Eine neue Studie der Otto-Brenner-Stiftung kritisiert, dass Medien stereotyp über Gewalt gegen Frauen berichten. Sie kommt zu einem brisanten Ergebnis.
Gewalt gegen Frauen bleibt ein schwerwiegendes gesellschaftliches Problem in Deutschland. Laut der Istanbul-Konvention, die Deutschland 2017 ratifizierte, ist dies eine Menschenrechtsverletzung. Die Konvention verpflichtet alle Unterzeichnerstaaten zu umfassenden Maßnahmen zum Schutz von Frauen. Dennoch zeigen aktuelle Statistiken ein alarmierendes Bild: Täglich erleben mehr als 140 Frauen sexualisierte Gewalt, alle drei Minuten ist eine Frau von häuslicher Gewalt betroffen, und nahezu jeden Tag stirbt eine Frau durch einen Femizid.
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Eine aktuelle Untersuchung der Otto Brenner Stiftung (OBS) analysierte die Berichterstattung deutscher Print- und Onlinemedien zu Gewalt gegen Frauen im Zeitraum von 2020 bis 2022. Die Ergebnisse zeigen, dass die mediale Darstellung oft auf extreme Einzelfälle fokussiert ist, während alltägliche Gewaltformen wie Körperverletzung oder psychische Gewalt kaum thematisiert werden. Diese selektive Berichterstattung verstellt den Blick auf die strukturellen Ursachen und das tatsächliche Ausmaß des Problems.
Fokus auf extreme Einzelfälle
Die Studie untersuchte über 3.100 Artikel und stellte fest, dass besonders Tötungsdelikte im Zentrum der medialen Aufmerksamkeit stehen. Sexualisierte Gewalt wird fast ausschließlich dann thematisiert, wenn sie tödlich endet. Diese Konzentration auf spektakuläre Fälle führt dazu, dass andere Gewaltformen, die weitaus häufiger auftreten, kaum Beachtung finden. So entsteht der Eindruck, Gewalt gegen Frauen sei eine Serie isolierter Tragödien, statt ein tief verwurzeltes gesellschaftliches Problem.
Die Forscher:innen kritisieren die häufige Verwendung von Begriffen wie „Familiendrama“ oder „Eifersuchtsdrama“, die Gewalt verharmlosen und die strukturellen Dynamiken von Partnerschaftsgewalt verschleiern. Gleichzeitig findet der Begriff „Femizid“ zunehmend Eingang in überregionale Medien, bleibt jedoch insgesamt wenig etabliert. Die Nationalität der Täter wird oft betont, besonders bei nichtdeutschen Tatverdächtigen, was stereotype Narrative über Gewaltursachen und Tätergruppen verstärken kann.
Mangelnde Perspektive der Opfer
Nur 10 Prozent der analysierten Artikel nehmen die Perspektive der Opfer ein, während fast die Hälfte der Berichte den Täter in den Mittelpunkt stellt. Dabei stehen häufig vermeintliche „Motive“ wie Eifersucht oder Trennungsängste im Fokus, anstatt die strukturellen Ursachen der Gewalt zu beleuchten. Hilfsangebote wie Notrufnummern oder Beratungsstellen werden in lediglich 2 Prozent der Artikel erwähnt, wodurch Betroffene nur selten direkte Unterstützung durch die Berichterstattung erhalten.
Die Ergebnisse verdeutlichen, dass eine differenzierte Berichterstattung über Gewalt gegen Frauen in Deutschland weiterhin die Ausnahme ist – das hat schwere Folgen. Die selektive Fokussierung auf extreme Fälle und die fehlende Einordnung struktureller Ursachen erschweren es, die gesellschaftliche Dimension des Problems sichtbar zu machen. Die OBS fordert eine Berichterstattung, die Gewalt gegen Frauen als gesamtgesellschaftliches Problem begreift, präventive Maßnahmen stärker thematisiert und die Perspektiven der Betroffenen in den Mittelpunkt rückt.
Die vollständige Studie ist auf der Website der Otto Brenner Stiftung verfügbar.