Warum feiern manche harte Führungskräfte – und andere verachten sie? Eine neue Studie zeigt: Nicht Führungskräfte sind das Problem, sondern unsere Weltbilder. Sie entscheiden, was wir als Stärke sehen.
Es war nur eine E-Mail. Ein paar Sätze, geschrieben von einer Restaurantmanagerin in Kansas: „Wenn Sie sich krankmelden, können Sie gleich nach einem neuen Job suchen“, schrieb sie an ihr Team. „Wir tolerieren keine Ausreden mehr.“ Der Ton war scharf, fast bedrohlich. Die Nachricht ging viral – und spaltete die Meinungen. Einige nannen sie herzlos. Andere feierten sie als starke Führungskraft, die endlich durchgreift.
Was löst solche gegensätzlichen Reaktionen aus? Warum sehen manche in Härte Schwäche, andere Führungsstärke? Die Antwort liegt nicht im Stil oder Charakter der Führungskraft, sondern in der Weltanschauung der Beobachter.
Das unsichtbare Raster
Die Sozialpsycholog:innen Christine Q. Nguyen und Daniel R. Ames von der Columbia Business School untersuchten genau diese Frage in ihrer Studie „Savvy or Savage? How Worldviews Shape Appraisals of Antagonistic Leaders“ (2025): Wie bewerten Menschen harte, konfrontative Führung? Und warum gehen die Urteile so weit auseinander?
In sieben Studien mit über 2.000 Teilnehmenden zeigen sie: Nicht das Verhalten entscheidet, sondern das Weltbild des Beobachters. Menschen mit einer „Competitive Worldview“ sehen die Welt als gnadenlosen Dschungel, in dem nur die Stärksten überleben. Für sie ist Durchsetzungskraft keine Schwäche, sondern Kompetenz. Härte gilt als notwendig. Menschen mit einer kooperativen Weltsicht dagegen glauben an Vertrauen, Fairness und Zusammenarbeit. Für sie sind Härte und Aggression Zeichen von Unsicherheit. Beide betrachten dieselbe Führungskraft – und sehen zwei völlig verschiedene Welten.
Die Rechtfertigung der Härte
Nguyen und Ames nennen das eine „Weltbild-Moderation“. Sie zeigt sich schon im Kleinen. In Experimenten bewerteten Versuchspersonen typische Manager-Verhaltensweisen – vom „freundlichen Zuhören“ bis zum „Drohungen aussprechen“. Menschen mit einer „Competitive Worldview“ hielten Drohungen, Druck und Konfrontation für effektiver. Nicht, weil sie selbst aggressiver wären, sondern weil sie glauben, dass die Welt nur auf Härte reagiert.
Diese Denkweise prägt alles: Wer die Welt als Kampf sieht, erwartet Kampf. Und wer Kampf erwartet, erkennt in Härte Kompetenz. Das erklärt, warum wir destruktive Führung oft entschuldigen.
Wenn ein Vorstandschef cholerisch wird oder eine Führungskraft ihr Team demontiert, hören Menschen mit „Wettbewerbs-Weltbild“ oft etwas anderes: „Er hat Rückgrat.“ „Sie weiß, wie man gewinnt.“
Erfolg rechtfertigt Härte
In der Studie wurden Teilnehmende gefragt, wie sie erfolgreiche CEOs einschätzen. Menschen mit einer „Competitive Worldview“ glaubten häufiger, dass diese Führungskräfte auf dem Weg nach oben antagonistisch waren – und dass gerade das ihren Erfolg erklärt.
Erfolg rechtfertig Härte. Härte wird zum Preis des Erfolgs. Das ist die Psychologie hinter der „Tough Leader“-Legende: vom cholerischen Gründer bis zum autokratischen Staatschef. Wer die Welt als gefährlich empfindet, sieht in Dominanz Sicherheit.
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Wenn Weltbilder Teams spalten
Die Folgen reichen tief ins Arbeitsleben. In der letzten der sieben Studien untersuchten Nguyen und Ames reale Manager-Beziehungen. Das Ergebnis: Mitarbeitende mit einer „Competitive Worldview“ fühlten sich unter harten Führungskräften motivierter und zufriedener als ihre Kolleg:innen mit kooperativer Weltsicht.
Was für die einen toxisch ist, inspiriert die anderen. Das erklärt, warum manche Organisationen ruppige Führung tolerieren oder bewundern – und andere sie ablehnen. Es liegt nicht nur an den Chefs, sondern auch an den inneren Landkarten ihrer Mitarbeitenden. Der entscheidende Punkt der Studie: Härte ist kein objektives Signal. Sie ist eine Interpretation.
Was tun?
Unternehmen, die Wandel, Kooperation und psychologische Sicherheit fördern wollen, müssen mehr tun, als Empathie-Seminare anzubieten. Sie müssen das Weltbild ihrer Organisation verstehen.
In einer Kultur, die tief im Wettbewerbsdenken verankert ist, wirken Empathie und Offenheit zunächst wie Schwäche. Werteprogramme prallen ab wie Wassertropfen auf Teflon. Umgekehrt erleben Organisationen, die Kooperation hochhalten, Menschen mit „Dschungel-Weltbild“ als Störenfriede – selbst, wenn diese nur tun, was sie für notwendig halten.
Nguyen und Ames schlagen keinen Idealtypus vor. Sie liefern ein Diagnoseinstrument. Denn es gibt kein „richtiges“ Weltbild. Nur die Erkenntnis, dass wir eines haben. Wer sich fragt, „Wie sehe ich die Welt?“, versteht, warum er bestimmte Führungspersönlichkeiten bewundert oder ablehnt. Warum er den „Boss, der durchgreift“ feiert oder verachtet. Und warum Transformation in Organisationen oft an unsichtbaren Glaubenssätzen scheitert: weil man Werte verändert, aber nicht die Brille, durch die man sie sieht.
Die leise Lektion
Die Studie endet mit einer nüchternen Erkenntnis: Antagonistische Führung existiert nicht nur wegen derer, die sie ausüben – sondern auch wegen derer, die sie legitimieren.
Ob wir Härte als Stärke oder Schwäche sehen, sagt mehr über uns als über die Führungskraft. Vielleicht ist das die eigentliche Zumutung dieser Forschung: Der Wandel, den wir in Organisationen suchen, beginnt nicht mit der Frage, wie andere führen – sondern mit der, wie wir die Welt sehen.

