Der Wechsel vom stressigen Alltag in einen entspannten Urlaub fällt vielen schwer. Wie es gelingt, das Hamsterrad zu verlassen, erzählt Carola Kleinschmidt im Interview.
Der Wechsel vom stressigen Alltag in einen entspannten Urlaub fällt oft schwer. Menschen, die ständig unter Druck stehen, haben Mühe, abzuschalten und wirklich zu entspannen. Doch es gibt Wege, das Hamsterrad zu verlassen und den Urlaub in vollen Zügen zu genießen. Carola Kleinschmidt, Bestseller-Autorin und zertifizierte Trainerin für multimodales Stressmanagement, verrät im Interview, wie das gelingt.
Wir sind der Wandel: Kaum am Urlaubsort angekommen, kreisen die Gedanken weiter um die Arbeit. Was können Betroffene akut tun, um in den Erholungsmodus zu schalten?
Carola Kleinschmidt: Wir Menschen haben leider keinen Schalter, der uns sofort von „Busy Alltag“ auf „Entspannt Urlaub“ umstellt. Deshalb sollten wir eine kurze Übergangszeit einfach akzeptieren. Wir brauchen etwas Gewöhnungszeit. Also: Seien Sie nicht zu streng mit sich, wenn bei der Anreise oder am ersten oder zweiten Urlaubstag die Gedanken an die Arbeit noch präsent sind.
Um das Umschalten zu erleichtern, können wir positive Trigger nutzen: Was bedeutet für Sie persönlich Urlaubsgefühl? Für manche ist es der Drink beim Sonnenuntergang, für andere ein Lauf in der Natur oder sportliche Betätigung. Planen Sie Ihre persönlichen Urlaubsgefühl-Trigger gleich am ersten Tag ein – das erleichtert das Umschalten.
“In der modernen Arbeitswelt ist nie ‘alles’ fertig, wenn wir in den Urlaub starten”
Wir sind der Wandel: Warum hängen wir gedanklich so sehr an unserer Arbeit?
Kleinschmidt: Dafür gibt es mindestens zwei Gründe: Zum einen lassen wir gedanklich leichter los, wenn Dinge abgeschlossen sind. Unsere Gedanken kreisen eher um unerledigte Aufgaben oder Projekte. In der modernen Arbeitswelt ist nie „alles“ fertig, wenn wir in den Urlaub starten. Was hilft? Schließen Sie in den Tagen vor dem Urlaub bewusst Dinge zumindest in einem Zwischenstand innerlich ab. Klären Sie, wer sich in Ihrer Abwesenheit um dringende Angelegenheiten kümmert. Oder informieren Sie Ihre wichtigsten Teampartner:innen, dass bestimmte Themen für zwei Wochen auf „hold“ gehen. Abschalten ist ein aktiver Prozess und geschieht nicht von allein.
Der zweite Grund ist paradox: Gerade weil wir entspannter werden, denken wir plötzlich kreativ über Jobprobleme nach, in denen wir vorher festhingen. Notieren Sie sich diese Gedanken kurz im Handy und prüfen Sie sie später im Arbeitsalltag. Oft wirken diese Urlaubsgedanken wichtig, halten aber dem Realitycheck nicht stand.
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Wir sind der Wandel: Ist es immer der Stress und die Arbeit, die uns zum Laptop oder Smartphone zieht? Oder ist es nur die Gewohnheit? Und was ist aus Ihrer Sicht schlimmer?
Kleinschmidt: Es ist eine Kombination aus Stress und Gewohnheit. Der Trick ist: Zögern Sie die Reaktion auf den Impuls, sofort morgens im Hotelbett die Job-E-Mails zu checken, etwas hinaus. Wenn Sie das Gefühl haben, der Laden laufe nicht ohne Sie, nehmen Sie sich eine halbe Stunde oder Stunde pro Tag und bearbeiten Sie die wichtigsten Nachrichten. Wichtig ist: Im Urlaub übernehmen Sie die Steuerung und weisen dem Job nur einen kleinen Platz zu. Im Arbeitsalltag ist es oft umgekehrt. Der Job geht vor und die Freizeit steht an zweiter Stelle.
“Wenn man merkt, dass man sich nicht mehr erholt, ist es wichtig, sich Freiräume zu schaffen, die nicht von Arbeit bestimmt sind”
Wir sind der Wandel: Manche Menschen fühlen sich wichtig und produktiv, wenn sie arbeiten. Wie können sie dieses Selbstbild im Urlaub beiseiteschieben?
Kleinschmidt: Wenn man merkt, dass man sich nicht mehr erholt, ist es wichtig, sich Freiräume zu schaffen, die nicht von Arbeit bestimmt sind. Menschen, die sich vor allem in der Arbeit wohlfühlen, können auch kürzere Urlaube machen. Studien mit Manager:innen zeigen, dass viele davon profitieren, eher kurz aus dem Job rauszugehen. Dann können sie besser entspannen, weil sie nicht den Arbeitsberg fürchten, der sonst aufläuft.
Oft machen Menschen Urlaub nicht nur für sich, sondern auch mit Familie oder Freunden – und diese möchten nicht ständig in der zweiten Reihe stehen, weil der Job auch in den Ferien vorgeht. Dann sollte man sich fragen: Was ist mir jetzt wirklich wichtig? Die Quality-Time mit der Familie oder der Job? Hier kommt man um Selbstreflexion nicht herum.
Wir sind der Wandel: Was fördert die Urlaubserholung?
Kleinschmidt: Studien zeigen, dass wir uns besser erholen, wenn wir etwas tun, das im Kontrast zu unserem Arbeitsalltag steht. Wer viel am Schreibtisch sitzt, profitiert von Bewegung. Wer viel mit Menschen zu tun hat, erholt sich gut, wenn mal weniger los ist, vielleicht in der Natur. Ebenfalls erholsam: In einer Sache besser werden. Deshalb lohnt es sich im Urlaub, das Golfhandicap zu verbessern oder Surfen zu lernen. Auch ein bisschen Sprachgebrauch im Ausland oder eine unbekannte Wanderung sind solche Erfahrungen von „Mastery“, die sehr erholsam sind. Wenn wir uns in einer Sache ein bisschen herausfordern und aktiv sind, sind die Gedanken gefesselt – Gedanken an den Job haben keinen oder zumindest weniger Platz. Das Abschalten fällt leichter.
“Es hilft, sich eine Liste der Dinge und Unternehmungen zu machen, die man entspannend findet”
Wir sind der Wandel: In Zeiten von Homeoffice ist die Arbeit bei vielen zu Hause eingezogen. Wie schaffe ich es abzuschalten, wenn ich nicht wegfahre, sondern zu Hause bleibe? Dann sehe ich die Arbeit theoretisch täglich.
Kleinschmidt: Das ist tatsächlich eine Herausforderung. Es hilft, sich eine Liste der Dinge und Unternehmungen zu machen, die man entspannend findet – und die im normalen Alltag keinen Platz haben: eine Stadtführung, eine Kanutour, das große Essen mit Freunden, ein Tagesausflug. Nehmen Sie sich für jeden Tag eine oder zwei Sachen vor und planen Sie diese wie Meetings ein. Homeoffice-Arbeitsplätze sind oft klein und diskret. Wenn Sie Ferien haben, könnten Sie das Homeoffice auch mal für zehn Tage „abbauen“.