Auf der einen Seite gigantische Vermögen, auf der anderen eine schrumpfende Mitte mit Millionen armen Kindern: Die soziale Unwucht ist durch Corona enrom groß geworden.
Reich und sorglos, arm und ausweglos: Der Reichtum der Superreichen weltweit hat laut einem Bericht der Organisation Oxfam extrem zugenommen: Allein das Vermögen der zehn reichsten Milliardäre hat sich seit Beginn der Corona-Pandemie verdoppelt. 160 Millionen Menschen auf der ganzen Welt hingegen wurden neu in die Armut gestoßen, weil sie pandemiebedingt Arbeit und Einkommen verloren haben.
Laut den Oxfam-Zahlen konnten vor allem die weltweit insgesamt 2.755 Milliardärinnen und Milliardäre ihr Vermögen seit März 2020 um fünf Billionen US-Dollar steigern – von 8,6 auf 13,8 Billionen. Die Superreichen haben ihr Vermögen damit während der Pandemie stärker vermehrt als in den gesamten vierzehn Jahren zuvor, heißt es in dem Bericht. Dabei waren schon die letzten 14 Jahre für diese Gruppe eine Art Goldrausch: Das reichste eine Prozent der Weltbevölkerung hatte bereits von 1995 bis 2019 rund 20 Mal mehr Vermögen angehäuft als die ärmsten 50 Prozent der Weltbevölkerung zusammen.
Wer hat, dem wurde noch mehr gegeben
Massives Wachstum gab es in der Pandemie jedoch nicht, sondern nur eine gewaltige Umverteilung von unten nach oben. Insgesamt wuchs das weltweite Vermögen zwischen 2019 und 2021 Oxfam-Schätzungen zufolge nur um ein Prozent. Und während die allermeisten Menschen davon gar nichts hatten und sogar Wohlstand verloren haben, konnten die reichsten 0,001 Prozent – das sind rund 55.000 Menschen – ihr Vermögen um 14 Prozent mehren. Und selbst bei dieser Gruppe war das Muster eindeutig: Die Reichsten steigerten ihren Wohlstand im Schnitt um 50 Prozent.
Und wie sieht es in Deutschland aus? Immerhin galt Deutschland viele Jahre als relativ gleiches Land, in dem es wenig soziale Unwucht gab. Dabei wird die Ungleichheit mit dem Gini-Koeffizient gemessen, ein statistisches Maß, das zur Darstellung der Ungleichverteilung verwendet wird und das zwischen 0 und 1 liegt, wobei 0 absolute Gleichheit und 1 absolute Ungleichheit bedeutet. In Deutschland lag dieses Maß viele Jahr lang zwischen 0,29 und maximal 0,31. Mit der Pandemie stieg der Gini auf 0,34 – was einen erheblichen Anstieg bedeutet. Das heißt, die Corona-Krise führte zu einer erheblichen Konzentration der Vermögen und zu einem Wohlstandsverlust vor allem bei den Ärmeren. So vergrößerten die zehn reichsten Menschen in Deutschland ihr Vermögen seit März 2020 von rund 144 Milliarden US-Dollar auf etwa 256 Milliarden US-Dollar (225 Milliarden Euro) – was einen Anstieg von rund 78 Prozent bedeutet.
Prekär Beschäftigte besonders betroffen
Laut Oxfam entspricht allein dieser Zuwachs dem Gesamtvermögen der ärmeren 40 Prozent der Deutschen – und das sind immerhin 33 Millionen Bundesbürgerinnen und Bundesbürger. Zugleich sind sehr viele Menschen ärmer geworden – Millionen waren 2020 in Kurzarbeit, Ende 2021 immer noch Hunderttausende. Viele weitere haben ihren Job gleich ganz verloren und sehr viele Menschen hatten Einkommenseinbußen.
Vom Verlust des Arbeitsplatz besonders betroffen waren prekär Beschäftigte wie Millionen für Jobs, die nicht zum Leben reichen. Laut Zahlen der Bundesagentur für Arbeit gingen 555.000 Minijobs in kurzer Zeit verloren, die Bertelsmann Stiftung spricht in einer Studie sogar von 870.000 Menschen, die wegen Corona ihre geringfügige Beschäftigung verloren hätten. Für viele von ihnen war der Minijob dabei die Haupteinnahmequelle, für einige sogar die einzige Beschäftigung.
Verloren haben vor allem jene, die vorher schon sehr wenig hatten
Laut dem Statistischen Bundesamt wurden auch gut 250.000 Niedriglohn-Jobs wegen Corona gestrichen. Dabei arbeitet gut jede und jeder fünfte Erwerbstätige im Niedriglohnsektor. Die Zahlen sind eindeutig: Verloren haben vor allem jene, die vorher schon sehr wenig hatten.
Das verdeutlichen auch Daten der Erwerbspersonenbefragung der Hans-Böckler-Stiftung zu den Einkommensverlusten durch die Corona-Pandemie. Auch diese waren sehr ungleich verteilt, denn nur ein Drittel der Erwerbstätigen in Deutschland hatte überhaupt Einbußen, überdurchschnittlich betroffen waren dabei Menschen mit geringem Einkommen.
Mehr als drei Viertel der Beschäftigten in der Gastronomie litten der Erhebung zufolge finanziell – kein Wunder, Restaurants und Bars waren monatelang geschlossen und die Einbußen halten bis heute an. Besonders betroffen waren und sind auch Freiberuflerinnen und Selbstständige – fast zwei Drittel von ihnen verloren bis Ende 2020 spürbar Einkommen. Einige haben ihre Selbstständigkeit sogar ganz aufgegeben, wie das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung feststellt.
Die Arbeitslosigkeit insgesamt steigt
Unter den Erwerbstätigen ohne beruflichen Bildungsabschluss waren im ersten Jahr der Pandemie über 40 Prozent von finanziellen Verlusten betroffen, bei den Beschäftigten mit abgeschlossener Berufsausbildung 32,2 Prozent, bei den Akademikerinnen und Akademikern hingegen nur 26,8 Prozent. Auch der Verteilungsbericht 2021 des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) zeigt, wie ungleich die Lasten verteilt waren und weiterhin sind: Fast die Hälfte der Haushalte mit einem Nettoeinkommen von weniger als 900 Euro hat durch die Pandemie oder die Pandemie-Maßnahmen weniger Einkommen zur Verfügung.
Die Pandemie hatte auch Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt: Im Februar 2020 lag sie bei 5,3 Prozent, im Februar 2021 bei 6,3 Prozent. Aber es gibt auch gute Nachrichten. Mittlerweile ist sie wieder gesunken – auf 5,1 Prozent im Dezember 2021. Das liegt vor allem am immer größer werdenden Fachkräftmangel, aber auch daran, dass viele extrem einschränkende Maßnahmen beendet wurden. Dennoch geht es vielen Menschen schlecht: Zehntausende Deutsche sind in Hartz IV gerutscht. Viele von ihnen waren Soloselbstständige wie Künstlerinnen und Künstler, die ihren Beruf zwischenzeitlich nicht mehr ausüben konnten, aber keine Wirtschaftshilfen, sondern nur einen vereinfachten Zugang in die Grundsicherung erhielten.
Und so verwundert es nicht, dass die Armutsquote in Deutschland seit Corona mit 16,1 Prozent einen Höchststand erreicht. 13,4 Millionen Menschen leben hierzulande in Armut. Dabei trifft es Frauen und Kinder besonders oft. Laut dem Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut der Hans-Böckler-Stiftung lebten 20,2 Prozent der Kinder und Jugendlichen in Deutschland unter der Armutsgefährdungsschwelle. Die Armutsquote ist der Anteil von Personen an der Gesamtbevölkerung, deren Einkommen unterhalb der 60 Prozent-Armutsgrenze liegt.
Armut und Reichtum werden jeweils vererbt
Das ist ein Problem. Denn Armut wird vererbt. Laut dem Statistischen Bundesamt bleiben Menschen, die einmal unter die Armutsgrenze gerutscht sind, immer öfter länger arm, weil ein Aufstieg immer seltener gelingt. Und auch das liegt an der zunehmenden Spaltung zwischen Arm und Reich, denn die sogenannte Einkommensmobilität nimmt ab. Es fällt den Menschen in Deutschland immer schwerer, Vermögen aufzubauen, wenn sie nicht schon über Kapital verfügen – denn durch bloße Erwerbsarbeit werden kaum noch Menschen reich oder vermögend.
Laut neuen Daten beträgt der Anteil dauerhaft von Armut bedrohter Menschen an allen Armen 44 Prozent, das ist doppelt so hoch wie 1998. Zugleich schrumpft die Mittelschicht – jener Anteil der Bevölkerung, der auskömmlich über die Runden kommt und denen vor allem früher hin und wieder der soziale Aufstieg gelang. In den vergangenen 25 Jahren aber – und durch die zwei Jahre Pandemie beschleunigt – ist die Mittelschicht in einem so starken Ausmaß wie in keinem anderen Industrieland zurückgegangen, wie eine Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) und der Bertelsmann Stiftung zeigt.
Wer ist die Mittelschicht?
Sie wird in Deutschland über das monatliche Nettoeinkommen definiert. Das liegt für eine vierköpfige Familie zwischen 3.000 und 8.000 Euro netto. 1995 verfügten noch 70 Prozent der Deutschen über so ein Nettoeinkommen, 2018 ist es auf 64 Prozent geschrumpft, während die Gruppe der Spitzenverdienenden mit mehr als 8.000 Euro gewachsen ist. Neuere Daten liegen noch nicht vor, aber klar ist, dass dieser Prozess weitergeht.
Denn die wenigen Reichen, die immer reicher werden, vererben ihr Vermögen weiter – meistens an Menschen, die selbst ein hohes Einkommen und Vermögen haben. Langfristig steigt damit der Anteil der Kapitaleinkommen für die Spitzenverdienerinnen und Spitzenverdiener, die zusätzliches Einkommen aus Immobilien, Aktien oder Unternehmen haben. So wird die Gesellschaft noch weiter gespalten.
Oft heißt es, die Corona-Pandemie sei wie ein Brennglas für bestimmte Entwicklungen gewesen – ein Brennglas, ein Verstärker, ein Booster. Bei der sozialen Ungleichheit gilt: Diesen Booster hätte es wirklich nicht gebraucht.