Teilzeitboom in Deutschland

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Hierzulande arbeiten so viele Menschen in Teilzeit wie in kaum einem anderen EU-Land – besonders Frauen. Die Politik sucht einen Weg zwischen Wahlfreiheit, Gleichstellung und der Forderung nach längerer Arbeitszeit.

Deutschland zählt zu den Ländern mit der höchsten Teilzeitquote in der Europäischen Union. Laut Statistischem Bundesamt arbeiteten 2024 rund 29 Prozent der Erwerbstätigen zwischen 15 bis 64 Jahren in Teilzeit. Nur die Niederlande (43 Prozent) und Österreich (31 Prozent) verzeichnen höhere Werte. Der EU-Durchschnitt liegt bei lediglich 18 Prozent.

Teilzeitbeschäftigte in Deutschland arbeiten im Schnitt 21,8 Stunden pro Woche. Vollzeitkräfte kommen auf durchschnittlich 40,2 Stunden – fast identisch mit dem EU-Durchschnitt von 40,3 Stunden. Die hohe Teilzeitquote senkt jedoch die durchschnittliche Wochenarbeitszeit aller Erwerbstätigen in Deutschland auf 34,8 Stunden, während der EU-Schnitt bei 37,1 Stunden liegt.

Gender Gap in Deutschland besonders groß

Irrtümer und Mythen rund ums ArbeitsrechtAuffällig ist der Unterschied zwischen den Geschlechtern. 2024 arbeiteten in Deutschland rund 48 Prozent der Frauen in Teilzeit – fast jede zweite. Bei den Männern lag der Anteil bei nur 12 Prozent. Zum Vergleich: EU-weit waren 28 Prozent der Frauen und acht Prozent der Männer in Teilzeit beschäftigt. Damit ist der Gender Gap in Deutschland besonders groß.

Das Statistische Bundesamt hebt hervor, dass Teilzeitarbeit oft genutzt wird, um Familie und Beruf besser zu vereinbaren. Die Erwerbsbeteiligung von Frauen liegt in Deutschland mit 74 Prozent deutlich über dem EU-Durchschnitt von 66 Prozent. Yvonne Lott, Arbeitszeitexpertin am Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung, bezeichnet diese Entwicklung als „erfreulich“. Sie sieht darin eine Chance, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf weiter zu fördern.


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Erwerbsquote auf Rekordniveau

Insgesamt erreichte die Erwerbstätigenquote in Deutschland 2024 mit 77 Prozent einen Rekordwert, der den EU-Durchschnitt von 71 Prozent klar übertrifft. Dennoch gibt es Kritik: Politiker:innen und Wirtschaftsverbände bemängeln, dass in Deutschland im internationalen Vergleich zu wenig gearbeitet werde. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) nennt die hohe Teilzeitquote von Frauen als Hauptgrund und empfiehlt den Ausbau der Ganztagskinderbetreuung sowie die Abschaffung des Ehegattensplittings. Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) wies diese Forderungen zurück. Sie betonte, dass viele Menschen sich bewusst für Teilzeit entscheiden und die Politik individuelle Lebensentwürfe respektieren müsse.

Die Diskussion um Arbeitszeit, Gleichstellung und Familienpolitik dürfte weiter an Dynamik gewinnen – nicht zuletzt angesichts des Fachkräftemangels und der demografischen Herausforderungen.

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Tina Groll

Tina Groll, SPIEGEL-Bestsellerautorin und Redakteurin bei ZEIT ONLINE im Ressort Politik & Wirtschaft, konzentriert sich als Autorin von WIR SIND DER WANDEL auf Arbeitsmarkt-, Sozial- und Gesundheitspolitik. 2008 zeichnete sie das Medium Magazin als eine der “Top 30 Journalisten unter 30 Jahren” aus. Ferner ist sie Mitglied im Deutschen Presserat.