Wer meint, Gleichstellung in Führungsetagen sei erreicht, sollte „Machtgebiete“ lesen. Was an der Spitze geschieht, ist kein Triumph, sondern ein zäher Abwehrkampf.
Drei Autorinnen – Managerin Anna Sophie Herken, Kommunikationsstrategin Christina Sontheim-Leven und Wirtschaftsjournalistin Bettina Weiguny – öffnen die Tür zu jenen Zonen, in denen Macht noch immer männlich geprägt ist. Über 50 Top-Managerinnen berichten, wie sie sich dort behaupten – gegen ungeschriebene Gesetze, subtile Demütigungen und offene Angriffe. Ihr Fazit: Das System ist alt, aber es verteidigt sich geschickt.
Machtgebiete – ein Klima voller Codes
Die Autorinnen nennen diese Territorien „Machtgebiete“. Sie sind kein Ort, sondern ein Klima – durchzogen von Codes, die Frauen oft erst erkennen, wenn sie mitten im Sturm stehen. Ein falscher Satz, ein missverstandener Ton, ein zu auffälliges Outfit – und die Zugehörigkeit wird infrage gestellt.
„Ich war nicht respektvoll genug gegenüber dem Eigentümer“, zitiert da Buch eine Managerin, die als Finanzvorständin sachlich argumentierte – in einer Firma, in der Loyalität mehr zählte als Logik. Sie verlor ihren Posten nicht wegen schlechter Leistung, sondern weil sie die unsichtbaren Regeln nicht kannte.
Der Preis des Erfolgs
Frauen steigen nicht durch Glasdecken auf, sondern klettern an gläsernen Klippen. Sie werden geholt, wenn es brennt – wenn ein Konzern in der Krise steckt und kein Mann den Job will. Studien zeigen: In solchen Fällen steigt die Wahrscheinlichkeit, dass eine Frau berufen wird, um 50 Prozent. Doch oft endet der Einsatz als „Himmelfahrtskommando“. Scheitern sie, bestätigt das das Vorurteil, Frauen seien weich, zu unerfahren, zu emotional.
Das Buch zeigt eindringlich, wie dieses Muster funktioniert. Die „Erneuerin“ soll retten, was andere ruiniert haben – und geht, sobald sie stabilisiert hat. Der Nachfolger ist dann meist wieder ein Mann. Zurück bleibt Erschöpfung und die leise Erkenntnis: Erfolg schützt nicht vor Diskriminierung.
„Thomas-Kreisläufe“ und die Aussortierung von Vielfalt
Doch die Autorinnen belassen es nicht bei der Anklage. Sie zeigen, wie Frauen die Wende einleiten. Die Managerinnen, die hier sprechen, sind keine Opfer, sondern Strateginnen. Sie durchschauen Machtspiele, vernetzen sich, kontern. Eine erzählt: „Ich habe das Wort Mutter aus meinem Lebenslauf gestrichen – plötzlich war ich wieder die Ingenieurin.“ Eine andere verhandelt für ihren Sanierungsauftrage eine Kampfgage. Eine dritte reagiert auf den Vorwurf, sie sei „zu pushy und zu nachsichtig“, mit einem Lächeln: „Ich bin effektiv.“
Der Ton des Buches ist kämpferisch, nicht klagend. Es beschreibt eine Realität, in der Frauen als Quotenfrauen gelten, während Männer als Top-Talente gefeiert werden. Es analysiert das „Mini-Me“-Syndrom – die Neigung, dass Führungskräfte Menschen fördern, die ihnen ähneln. So entstehen „Thomas-Kreisläufe“, die Vielfalt systematisch aussortieren. Herken, Sontheim-Leven und Weiguny machen daraus kein Moraltheater, sondern ein präzises Management-Manual: Erkenne die Regeln. Durchbrich sie. Ändere sie.
- Führung in Frauenhand: Wie weit sind wir wirklich gekommen?
- Frauen in Führung: DAX-Konzerne verharren in alten Mustern
- Geschlechterstereotype bremsen Frauen in Führungspositionen
- Frauen: Das ungenutzte Potenzial im Arbeitsmarkt
- Karrierechancen von Frauen zur Chefsache erklären
- Im Fokus: Frauen im Aufbruch
Struktureller Stillstand
Das Buch zeigt, wie trügerisch der Fortschritt ist:
– 96 Prozent der CEOs in deutschen Börsenunternehmen sind Männer.
– Frauen hören in Vorstellungsgesprächen noch immer die Frage: „Wie wollen Sie das mit den Kindern schaffen?“
– Je höher die Position, desto niedriger der Frauenanteil.
Die, die es schaffen, sind oft müde. Viele Managerinnen steigen nicht aus, weil sie scheitern, sondern weil sie es leid sind, täglich beweisen zu müssen, dass sie dazugehören. Das System verschleißt Talente – Männer wie Frauen. Alte Rollenmuster, Machtgehabe, Dauerpräsenz: „Das bestehende System macht auch Männer krank“, schreiben die Autorinnen. „Es presst sie in Rollen, die keiner mehr will.“
Diversität als Erfolgsfaktor
„Machtgebiete“ endet nicht resigniert, sondern mit einem Aufruf zur Reform – ökonomisch, nicht ideologisch. Diversität ist kein Moralthema, sondern ein Erfolgsfaktor. Studien belegen: Gemische Führungsteams sind kreativer, treffen bessere Entscheidungen, erwirtschaften höhere Renditen. Doch viele Unternehmen handeln erst unter Druck – durch Quoten oder öffentliche Kritik.
Der Appell des Buches: Es reicht nicht, Frauen zu befördern. Es braucht Strukturen, die verhindern, dass sie wieder fallen. Dazu gehören klare Regeln:
– Transparente Nachfolgeprozesse statt geheimer Auswahlrunden.
– Mentoring über Machtgrenzen hinweg – Frauen und Männer als Verbündete.
– Neue Zeitmodelle, die Karriere und Dauerverfügbarkeit entkoppeln.
– Null-Toleranz bei Übergriffen – Schweigen darf keine Option sein.
Der Wandel beginnt, wenn Unternehmen Gleichstellung nicht als Imageprojekt, sondern als Wettbewerbsstrategie begreifen.
Ein System, das sich selbst sabotiert
Die Autorinnen fordern kein Matriarchat, sondern Partnerschaft. Sie plädieren für „Allies“ – Männer, die Strukturen öffnen, statt sie zu verteidigen. Dafür braucht es Haltung, Humor, Mut. „Wir werden nie Gleichstellung erreichen, wenn Frauen leise bleiben“, schreibt Anna Sophie Herken. „Aber wir werden auch nichts verändern, wenn Männer sich ausgeschlossen fühlen.“ Das ist die neue Balance: keine Opfergeschichten, sondern Allianzen. Macht verändert sich nicht durch Parolen, sondern durch Verhalten.
„Machtgebiete“ ist kein Klagebuch, sondern ein Manifest für Realitätssinn und Veränderung. Es zeigt, dass das Problem nicht bei den Frauen liegt, sondern in einem System, das sich selbst sabotiert. Und es beweist, dass die Gegenbewegung längst begonnen hat – durch Managerinnen, die nicht mehr nur anpassen, sondern gestalten.
Das Buch ist unbequem, analytisch und klug. Es konfrontiert und ermutigt. Jede Frau, die ein Machtgebiet betritt, verschiebt seine Grenzen. Jeder Mann, der sie unterstützt, gewinnt an Freiheit. So entsteht eine neue Führungskultur: klar, mutig, menschlich. Nicht trotz der Frauen, sondern mit ihnen.

