Integritätsstandards variieren je nach Rang

Mann schaut aus Bürogebäude runter

Eine aktuelle Studie zeigt: Unethisches Verhalten wird in Unternehmen eher toleriert, wenn es sich bei den Beteiligten um leitende Angestellte oder besonders erfolgreiche Beschäftigte handelt.

Die Integritätsstandards steigen – und mit ihnen offenbar auch der Druck auf Beschäftigte: Fast jede und jeder zweite Befragte (49 Prozent) glaubt, dass sich die Integritätsstandards in ihren Unternehmen in den vergangenen zwei Jahren verbessert haben. Neun von zehn Befragten (90 Prozent) sind zudem zuversichtlich, dass ihre Kolleginnen und Kollegen sich an Gesetze, Verhaltensregeln und Branchenvorschriften halten.

Gleichzeitig geben allerdings auch fast vier von zehn Befragten (38 Prozent) an, dass sie bereit wären, sich unethisch zu verhalten, wenn sie von einer Führungskraft dazu aufgefordert würden. Jede und jeder zweite Befragte (50 Prozent) sagt zudem, dass es für ihre Unternehmen insgesamt eine Herausforderung ist, Integritätsstandards unter schwierigen Marktbedingungen ein- und aufrechtzuerhalten. Fast jede und jeder Dritte (30 Prozent) gibt zudem an, dass das aktuelle makroökonomische Umfeld der größte externe Druckfaktor für Angestellte ist, gegen Integritätsstandards zu verstoßen. Das sind Ergebnisse des „EY Global Integrity Report 2024“, für den 5.464 Angestellte sowie Vorstands- und Geschäftsleitungsmitglieder in 53 Ländern befragt wurden.

„Compliance-Themen spielen eine immer größere Rolle“

„Die aktuelle, positive Einschätzung bezüglich steigender Sicherheits– und Integritätsstandards in Unternehmen ist ein starkes Signal. Und dies entspricht auch der Realität: Compliance-Themen spielen eine immer größere Rolle in den Unternehmen und werden sehr ernst genommen“, so Tobias Schumacher, Partner bei EY und Deutschland-Leiter der Forensic & Integrity Services. Dies sei aber kein Grund, sich auf diesen Erfolgen auszuruhen. „Der interne und externe Druck auf Unternehmen und die eigene Mitarbeiterschaft ist weiterhin vorhanden – und er wird vor dem Hintergrund einer schwachen Konjunktur, der immer unübersichtlicher werdenden geopolitischen Weltlage und anhaltenden Cyberbedrohungen eher zu- als abnehmen“, so Schumacher weiter.

Irrtümer und Mythen rund ums ArbeitsrechtNeben Bedrohungen aus dem Bereich Cyber Security (26 Prozent) benennen Befragte auch Gesundheitskrisen (22 Prozent), Erwartungen an die finanziellen Ergebnisse (22 Prozent), Unterbrechungen der Lieferkette (21 Prozent) sowie geopolitische Bedrohungen (15 Prozent) als externe Druckfaktoren, die Compliance-Verstöße auslösen können. Interne Faktoren sind dagegen aus Sicht fast der Hälfte der Befragten (47 Prozent) die eigenen Beschäftigten. Außerdem werden hohe Fluktuation der Angestellten (26 Prozent), fehlende Ressourcen (25 Prozent) sowie Druck seitens des eigenen Managements (24 Prozent) genannt.

Integritätsstandards: Es ist nicht alles Gold, was glänzt

Zudem ist längst nicht alles Gold, was glänzt. So können offenbar die Integritätsstandards in den Unternehmen je nach Rang variieren bzw. anders ausgelegt werden – dabei werden leitende Angestellte oft nachsichtiger behandelt. Fast ein Drittel der Befragten (31 Prozent) gibt an, dass im eigenen Unternehmen unethisches Verhalten toleriert wird, wenn es sich bei den Beteiligten um leitende Angestellte oder besonders erfolgreiche Kolleginnen und Kollegen handelt. „Gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten kann die Versuchung groß sein, über Fehlverhalten im eigenen Unternehmen hinweg zu sehen, wenn Top- Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter daran beteiligt waren. Die Botschaft, die ein solches Vorgehen ins Unternehmen sendet, ist allerdings verheerend und untergräbt alle Integritätsbemühungen“, warnt Schumacher.

Und auch der Anteil von Unternehmen, die eine Whistleblowing-Hotline haben, ist in den vergangenen Jahren stark gestiegen. Allerdings gibt mehr als die Hälfte der Befragten (54 Prozent) an, die eine solche Hotline bereits genutzt haben, dass sie Druck aus dem eigenen Unternehmen verspüren, dies nicht zu tun. „Die Tools, die Unternehmen zur Verfügung stehen, um ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dabei zu unterstützen, mögliches Fehlverhalten zu melden, werden immer besser. Diese Werkzeuge funktionieren aber nur in einer intakten Unternehmenskultur, in der diese Maßnahmen nicht nur ein Feigenblatt sind. Managerinnen und Manager müssen mit ihren Integritätsmaßnahmen jede Person in der Mitarbeiterschaft erreichen und ihnen das Gefühl geben, sicher zu sein, falls Bedenken bezüglich bestimmter Vorgänge im Unternehmen geäußert werden – ohne Angst vor Konsequenzen haben zu müssen“, so Andreas Pyrcek, Partner von EY Deutschland und Globaler Leiter der Integrity & Compliance Advisory Services.

„Verstoßen Unternehmen gegen Regeln, kommt dies ans Licht“

Führungskräfte neigen dazu, die Fortschritte in diesem Bereich zu überschätzen: Während 40 Prozent der befragten Vorstandsmitglieder sagen, dass es für die Beschäftigten einfacher geworden ist, ihre Bedenken zu melden, stimmen nur 26 Prozent der befragten Angestellten dieser Aussage zu.

„Verstoßen Unternehmen gegen Regeln, kommt dies ans Licht: manchmal früher, manchmal später – aber am Ende immer. Diese Verstöße werden geahndet und können für Konzerne existenzbedrohend sein. Deshalb muss sich jede Mitarbeiterin und jeder Mitarbeiter darüber im Klaren sein: Im Graubereich zu wirtschaften kann keinen nachhaltigen Erfolg bringen, denn der Vertrauensverlust ist kaum wieder gutzumachen“, so Pyrcek.

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