„Teilen von Wissen ist der Schlüssel zum Erfolg“

Gruppe von Personen auf der Straße

Wenn das Teilen von Wissen den Erfolg eines Unternehmens sichert, müssen wir Rahmenbedingungen entwickeln, die den Wissenstransfer fördern, ist Mario Kestler, Geschäftsführer der Haufe Akademie, überzeugt.

Lebenslanges Lernen, nicht lineare Berufskarrieren, das ständige Ausrichten an veränderte Anforderungen prägen unser Leben und Arbeiten. Einmal Gelerntes muss immer wieder überprüft, die eigene Lebensplanung an den Wandel angepasst werden. In der dynamischen Wirtschaft von heute ist die fachliche und persönliche Entwicklung ein wichtiger Schlüssel für den Erfolg. Dabei sollte die Qualifizierung aber nicht nur auf die kleine Gruppe von Führungskräften beschränkt sein, sondern auch den Ebenen unter dem Management zur Verfügung stehen. Denn für die von den Unternehmen geforderte Eigeninitiative müssen Mitarbeitende vor allem über soziale und kommunikative Fähigkeiten verfügen.

Die Angebote dafür existieren längst, denn viele Bildungsanbieter haben nicht erst durch Corona ihre Angebote völlig neu gestaltet. Das Programm s.mile beispielsweise wollte Antworten auf diese Veränderungen geben und bot 15 Menschen zwei Jahre lang die Möglichkeit der persönlichen und fachlichen Weiterentwicklung; sie konnten alle Angebote der Haufe Akademie nutzen. Zudem standen ihnen jederzeit persönliche Coaches zur Verfügung. Warum dabei auch die Initiatorinnen und Initiatoren von s.mile eine steile Lernkurve hatten, erzählt Mario Kestler, Geschäftsführer der Haufe Akademie und Initiator von s.mile, im Interview.

Wir sind der Wandel: Was bedeutet s.mile?

Mario Kestler: s.mile (smart mile) haben wir als Titel gewählt, weil eine Weiterbildung für viele Beschäftigte oft eine Extrameile bedeutet. Denn häufig müssen Mitarbeitende trotz Weiterbildung ihr Arbeitspensum und -tempo beibehalten – mit der Folge, dass das Tagesgeschäft vorgeht und die Weiterbildung on top kommt.

Wir sind der Wandel-NewsletterUnser Anspruch bei der Programmentwicklung war daher, s.mile so zu gestalten, dass die Weiterbildung keine Extrameile bedeutete. Das funktionierte aber nur, weil die Unternehmen ihren Beschäftigten einen Rahmen boten, in dem sie sich selbstbestimmt weiterentwickeln konnten. Denn wer sich auf einen Entwicklungsweg begeben und messbare Ergebnisse erzielen möchte, braucht dafür Zeit. Um etwas bewegen zu können, musste das Programm entsprechend lange laufen. Gleichzeitig sollte es aber nicht zu zeitintensiv sein, damit der Faktor Zeit eben keine Hürde darstellte.

Ein zu niedriges Budget kann Weiterbildungen im Wege stehen

Wir sind der Wandel: Was ist das Neue an s.mile?

Kestler: Der Anspruch der Haufe Akademie ist, Organisationen und Menschen in ihrer Entwicklung bestmöglich zu unterstützen. Aber auch wenn wir sehr gute Weiterbildungsprogramme haben, gibt es Faktoren, die diese Entwicklung behindern können. Neu war daher, dass wir drei Faktoren, die wir aufgrund unserer langjährigen Erfahrungen als limitierend empfinden, vermieden: Damit ein zu niedriges Budget nicht der Weiterbildung im Wege stand, konnten die Teilnehmenden unbegrenzt Weiterbildungen aus dem gesamten Haufe-Angebot nutzen. Damit keinem der 15 Beschäftigten bei dem Programm der Job im Wege stand, garantierten die Unternehmen, ihren Mitarbeitenden die notwenige Zeit einzuräumen. Der dritte limitierende Faktor sind externe Vorgaben. Das heißt, ein Unternehmen glaubt zu wissen, welche Art von Training, Schulung, Coaching ein Beschäftigter braucht. Auch hier nahmen sich die Unternehmen zurück und überließen diese Entscheidung ausschließlich ihren Mitarbeitenden.

Wir sind der Wandel: Entwickelte sich alles so, wie Sie es auf dem Reißbrett geplant hatten?

Kestler: Nein. Wir sind vor Projektstart von diesen drei limitierenden Faktoren ausgegangen. Wir merkten dann aber sehr schnell, dass es weitere limitierende Faktoren gibt, an die wir nicht gedacht hatten. So gab es für die Teilnehmenden zwar die Freiheit, aus einem großen Portfolio an Weiterbildungsmaßnahmen auszuwählen, gleichzeitig aber stellte der Faktor Freiheit für viele auch eine Hürde dar. Vier Monate nach Projektstart hatten einige noch keine Weiterbildungsangebote wahrgenommen.

Mit der Persönlichkeitsentwicklung lernt sich jeder besser kennen

Wir sind der Wandel: Was haben Sie unternommen?

Kestler: Zu Beginn des Projektes hatten sich alle Teilnehmenden einen persönlichen Coach ausgesucht. Die kontaktierten wir mit der Bitte, die Teilnehmenden zu ihren Startschwierigkeiten zu befragen. Dabei stellte sich heraus, dass einige mit der Angebotsfülle überfordert waren. Anderen fehlte eine externe Vorgabe, die ja aber von uns explizit nicht gewünscht war und dementsprechend auch nicht von den Unternehmen kam.

Das gezielte Nachfragen der Coaches war der Stups, den viele brauchten, um zu starten. Was im Nachhinein auch nicht verwundert. Wer bisher wenig Erfahrungen im Bereich der fachlichen und persönlichen Entwicklung gesammelt hat, braucht am Anfang eine gezielte Fragestellung, um herauszufinden, wo man tiefer einsteigen möchte.

Wir sind der Wandel: Wie wichtig ist es, sich erst mit sich selbst auseinanderzusetzen, bevor man sich fachlich weiterbildet?

Kestler: Sehr wichtig, denn mit der Persönlichkeitsentwicklung lernt sich jeder besser kennen. s.mile hat gezeigt, wie wichtig dieser Reifungsprozess ist. Bei einigen erlebten wir schmerzhafte Erkenntnisse, bevor sie ihren Weg fanden. Es gab überraschende Wendungen, weil sich private Umstände geändert hatten. Andere bauten konsequent ihre Skills aus. Wir haben aber auch Widerstände und das Leiden im Hamsterrad gesehen. Vor allem aber haben wir gesehen, dass es Mut und Kraft kostet, seine Potenziale zu entdecken und an deren Entfaltung zu arbeiten. Am Ende fanden aber alle Antworten auf wichtige Fragen wie: Wohin will ich? Was erfüllt mich? Was bedeutet für mich persönlich Erfolg? Laufe ich einem Erfolgsbegriff hinterher, der gar nicht der meine ist?

Es gibt nicht die eine Weiterbildungsmaßnahme, die zu allen Beschäftigten passt

Wir sind der Wandel: Wie macht man eine Weiterbildung effizient?

Kestler: Durch Selbstbestimmung, denn es gibt nicht die eine Weiterbildungsmaßnahme, die zu allen Beschäftigten passt. Wer zum Beispiel ein Führungskräfteprogramm für alle seine Führungskräfte aufsetzt, berücksichtigt nicht das entsprechende Wissensniveau seiner Beschäftigten. Damit Entwicklung stattfinden kann und Teilnehmende eine intrinsische Motivation entwickeln können, müssen Unternehmen die Individualität zulassen. Ferner reicht es nicht aus, wenn sie „nur“ ermitteln, was die richtige Weiterbildung ist.

Bei s.mile zeigte sich, wie sich im Laufe der zwei Jahre der Zielhorizont bei den Teilnehmenden veränderte. Mit jedem Entwicklungsschritt änderte sich auch, wie sich die Teilnehmenden selbst sahen und wohin ihre Reise gehen sollte. Für Weiterbildungsangebote, die auf den individuellen Bedarf der Beschäftigten abzielen, braucht es allerdings ein großes Spektrum an möglichst standardisierten Inhalten, die Teilnehmende modular kombinieren können.

Wir sind der Wandel: Wie sieht die Zukunft des Lernens aus?

Kestler: Um den unterschiedlichen Ansprüchen zukünftig gerecht werden zu können, müssen Lern-Plattformen flexibel sein. Ob Lernen auf Vorrat oder akuter Weiterbildungsbedarf, wir brauchen Systeme, mit denen Beschäftigte Antworten auf alle ihre Fragen erhalten. Sie müssen erkennen können, wie sie schnell zu einem Lerninhalt gelangen, der zu ihrem individuellen Lernprogramm passt. Und sie müssen reflektieren können, ob sie noch auf dem richtigen Weg sind. Dabei sollten die Programme eine Kombination aus Online- und Präsenzlernen sein, und die Plattformen einfach in der Handhabung und schnell erreichbar sein.

Aber nicht nur die Didaktik des E-Learnings ist wichtig. Es sollte auch darüber nachgedacht werden, was den Erfolg eines Unternehmens sichert. Ich bin der festen Überzeugung, dass das Teilen von Wissen der Schlüssel zum Erfolg ist. Wir sollten also Rahmenbedingungen entwickeln, die den Wissenstransfer und das Coaching von Kolleginnen und Kollegen fördern – etwa durch Incentive-Programme oder das Verknüpfen mit Boni.

Sabine Hockling

Die Chefredakteurin Sabine Hockling hat WIR SIND DER WANDEL ins Leben gerufen. Die Wirtschaftsjournalistin und SPIEGEL-Bestsellerautorin beschäftigt sich seit über 20 Jahren mit den Veränderungen unserer Arbeitswelt. Als Autorin, Herausgeberin und Ghostwriterin veröffentlicht sie regelmäßig Sachbücher – seit 2023 in dem von ihr gegründeten DIE RATGEBER VERLAG.