Das Einsamkeitsbarometer zeigt: Die Bevölkerung in Deutschland fühlt sich einsamer als vor der Pandemie. Allerdings betrifft das einige Gruppen stärker als andere.
Das Einsamkeitsbarometer ist die erste umfassende Analyse des Einsamkeitserlebens der Bevölkerung in Deutschland in den vergangenen 30 Jahren. Die Langzeitanalyse ist Teil der „Strategie der Bundesregierung gegen Einsamkeit“ und wurde auf Grundlage des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP: jährliche repräsentative Wiederholungsbefragung von Privathaushalten) mit Daten von 1992 bis 2021 durch das vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) geförderte “Kompetenznetz Einsamkeit” am Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik aufbereitet.
Die gute Nachricht: Insgesamt kann nach einem sehr starken Anstieg der Einsamkeitsbelastung im ersten Pandemiejahr 2020 für das Jahr 2021 eine Bewegung in Richtung zum Vor-Pandemie-Niveau beobachtet werden – auch wenn die Zahlen der von Einsamkeitsbelastungen betroffenen Personen im Vergleich zum Jahr 2017 weiterhin erhöht waren.
„Millionen Menschen in Deutschland fühlen sich einsam. Während der Pandemie hat dieses Gefühl stark zugenommen. Ältere und jüngere Menschen sind am häufigsten betroffen, außerdem Menschen, die intensive Care-Arbeit leisten. Wir müssen uns der großen Herausforderung stellen, Einsamkeit gemeinsam anzugehen. Einsame Menschen nehmen seltener an Wahlen teil und engagieren sich weniger. So bleibt Einsamkeit ein drängendes Problem und schadet uns als Gesellschaft. Als Bundesregierung holen wir das Thema aus der Tabu-Ecke und gehen es mit der Strategie gegen Einsamkeit an. Mit dem Einsamkeitsbarometer haben wir nun die nötigen Daten, um noch gezielter handeln zu können“, so Bundesfamilienministerin Lisa Paus.
Während der Pandemie stieg die Einsamkeitsbelastung bei jüngeren Menschen besonders stark an
Konkret zeigen die Daten, dass Personen über 75 Jahre am stärksten von Einsamkeit betroffen sind. Nur das erste Pandemiejahr 2020 hatte einen so starken Einfluss auf die Einsamkeitsbelastung jüngerer Menschen, dass sich dieser Effekt umgedreht und trotz Verringerung weiter Bestand hat. Das heißt, während der Pandemie stieg die Einsamkeitsbelastung bei jüngeren Menschen besonders stark an. 2020 waren jüngere Personen (zwischen 18 und 29 Jahren) mit 31,8 Prozent stärker mit Einsamkeit belastet als Personen im Alter von über 75 Jahre und älter (22,8 Prozent). Auch normalisierten sich die Einsamkeitsbelastungen bei den älteren Personen im Jahr 2021 schneller. Während jüngere Altersgruppen 2021 auf höherem Niveau verharrten (14,1 Prozent) als vor der Pandemie (8,6 Prozent 2017), lagen die Einsamkeitsbelastungen bei älteren Personen in etwa auf dem Niveau von vor der Pandemie. Ebenso zeigen die Daten, dass Frauen eher eine erhöhte Einsamkeitsbelastung aufweisen als Männer – wobei die Pandemie diesen Effekt sogar noch verstärkt hat.
Die Ergebnisse zeigen, dass Einsamkeit sich negativ auf die physische und psychische Gesundheit auswirkt. Auch die Befunde zu Armut zeichnen ein deutliches Bild. Der Anteil von erwerbslosen Menschen mit Einsamkeitsbelastungen ist stark erhöht. Im Rahmen der Pandemie haben sich 2020 die Unterschiede in den Einsamkeitsbelastungen zwischen erwerbstätigen und arbeitslosen Personen bis auf fünf Prozentpunkte stark angeglichen, während sie 2021 mit 16,1 Prozentpunkten wieder weit auseinanderlagen. Ferner ist auf die gehobenen Einsamkeitsbelastungen von Menschen hinzuweisen, die intensive Care Arbeit leisten (insbesondere Alleinerziehende und pflegende Angehörige), sowie von Menschen mit Migrations- und/oder Fluchterfahrung.
Die deutsche Bevölkerung verfügt über ein solides Fundament an Resilienzfaktoren gegen Einsamkeit
Bei der Darstellung der Entwicklung von Einsamkeitsbelastungen ist es wichtig, Faktoren zu berücksichtigen, die Menschen resilienter gegen Einsamkeitsbelastungen werden lassen. Dazu hat das Einsamkeitsbarometer die Qualität der Primärbeziehungen, die gesellschaftliche Teilhabe sowie Bildung in den Blick genommen. Allgemein lässt sich sagen, dass die deutsche Bevölkerung über ein solides Fundament an Resilienzfaktoren gegen Einsamkeit verfügt. Die Besuchsfrequenzen von/bei Primärbeziehungen (Familie, Freund:innen sowie Nachbar:innen) sind auf einem konstant hohen Niveau – auch während der Pandemie. Ebenso ist die Zufriedenheit mit der Qualität der Primärbeziehung konstant hoch. Für fast alle Formen der gesellschaftlichen Teilhabe ist der Anteil der Personen, die ihnen mindestens ein Mal im Monat nachgehen, gestiegen. Ferner ist der aktive Sport in den letzten Jahren für viele Menschen eine immer wichtigere Form sozialer Teilhabe geworden. Und auch die Bildung ist ein wichtiger Resilienzfaktor gegen Einsamkeit. Personen mit höherer Bildung sind weniger von Einsamkeit betroffen als Personen mit mittlerer Bildung, die wiederum weniger von Einsamkeit betroffen sind als Personen mit geringer Bildung.
Und auch wenn das Gefühl von Einsamkeit durch räumliche oder regionale Faktoren verstärkt oder begünstigt werden kann, zeigen die Daten nur geringe Unterschiede zwischen den westdeutschen und ostdeutschen Ländern, auch gibt es keinen signifikanten Unterschied in den Einsamkeitsbelastungen zwischen Menschen in ländlichen und solchen in städtischen Gebieten.
„Risikogruppen bleiben stark belastet und hier müssen wir besonders genau hinschauen und auch weiter unterstützen“
Außerdem stehen Einsamkeitsbelastungen in einem negativen Zusammenhang mit dem Vertrauen in politische Institutionen, dem politischen Interesse der Bevölkerung sowie mit der Motivation zur Beteiligung an politischen Prozessen. Das Einsamkeitsbarometer zeigt für das Jahr 2021 ein signifikant niedrigeres Vertrauen in politische Institutionen (Polizei, Parteien, Politiker:innen, Rechtssystem, Bundestag) bei Personen mit erhöhter Einsamkeitsbelastung als bei Personen ohne erhöhte Einsamkeitsbelastung. Auch glauben Personen mit erhöhter Einsamkeitsbelastung signifikant häufiger an eine politische Verschwörung. Das bestärkt die Annahme, dass das Desinteresse an Politik von Menschen mit Einsamkeitsbelastungen größer ist als bei Menschen ohne solche Belastungen. Insgesamt wirkt sich dies auch auf die politische Partizipation an Wahlen aus.
„Das Einsamkeitsbarometer legt einen wichtigen Grundstein für eine regelmäßige Beobachtung der Einsamkeitsbelastung der deutschen Bevölkerung. Die Ergebnisse zeigen einerseits einen erfreulichen Rückgang der Einsamkeitsbelastung nach der Pandemie für einen großen Teil der Bevölkerung. Gleichzeitig bleiben bestimmte Risikogruppen stark belastet und hier müssen wir besonders genau hinschauen und auch weiter unterstützen“, so Benjamin Landes, Direktor des Instituts für Sozialarbeit und Sozialpädagogik und Leiter des Projekts Kompetenznetz Einsamkeit.