, erklärt, wie ihm solche Übungen im Berufsalltag helfen. Vor wichtigen Verhandlungen male er sich aus, wie gut die Zukunft werde, wenn die Gespräche in seinem Sinne laufen. So gehe er weniger gestresst in die Verhandlungen. Auch Konstantin hat Bildungsurlaub bekommen, er ist schon das dritte Mal beim NLP-Practitioner. “In der Firma denken sie, ich mache eine Kurs zur Führungskräfteentwicklung”, sagt er. “Dass ich mich hier mit völlig Fremden in Trance versetze, erzähle ich nicht.”

Die Trancen gelten als Höhepunkt des Tages. Abends ist es im Saal ganz dunkel. Eine Live-Band spielt Entspannungsmusik, Mulzer liest eine Traumreise vor. Wir fliegen auf Zauberteppichen der Fantasie oder baden in mysteriösen Flüssigkeiten, die uns alle Ängste abwaschen. Jetzt schlafen die meisten. Das Gelernte tiefer verankern, Stärken und Kompetenzen bewusster machen und dazu anregen, Probleme mit Zuversicht zu lösen – dazu sollen die Trancen dienen. Wie das konkret funktioniert, verstehe ich nicht. Das mache nichts, versichert Mulzer. Es reiche, wenn mein Unterbewusstsein es tue.

Nach der Trance spielt die Band noch ein paar Songs. Ein junger Mann schwebt durch den Raum und beginnt ekstatisch zu tanzen. “Was für ein Freak”, entfährt es mir. “Ende der Woche wirst du auch tanzen”, sagt Konstantin. Ich zweifle, dass ich mich darauf einlassen kann.

Komfortzonen erweitern

An den folgenden Tagen zielt alles darauf ab, sich persönliche Stärken bewusst zu machen. Mal reflektieren wir unsere Erfolgsstrategien, mal überlegen wir, welche Stärken sich hinter vermeintlichen Schwächen verbergen. Positives Denken, klar, dass das gute Laune macht. Übungen, die ich für esoterischen Psychohokuspokus halte, sollen außerdem unsere “Komfortzone erweitern”. Ich übersetze es für mich mit: uns gelassener machen.

Ich treffe Paul, der meine Skepsis teilweise teilt. Der Enddreißiger war lange Journalist. Er ist zufällig in Mulzers Massenkurs gelandet, weil eine NLP-Ausbildung für ihn als Coach für Führungskräfte dazugehört. Doch schnell steht für ihn fest, dass er noch eine standardisierte Ausbildung nach den Kriterien des DVNLP machen möchte. Der Verband hat Qualitätskriterien und einen Ethikkodex für NLP-Ausbildungen aufgestellt. Kriterien, die Mulzer für überflüssig hält. “Wenn dein Kind laufen lernen soll, schickst du es ja auch nicht in die Schule”, argumentiert er. Wer unbedingt ein Zertifikat benötigt, kann es nach dem Kurs für 250 Euro erwerben. Oder auch den ganzen Workshop auf DVD für 280 Euro.

Paul geht pragmatisch mit den Erlebnissen im Massenworkshop um: “Ein hübsches Geschäft für Mulzer”, bilanziert er. “Allerdings gibt es hier sehr viele Schiffbrüchige.” Ein Teilnehmer zieht im mittelalterlichen Gauklerkostüm an uns vorbei. Täglich steigt die Zahl der Kostümierten. Einer trägt Hasenkostüm, ein anderer springt im Affenoutfit auf die Bühne und umarmt Mulzer.

Vieles findet Paul einfach unterhaltsam, ein paar Erfahrungen will er tatsächlich für seinen Job mitnehmen. Zum Beispiel einen schwierigen Fall wie mich zur Entspannung bringen. Wir machen eine Trance-Übung. Und während Paul mir suggeriert, an einem schönen Strand zu sein, schließe ich die Augen und entspanne mich. Sogar umgekehrt funktioniert es ein bisschen. Von großer Manipulation ist das allerdings weit entfernt.

Im Laufe der Woche wird ein Teilnehmer des Kurses verwiesen. Er führt aggressive Selbstgespräche und greift andere Besucher tätlich an. Er habe offenbar unter dem Einfluss von Drogen gestanden, teilt der Veranstalter mit. Der Mann wird in die Psychiatrie gebracht. “Ich bin kein Therapeut und wir machen hier vorab keine Psychotests”, sagt Mulzer zu dem Vorfall.

Einmal sollen wir uns vorstellen, von der “Droge der Erkenntnis” genommen zu haben. Ein paar Teilnehmer lassen eigene Drogenerfahrungen in die Übung einfließen. Das ist manchen zu viel, sie brechen ab. Ein anderes Mal verlangt der Trainer meiner Gruppe, wir sollten laut stöhnen. Hier lässt sich meine Komfortzone nicht mehr erweitern. Ich verlasse mit zwei anderen Frauen die Gruppe und komme nicht mehr zurück. Der Veranstalter entschuldigt sich mir gegenüber später in einem Interview für diesen Trainer und die Ausgestaltung der Übung, die mich vertrieben hat. Er sagt, so etwas habe mit NLP nichts zu tun.

Entspannungstechniken, Trancen, positives Denken und die eigene Bewertung einer Situation infrage stellen – das habe ich in dem Kurs erlebt. Genug, um mich selbst ein wenig zu manipulieren.

* Namen der Teilnehmer geändert.

Tina Groll

Tina Groll, SPIEGEL-Bestsellerautorin und Redakteurin bei ZEIT ONLINE im Ressort Politik & Wirtschaft, konzentriert sich als Autorin von WIR SIND DER WANDEL auf Arbeitsmarkt-, Sozial- und Gesundheitspolitik. 2008 zeichnete sie das Medium Magazin als eine der “Top 30 Journalisten unter 30 Jahren” aus. Sie ist Mitglied im Deutschen Presserat und Vorsitzende der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union.

Kommentare

  • Sehr geehrte Frau Goll,
    ich denke, dass die Emanzipation so weit fortgeschritten ist, dass ich auch als Mann in einem an Frauen gerichteten Blog kommentieren darf, oder?
    Ich habe mich über Ihren Artikel gefreut. Ich finde Ihre Darstellung wichtig, da solche Veranstaltungen ein schlimmes Licht auf Coaching-Methoden werfen, die über gute Ratschläge und rational gesteuerte Verhaltensanweisungen hinausgehen. Denn: Die hohen Anforderungen, die heute an Führungskräfte gestellt werden, erfordern nicht nur Entscheidungskraft (Wissen, Willen und Risikobereitschaft), sondern auch mentale Stärke (seelische Ausgeglichenheit). Zu deren Förderung gibt es bewährte Methoden (auch aus dem NLP), die einer Führungskraft helfen können, ein gutes Gleichgewicht zwischen rationalem Entscheiden und emotionaler Stärke zu finden bzw. zu bewahren. In meiner langjährigen Coachingerfahrung habe ich dabei mit mitwirksamen Interventionen wie Reframing, Systemaufstellungen oder der Arbeit mit mentalen Bildern> sehr gute Erfahrung gemacht. Das hat jedoch nichts mit den von Ihnen beschriebenen Veranstaltungen zu tun. Offensichtlich prägen diese aber das Bild: Ich war z.B. sehr entsetzt, in welcher Form der Artikel von Frau Hockling zur Systemaufstellung in Zeit online attackiert wurde. Systemaufstellungen sind eine anerkannte Methode in der Familientherapie, im Teamtraining und Coaching. Wieso ruft eine ausgewogene Darstellung der Methode eine so von Sachkenntnis ungetrübte, massiv negative bis beleidigende Reaktion hervor? Hat es nur mit den von Ihnen zu recht dargestellten Auswüchsen zu tun?

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