„Die Arbeitswelt ist eine wahre Goldgrube für Skurriles, Absurdes und Abscheuliches“

Mann zieht Grimassen

Chefs sind Tyrannen, Dummköpfe und Psychopathen. Ein Mitarbeiter packt jetzt aus und enthüllt Schockierendes und Unglaubliches aus der Arbeitswelt.

Nach etlichen Jahren in der Werbebranche steigt Ralf Stieber aus. Seine Gesundheit spielt nicht mehr mit und auch seine Motivation, für Tyrannen, Fanatiker und Selbstdarsteller tätig zu sein, ist auf dem Nullpunkt. Er setzt sich hin, schreibt seine Erlebnisse (und die anderer) auf und macht sich so Luft.

Die Ratgeber: Was war die Motivation für Ihr Buch “111 Gründe seinen Chef zu hassen”?

Ralph Stieber: Rache. Ich habe das Buch aus Rache geschrieben. Nein, im Ernst, ich hatte schon viele Jobs. Da liefen mir so einige Chefs über den Weg. Einige gute, aber noch viel mehr schlechte Chefs. Manchmal glich mein Arbeitsalltag einer schrägen Sitcom. Dagegen sind Serien-Formate wie „The Office“ oder „Stromberg“ völlig harmlos.

Während meiner letzten sieben Jahre als Texter in der Werbebranche hatte ich jede Menge Pitches, Wochenendschichten, unzählige Überstunden – natürlich unbezahlt. Bis ich schließlich keine Energie, Kraft und Lust mehr hatte. An so etwas wie ein Burnout hab ich nie geglaubt, bis ich dann so weit war. Ich habe gekündigt, mich an den Küchentisch gesetzt, über meine Zeit als Angestellter nachgedacht und ein ganzes Notizbuch mit Erinnerungen, Szenen und Gedanken gefüllt. Aufzeichnungen eines Angestellten, kleine, große und komisch-tragische Abenteuer aus der Arbeitswelt.

Ich dachte mir: Die Arbeitswelt ist eine wahre Goldgrube für Skurriles, Absurdes und Abscheuliches – das musst du alles mal aufschreiben. Und das hab ich dann getan. Herausgekommen ist dieses Buch.

“In allen Geschichten kamen die Chefs nicht gut weg”

Die Ratgeber: Ihr Buch ist voll mit dem Wahnsinn aus deutschen Chefetagen. Haben Sie alles selbst erlebt?

Stieber: Zusätzlich zu meinen eigenen Erfahrungen habe ich enge Freunde, ehemalige Kollegen,
Bekannte und Menschen gefragt, die unter dem Einfluss von Bier gerne über ihren Chef lästern. Jeder hatte witzige, abartige, skrupellose, skandalöse, unglaubliche und bitterböse Geschichten auf Lager – und sie alle mussten in das Buch. Das Ergebnis war eindeutig: In all den Geschichten kamen die Chefs nicht gut weg – und alle hatten verdammt gute Gründe ihren Chef zu hassen.

Wenn Sie sich verschiedene Studien dazu anschauen, wird Ihnen schnell klar: 90 Prozent der
Deutschen sind unzufrieden mit ihrem Job. Das hat verschiedene Gründe, aber meistens liegt es am Chef.

Wir sind der Wandel-NewsletterDie meisten Mitarbeiter hassen ihren Chef. Das kann man nicht schönreden oder unter die Golf-Matte des Chefs kehren. Freunde, Bekannte, Kollegen, die Menschen, die uns morgens mit gesenktem Blick entgegenkommen oder uns in der U-Bahn mit grauen Gesichtern apathisch gegenübersitzen – sie alle hassen ihren Chef und ihren Job. Aber keiner tut was dagegen. Lieber ein besch…… Chef und total unglücklich sein, als ohne Job dastehen. So wird der Traumjob schnell zum Albtraum, und schuld daran ist der Chef.

Die Ratgeber: Was ist das Schlimmste, was Ihnen passiert ist?

Stieber: Folgendes ist zwar nicht mir passiert, sondern einem Bekannten. Als er mir die Anekdote erzählte, dachte ich: Chefs können verdammt sadistisch sein – egal in welcher Branche. Darum musste die Szene unbedingt mit ins Buch.

Mein Bekannter arbeitete damals als junger Koch – mittlerweile ist er Chefkoch – und hatte einen Chef, der seine Mitarbeiter gerne reinlegte und ihnen Fallen stellte, damit sie Fehler machten und er sie dafür bestrafen konnte. Nach Feierabend, wenn die Köche schon gegangen waren oder gerade bei ihrem Feierabendbier saßen, schlich er sich in die Küche, hat Messer und Pfannen an die falschen Stellen geräumt, Lebensmittel im Kühlraum falsch einsortiert oder die Mikrowelle von innen verschmutzt. Die ganze Arbeit nur, um am nächsten Tag auszuflippen und seine Angestellten fertig machen zu können.

Das ist krank, hat aber System. Denn so hat er seine Leute immer schön klein gehalten. Und wenn jemand zu ihm kam und um eine Gehaltserhöhung bat, hat er all die Fehler aufgezählt und vorbei war es mit der Gehaltserhöhung.

Ein Erlebnis aus meiner Anfangszeit in der Werbebranche ist ähnlich unglaublich: Ich war jung, motiviert, ehrgeizig und hatte Lust, gute Werbung zu machen. Dann kam eine Wochenendschicht kurz vor einem großen Pitch. Zwei Kollegen und ich hatten bis weit nach Mitternacht gearbeitet. Als wir am Montag die Konzepte dem Chef präsentierten, hat er sie kurz überflogen, ist ausgerastet, hat alles umgetreten und vor Wut den Laptop meines Kollegen zertrümmert. Dann hat er einen einstündigen Monolog gehalten – schreiend. Seine Forderung: Drei neue Konzepte in drei Stunden. Wir hatten durchgemacht, waren total fertig und wurden auch noch fertig gemacht. Ich dachte mir: Wenn das üblich ist in die Werbebranche ist, dann kann ich mich ja auf was gefasst machen!

“Ein guter Chef weiß, dass er auf seine Mitarbeiter angewiesen ist”

Die Ratgeber: Was macht Ihrer Meinung nach einen guten Chef aus?

Stieber: Ein guter Chef weiß, dass er auf seine Mitarbeiter angewiesen ist – so wie sie auch auf ihn. Er vertraut ihnen, traut ihnen etwas zu, fördert sie und respektiert sie. Es findet ein authentischer Austausch statt. Bei schlechten Chefs geht es darum, dass sie von ihren Angestellten respektiert werden wollen. Wie aber soll das funktionieren, wenn sie ihre Leute schlecht behandeln?

Ein guter Chef ist auch lernwillig, er hört zu und tauscht sich mit seinen Angestellten aus. Er weiß, was seine Mitarbeiter leisten und bezahlt sie dafür. Er entlohnt allerdings nicht nur, sondern belohnt sie auch. Bei schlechten Chefs ist dieser Gedanke gar nicht vorhanden. Sie denken wirklich, ihre Angestellten wären ihnen jeden verdammten Tag was schuldig. Dass das genau anders ist, checken diese Chefs nicht.


Im Fokus: Toxizität

IM FOKUS: TOXIZITÄT erfahren Sie, wie Sie toxische Menschen erkennen und mit ihnen umgehen können. Wie Sie sich von ihnen lösen und vor ihnen schützen können. Und wie Beschäftigte sich gegen toxische Chef:innen zur Wehr setzen können.


Die Ratgeber: Was raten Sie Mitarbeitern, die mit solchen Vorgesetzten zu tun haben?

Stieber: Zuerst einmal sollte sich jeder Angestellte klarmachen, dass er dem Chef was zu bieten hat. Etwas, das er braucht, um seinen Laden am Laufen zu halten. Auch wenn Sie nur ein kleines Rädchen im Getriebe sind, sind Sie wichtig. Denn fehlt Ihr Part, funktioniert das ganze Getriebe nicht mehr.

Daran sollte man den Chef immer mal wieder erinnern. Sonst ist man jeden Tag damit beschäftigt, dem Chef alles recht zu machen, ihm in den Arsch zu kriechen und Frust zu schieben. Das aber kann man nur eine Zeit lang durchziehen – bis man selbst total durch ist.

Niemand muss sich aufopfern, nur weil er seinen Lohn erhält – schon gar nicht, wenn man unterbezahlt ist. Sonst wird aus dem Traum der glücklichen Karriere und dem glücklichen Privatleben schnell ein Albtraum. Dann geht es auf einmal nur noch um Job und Chef. Dann ist er immer im Kopf, sitzt auf dem Nachhauseweg auf der Rückbank des Autos, liegt nachts mit im Bett und ist sogar im Urlaub mit am Strand. So weit darf es nicht kommen!

Aber, es gibt für alle, die sich täglich zur Arbeit schleppen und sich fragen, ob man sich nicht zur Wehr setzen kann, Hoffnung. Schauen Sie in mein Buch, dort gibt es zahlreiche provokante Denkanstöße und erprobte Überlebens-Tipps im Umgang mit dem schlimmsten Feind am Arbeitsplatz: dem Chef.

Sabine Hockling

Die Chefredakteurin Sabine Hockling hat WIR SIND DER WANDEL ins Leben gerufen. Die Wirtschaftsjournalistin und SPIEGEL-Bestsellerautorin beschäftigt sich seit über 20 Jahren mit den Veränderungen unserer Arbeitswelt. Als Autorin, Herausgeberin und Ghostwriterin veröffentlicht sie regelmäßig Sachbücher – seit 2023 in dem von ihr gegründeten DIE RATGEBER VERLAG.