Ein unterschriebener Ausbildungsvertrag und ein geplantes Onboarding scheinen den Kampf um Nachwuchs gewonnen zu haben. Doch der Schein trügt.
Immer häufiger springen angehende Auszubildende zwischen Vertragsunterschrift und Ausbildungsbeginn ab. Was zunächst wie ein Randphänomen wirkt, hat sich in vielen Branchen zu einem ernsthaften Problem entwickelt – mit Folgen für die Personalplanung, Betriebsklima und das Vertrauen in die Verlässlichkeit junger Talente.
Die Gründe sind vielfältig. Sie lassen sich nicht pauschal mit fehlender Reife oder Disziplin erklären. Vielmehr zeigt sich ein komplexes Zusammenspiel aus emotionaler Unsicherheit, fehlender Bindung und einem Überangebot an Optionen auf einem unübersichtlichen Ausbildungsmarkt. Jugendliche, die früh eine Entscheidung für einen Ausbildungsplatz treffen müssen , erleben zwischen Vertragsunterzeichnung und Ausbildungsstart oft eine Phase der Reflexion und Unsicherheit. Andere Angebote erscheinen attraktiver, der Einfluss von Eltern, Freunden oder Social Media verändert die Wahrnehmung, und die Sorge wächst, sich zu früh festgelegt zu haben.
Die Lösung liegt in der aktiven Gestaltung von Beziehungen
In dieser Zeit zeigt sich, wie gut ein Unternehmen Beziehungen zu seinen zukünftigen Azubis aufbaut. Wer zwischen März und September – oder länger – nichts mehr vom Ausbildungsbetrieb hört, fühlt sich schnell nicht willkommen. Diese emotionale Leerstelle füllen dann andere: Konkurrenzunternehmen mit charmanteren Angeboten, digitale Plattformen mit neuen Perspektiven oder das Bauchgefühl, sich noch einmal umschauen zu müssen. Gerade eine Generation, die hohe Ansprüche an Sinn, Zugehörigkeit und persönliche Entwicklung stellt, verlangt mehr als eine Unterschrift als Beweis einer langfristigen Bindung.
Die Lösung liegt nicht in der Erwartung unbedingter Loyalität, sondern in der aktiven Gestaltung von Beziehungen. Wer junge Menschen gewinnen will, muss sie über den Vertragsabschluss hinaus begleiten – wertschätzend, interessiert und kommunikativ. Der sogenannte Preboarding-Prozess, die Phase zwischen Vertragsabschluss und Eintritt ins Unternehmen, ist nicht nur logistisch, sondern vor allem emotional entscheidend. Hier entscheidet sich, ob aus einer formalen Zusage eine echte Verbindung wird.
Es geht weniger um große Gesten als um Kontinuität und Authentizität
Unternehmen, die in dieser Phase sichtbar, erreichbar und engagiert bleiben, schaffen Vertrauen. Ein kurzer Anruf, eine persönliche Einladung zu einem Azubi-Event, ein Willkommensschreiben der Geschäftsführung oder ein digitaler Kanal für Fragen und Austausch senden die Botschaft: Du gehörst jetzt schon zu uns. Es geht weniger um große Gesten als um Kontinuität und Authentizität. Wer Azubis das Gefühl gibt, gebraucht und gesehen zu werden, verankert sie auf einer tieferen Ebene, die rationalen Argumenten oft überlegen ist.
- Jeder vierte Betrieb erlebt Azubi-Absprünge
- Mittelstand in Deutschland: So werden Unternehmen attraktivere Arbeitgeber
- Zahl junger Menschen ohne Berufsabschluss alarmierend hoch
- Immer die gleichen Ausbildungsberufe
- Das Bäckerhandwerk in Deutschland schrumpft
Führungskräfte und Ausbildungsverantwortliche spielen eine zentrale Rolle in diesem Prozess. Sie sind nicht nur für den fachlichen Start verantwortlich, sondern prägen von Beginn an die emotionale Bindung zum Unternehmen. Ein guter Kontakt, klare Ansprechpartner und echte Begeisterung für die Ausbildungsarbeit sind entscheidende Faktoren für eine stabile Beziehung. Wer hier Präsenz zeigt, kann frühzeitig Unsicherheiten auffangen und signalisieren: Deine Entscheidung war richtig.
Unternehmen müssen ihre Attraktivität nicht nur im Recruitingprozess, sondern auch im Alltag unter Beweis stellen. Die Generation Z denkt in Optionen – und das mit gutem Grund. Der Ausbildungsmarkt hat sich vom Angebots- zum Nachfragermarkt gewandelt. Junge Menschen spüren ihre Wahlfreiheit, und Unternehmen müssen mehr tun als nur zu überzeugen – sie müssen relevant bleiben. Themen wie Wertschätzung, Feedback, Entwicklungsperspektiven und persönliche Ansprache sind keine Soft Skills mehr, sondern zentrale Bausteine moderner Ausbildungsarbeit.
Als Arbeitgeber Bindung erzeugen
Auch die Rolle der Eltern darf nicht unterschätzt werden. In einer Phase, in der Jugendliche oft noch in einem engen familiären Bezugsrahmen Entscheidungen treffen, können gezielte Informationen, Transparenz und Einbindung der Eltern eine zusätzliche Bindungskraft entfalten. Wer hier mitdenkt, sendet das Signal: Wir verstehen, dass Ausbildung ein gemeinsamer Weg ist – und wir gehen ihn nicht nur mit dem Jugendlichen, sondern mit seinem Umfeld.
Langfristig wird die Frage, wie viele Azubis nach Vertragsunterzeichnung tatsächlich bleiben, zu einem entscheidenden Wettbewerbsfaktor. Es geht nicht nur um Planungssicherheit, sondern um die Fähigkeit, als Arbeitgeber wirklich Bindung zu erzeugen – nicht nur auf dem Papier, sondern im Herzen junger Menschen. Unternehmen, die dies erkennen, investieren nicht nur in Nachwuchs, sondern in die Glaubwürdigkeit ihrer Arbeitgebermarke. Denn wer es schafft, schon vor dem ersten Arbeitstag ein Gefühl von Zugehörigkeit und Wertschätzung zu vermitteln, hat nicht nur Auszubildende gewonnen, sondern vielleicht sogar zukünftige Markenbotschafter.