Arbeitnehmer sollen immer mehr eigene Entscheidungen treffen sowie selbstorganisiert agieren. Nicht jeder aber kann das aus sich heraus – zumal diese Fähigkeiten lange nicht gefragt waren, sondern vielmehr alles vorgegeben war. Was kann man also tun?
Ein Gastbeitrag von Nicole Willnow
Überall liest man vom wachsendem Druck, dem Beschäftigte durch die Digitalisierung ausgesetzt sind. Die zunehmende Geschwindigkeit von Arbeitsprozessen gibt es nicht nur gefühlt, sondern auch Studien zufolge. Außerdem hat wegen der Rationalisierung die Anzahl der Arbeitnehmer in vielen Bereichen abgenommen, die Arbeitsmenge allerdings nicht oder nicht in dem Ausmaß. Das führt mehr als früher zu Erschöpfungszuständen und zum Burnout. Auch das ist belegt und muss sich dringend ändern. Was kann man also tun, um den Beschäftigten den Druck zu nehmen?
Stress geht nicht von alleine weg
Natürlich wird im digitalen Wandel über weniger Arbeitszeit und mehr Flexibilität gesprochen. Über Arbeitszeitkonten und Vertrauensarbeitszeit. Stress kommt aber nicht nur auf, wenn man zu wenig Zeit hat, sondern oft auch, wenn man sich gegenüber den Umständen, den Kollegen oder dem Boss ohnmächtig fühlt. Wenn man glaubt, sein Schicksal nicht in der Hand zu haben, beginnt der negative Disstress. Man hat das Gefühl, alles wächst einem über den Kopf. Man ist nicht mehr Herr der Lage – egal wie sehr man sich abstrampelt.
Wie kann man verhindern, dass es soweit kommt? Denn es geht hier nicht um Work-Life-Balance, um mehr Bewegung und mehr Auszeiten, gesundes Essen usw., sondern darum, was man bei der Arbeit selbst tun kann. Zum Beispiel, sich selbst besser zu organisieren. Inwieweit besitzen Menschen die Fähigkeit, sich selbst zu managen und zu organisieren? Sehr häufig begegnen mir beim Coaching und auch sonst Menschen, vor allem junge Menschen, die damit Probleme haben. Erstaunlicherweise ist die Selbstorganisation wohl etwas, was die meisten Menschen weder in der Schule noch im Studium lernen, obwohl es immer wichtiger wird.
Mehr Flexibilität bedeutet weniger Geländer
Denn das ist ganz sicher eine Auswirkung der Digitalisierung: Mehr Selbstverantwortung, weniger Vorgaben, mehr Flexibilität bedeuten weniger „Geländer“, an dem man sich festhalten kann. Neue Prozesse, neue Formen von Projektmanagement, überhaupt Projektarbeit, müssen erst mal erlernt werden. Sowohl von Alt als auch von Jung. Nicht überall wird die vielgepriesene Agilität mit den entsprechenden Tools gelebt, die einem bei der Organisation helfen. Wer als Arbeitgeber mehr Selbstverantwortung will, damit schnellere Entscheidungsprozesse entstehen, muss in Menschen investieren, muss erstmal lehren, was jahrelang nicht gefragt war.
Es gibt zwar zuhauf Bücher zum Thema, aber mancher muss lange suchen, um das richtige zu finden. Denn jeder tickt anders und die üblichen Strategien wie Eisenhower, Tomatenstrategie etc. funktionieren nicht bei allen. Sinnvoller wäre, eine Person bei der Hand zu haben, die einem hilft, sich zu organisieren. Die einen anleitet, was in der Praxis wirklich funktioniert. Jemanden abzustellen, der sich kümmert. Mentoren ernennen, die länger als die ersten 30 Tage zur Seite stehen. Denn diese und ähnliche Arten von Fürsorge sind es, die helfen, Druck und Stress abzubauen. Sie signalisieren Wertschätzung, Loyalität und Stabilität.
Feelgood-Management und firmeninterne Coaches
Wie ich früher schon einmal feststellte, bringt die Digitalisierung eine ganze Menge neue Berufe in unsere Arbeitswelt. Das sind nicht nur technisch-digitale, sondern auch solche, die auf die veränderten Bedingungen für die Beschäftigten reagieren. Deswegen ist der anfänglich manchmal belächelte Feelgood-Manager inzwischen in immer mehr Unternehmen anzutreffen. Auch ein firmeneigener Coach kann eine gute Idee sein. Eine bessere Investition als ein Kickertisch und andere Spielereien. Auch wenn man sich an dem mal abreagieren kann, wenn der Druck zu groß wird. Langfristig reicht das nicht, um mit Stress umzugehen.
Und auch wenn wir in der Arbeitswelt zuerst einmal eine zweckgetriebene Arbeitsgemeinschaft sind, in Zukunft wird das nicht mehr reichen. Wenn zukünftig der Mensch im Mittelpunkt stehen soll, bedarf das in vielen Unternehmen eines Umdenkens, hin zu mehr Menschlichkeit. Glücklicherweise gibt es erste Zahlen, die auch die Pfennigfuchser glücklich machen: Genauso wie mehr Diversität zu einer besseren Rentabilität führt, gilt das auch für mehr Humanismus im Unternehmen.
Die Unternehmen sind also gefragt, nicht nur mehr Freiheit bei der Arbeit zu gewähren, sondern Mitarbeiter dabei zu unterstützen, diese nicht als Stressfaktor zu erleben. Wir haben es in der Hand, eine humanere Arbeitswelt zu schaffen.