Der Sozialstaat erlebt eine Vertrauenskrise

Menschen auf dem Weg zur Arbeit

Das Konstanzer Ungleichheitsbarometer zeichnet ein düsteres Bild vom Zustand des deutschen Sozialstaats: Immer mehr Bürger:innen zweifeln an der Fairness und Nachhaltigkeit der Sozialsysteme, besonders bei Rente und Gesundheitsversorgung. Diese Skepsis wirkt sich auf die politische Teilhabe und das Vertrauen in die Demokratie aus.


Das Policy Paper “Auf dem Abstellgleis? Zum Zusammenhang zwischen Ungleichheitswahrnehmungen und politischer Beteiligung” von Marius R. Busemeyer, Felix Jäger und Sharon Baute untersucht, wie die Wahrnehmung von Ungleichheit das politische Verhalten prägt. Die Daten zeigen: Viele Menschen fühlen sich politisch machtlos und empfinden Politik als wenig responsiv. Diese Wahrnehmungen untergräbt das Vertrauen in die Demokratie und ihre Institutionen.


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Ein zentrales Ergebnis der Studie: Wer ökonomische Ungleichheit stark wahrnimmt, schätzt die eigene politische Einflussmöglichkeit gering ein. Solche Menschen, glauben wenig daran, durch ihr Handeln etwas zu bewirken, und beteiligen sich seltener politisch. Das verstärkt die Wechselwirkung zwischen ökonomischer und politischer Ungleichheit. Kurz gesagt: Wer sich abgehängt fühlt, zieht sich oft aus der Demokratie zurück.

Ungleichheit und Sozialstaat

Irrtümer und Mythen rund ums ArbeitsrechtDas zweite Policy Paper “Sinkendes Vertrauen, zunehmende Ungleichheit? Die Performanz des deutschen Sozialstaats im Spiegel der öffentlichen Meinung” von Marius R. Busemeyer und Felix Jäger beleuchtet, wie Bürger:innen die Fairness und Leistungsfähigkeit des Sozialstaats wahrnehmen. Die Ergebnisse zeigen: Viele sehen den Sozialstaat kritisch, vor allem bei Rente und Gesundheitsversorgung. Sie bemängeln ein unfaire Verteilung und zweifeln an der langfristigen Finanzierbarkeit.

Über 70 Prozent der Befragten haben wenig bis gar kein Vertrauen in die Leistungsfähigkeit, Fairness und Nachhaltigkeit des Sozialstaats. Besonders die Altersrenten stehen in der Kritik, während die Familienpolitik vergleichsweise besser abschneidet. Diese Skepsis schwächt auch das Vertrauen in die Demokratie. Wer dem Sozialstaat misstraut, ist oft unzufriedener mit der Demokratie insgesamt.

Das Vertrauen wieder stärken

Die Autoren empfehlen, die politische Kommunikation zu verbessern und Bürer:innen stärker in Entscheidungen einzubinden. Demokratische Debatten sollten im Alltag mehr Raum finden, um das Bewusstsein für Demokratie zu stärken. Wichtig sei auch, die politische Bildung auszubauen, besonders für Menschen mit geringer politischer Selbstwirksamkeit, da sie seltener wählen. Eine gezielte Bildung könnte helfen, das Vertrauen in Demokratie und Sozialstaat zurückzugewinnen.

Die Studien betonen zudem, wie entscheidend es ist, die Nachhaltigkeit und Fairness des Sozialstaats zu sichern. Rente und Gesundheitsversorgung sollten bei Reformen oberste Priorität haben. Eine ausgewogene Berücksichtigung der Interessen aller Generationen und eine positive Kommunikation könnten das Vertrauen in den Sozialstaat stärken.

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Tina Groll

Tina Groll, SPIEGEL-Bestsellerautorin und Redakteurin bei ZEIT ONLINE im Ressort Politik & Wirtschaft, konzentriert sich als Autorin von WIR SIND DER WANDEL auf Arbeitsmarkt-, Sozial- und Gesundheitspolitik. 2008 zeichnete sie das Medium Magazin als eine der “Top 30 Journalisten unter 30 Jahren” aus. Ferner ist sie Mitglied im Deutschen Presserat.