Obwohl das Geschäft der DAX-Unternehmen immer globaler wird, nimmt die Internationalisierung der DAX40-Aufsichtsräte ab. Die Gründe dafür sind vielfältig.
Während die deutsche Wirtschaft schwächelt, eilt der DAX von Rekord zu Rekord. Denn die DAX-Unternehmen haben sich weitgehend von der deutschen Wirtschaft entkoppelt: 80 Prozent der Umsätze machen die 40 größten börsennotierten deutschen Unternehmen im Ausland, 90 Prozent der Aktionäre sind Ausländer.
Die Internationalisierung des Geschäfts spiegelt sich jedoch nicht in der Zusammensetzung der Aufsichtsräte wider. Der Ausländeranteil liegt seit Jahren bei rund einem Drittel und ist nun das zweite Jahr in Folge rückläufig. Eine Wende ist nicht in Sicht. Im Gegenteil: Die jetzigen ausländischen Mandatsträger sind häufig frustriert. 70 Prozent sind der Meinung, dass die komplexen Strukturen deutscher Aufsichtsräte internationale Manager davon abhalten, ein Mandat anzunehmen. Das zeigt eine Befragung der Personalberatung Russell Reynolds Associates unter den nicht-deutschsprachigen Mitgliedern der DAX40-Aufsichtsräte – die erste Umfrage dieser Art in Deutschland.
Der häufigste Kritikpunkt sind die mangelnden Gestaltungsmöglichkeiten
„Zu groß, zu bürokratisch, keine offene Diskussionskultur und ohne Deutsch bleibt man außen vor“, so lauten die Urteile vieler der befragten ausländischen DAX-Aufsichtsräte. Der häufigste Kritikpunkt sind jedoch die mangelnden Gestaltungsmöglichkeiten. Deutsche Aufsichtsräte seien wortwörtlich auf die Aufsicht beschränkt, könnten aber kaum Einfluss auf die Strategie eines Unternehmens nehmen. Das frustriert besonders Aufsichtsratsmitglieder aus dem anglo-amerikanischen Raum, in dem das Board direkt Einfluss auf die Strategieentwicklung nimmt. Dass die Vergütung im internationalen Vergleich gering ist, hält hingegen kaum jemanden davon ab, ein Mandat in Deutschland zu übernehmen.
Die Zusammensetzung deutscher Aufsichtsräte aus Arbeitnehmer- und Aktionärsvertretern, die paritätische Mitbestimmung, einst bewundert als Garant für sozialen Frieden, wird von ausländischen Vertretern zwar als deutsche Besonderheit gewürdigt. Sie wird aber auch als wesentliches Hindernis deutscher DAX-Unternehmen für eine größere internationale Öffnung gesehen. Die Kritik: Die Arbeitnehmervertreter würden vor allem die Interessen deutscher Mitarbeitenden thematisieren, nicht die der weltweiten Belegschaft, selbst wenn die meisten Beschäftigten im Ausland säßen. Das führe oft zu einer Verengung der Debatten auf Beschäftigung in Deutschland, statt weltweite Entwicklungen in den Blick zu nehmen und die Unternehmensinteressen im Ganzen zu priorisieren. Außerdem würden die Aufsichtsgremien durch die paritätische Mitbestimmung mit oft bis zu 20 Mitgliedern zu groß und entsprechend schwerfällig. Wegen der rigiden formalen Abläufe im Gesamtaufsichtsrat fänden wichtige Gespräche entweder in Ausschüssen oder ganz außerhalb der Gremien statt, und das zumeist auf Deutsch. Hier einen Zugang zu finden, fällt Ausländern besonders schwer.
„Die komplexen Strukturen erschweren eine Öffnung hin zu einer echten Internationalisierung“
So kommen 70 Prozent der Befragten zu dem Schluss, dass die komplizierten Strukturen deutscher Aufsichtsräte internationale Manager davor zurückschrecken lassen, einen Aufsichtsratsposten zu übernehmen. Wenn es doch geschieht, dann häufig aus Bewunderung für die Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft. Fast alle ausländischen Mitglieder deutscher Aufsichtsräte (90 Prozent) sind der Meinung, dass deutsche Unternehmen von einem höheren Ausländeranteil in ihren Aufsichtsräten stark profitieren würden. Insgesamt nutzten deutsche Aufsichtsgremien die Potenziale ausländischer Mitglieder nicht richtig, um die durch geopolitische Unsicherheiten, Digitalisierung und KI anstehende Transformation zu meistern.
„Die ausländischen Aufsichtsräte stellen Deutschland leider kein gutes Zeugnis aus: nicht attraktiv für internationale Top-Manager. Wer nicht mit den Besonderheiten deutscher Aufsichtsräte vertraut ist und kein Deutsch spricht, hat es schwer. Die komplexen Strukturen erschweren eine Öffnung hin zu einer echten Internationalisierung, wie es das globale Geschäft erfordern würde. ‘Ohne Reformen nicht zukunftsfähig’, so lässt sich das Urteil vieler ausländischer DAX-Aufsichtsräte zusammenfassen. Dem deutschen Aufsichtsrat droht ein Bedeutungsverlust, wenn er es nicht schafft, sich stärker den internationalen Gepflogenheiten anzunähern. Der hochgradig international verflochtene Standort Deutschland braucht aber internationales Spitzenpersonal, um am Puls technologischer Disruptionen und geopolitischer Veränderungen zu bleiben“, so Jens-Thomas Pietralla, Leiter der Europäischen Board & CEO Praxisgruppe von Russell Reynolds Associates.
Der Ausländeranteil beträgt zurzeit 34 Prozent
Zurzeit gibt es 88 ausländische (hier: nicht aus dem DACH-Raum kommende) Mandatsträger in den DAX40-Aufsichtsräten. Mehr als ein Drittel davon hat sich für persönliche Einzelinterviews zur Verfügung gestellt. Dabei beträgt der Ausländeranteil zurzeit 34 Prozent, letztes Jahr waren es 35 Prozent. Ohne Schweizer und Österreicher beträgt die internationale Quote im DAX40 nur 26 Prozent. Zum Vergleich: im französischen Index CAC40 sind es 38 Prozent, im britischen FTSE100 42 Prozent.