Für die Karriere innerhalb Deutschlands – oder sogar ins Ausland – umziehen? Unter Studierenden steigt die Bereitschaft, diesen Schritt zum Karrierestart zu wagen.
Über zwei Drittel (68 Prozent) der Studierenden erwarten, nach dem in einem anderen Bundesland zu arbeiten, verglichen mit 64 Prozent im Jahr 2022. Mehr als vier von zehn angehenden Akademiker:innen (41 Prozent) planen sogar, ihre Karriere im Ausland zu beginnen, ein Anstieg von gut 50 Prozent seit 2022, als es nur 27 Prozent waren.
Männer (72 Prozent) zeigen sich offener für einen Umzug innerhalb Deutschlands als Frauen (65 Prozent). Beide Geschlechter sind ähnlich bereit, ins Ausland zu ziehen, wobei Männer (42 Prozent) etwas häufiger als Frauen (40 Prozent) dazu neigen. Diese Ergebnisse stammen aus einer EY-Studie, die über 2.000 Studierende befragte.
Viele erkennen zunehmend die Nachteile des Homeoffice
„Die Bereitschaft, ihr familiäres oder studentisches Umfeld zu verlassen, hat bei Studierenden wieder zugenommen. Während der Pandemie gab es hier eine deutliche Delle, unter anderem weil sowohl Arbeitnehmer:innen als auch Arbeitgeber festgestellt haben, dass viele Berufe mit dem Arbeiten im Homeoffice sehr gut vereinbar sind. Ein dauerhafter Wohnortwechsel war daher häufig nicht zwingend erforderlich“, sagt Jan-Rainer Hinz, Mitglied der Geschäftsführung und Leiter Personal bei EY.
Doch nun erkennen viele auch die Nachteile des Homeoffice. „Gerade junge Talente, die in den Arbeitsmarkt drängen, wollen ihren Karrierestart nicht nur virtuell erleben. Sie wollen sich im Büro mit den Kolleg:innen austauschen, von deren Erfahrungen profitieren und Kontakte knüpfen. Zusammen mit der Tendenz, dass immer mehr Unternehmen ihre Angestellten – zumindest für einen Teil ihrer Arbeitstage – wieder in die Büros bestellen, hat dies logischerweise auch wieder mehr Einfluss auf die Wahl des Wohnortes“, so Hinz weiter.
Studierende im Osten und Norden besonders mobil
Innerhalb Deutschlands gibt es große Unterschiede in der Umzugsbereitschaft. Studierende aus den östlichen und nördlichen Bundesländern rechnen eher mit einem Umzug. In Sachsen-Anhalt erwarten fast neun von zehn, nach dem Studium in ein anderes Bundesland zu ziehen. In Bremen sind es 85 Prozent, in Mecklenburg-Vorpommern 81 Prozent. Im Saarland hingegen nur 44 Prozent. Für einen Jobstart im Ausland sind die Zahlen in Berlin (57 Prozent), Bremen (54 Prozent) und dem Saarland (53 Prozent) hoch.
In den östlichen Bundesländern ist die Bereitschaft, ins Ausland zu ziehen, geringer. In Mecklenburg-Vorpommern glauben nur zehn Prozent der angehenden Akademiker:innen daran, in Rheinland-Pfalz 29 Prozent und in Sachsen 31 Prozent.
- „Durch den Opernbesuch lernen Studierende, kreativ zu denken“
- Job-Aussichten: Studierende blicken zuversichtlich in die Zukunft
- Fachkräftemangel durch Auswanderung
Abwanderung verstärkt Fachkräftemangel
„In fast allen Bundesländern ist die Bereitschaft, Deutschland zu verlassen, gestiegen. Dass der Anteil der Talente, die ihre Karriere im Ausland starten wollen, derart hochgeschnellt ist, ist auf der einen Seite ein positives Signal – spricht es doch für das Vertrauen der angehenden Akademikerinnen und Akademiker in die eigenen Stärken und das erworbene Fachwissen und den Mut, sich in einem völlig neuen Umfeld zu beweisen“, sagt Nathalie Mielke, Partnerin & Talent Leader Assurance bei EY.
Das ist aber nur die eine Seite der Medaille. „Gleichzeitig muss der mögliche Wegzug von gut ausgebildeten Fachkräften ein Alarmsignal für die deutsche Wirtschaft sein. Zahlreiche Branchen und Industriezweige suchen – allen wirtschaftlichen Herausforderungen zum Trotz – weiter händeringend nach Fachkräften. Wenn tatsächlich in großem Stil gut ausgebildete Akademiker Deutschland verlassen, wird das den Fachkräftemangel weiter verstärken. Die große Herausforderung für die Unternehmen besteht daher darin, den Talenten Perspektiven aufzuzeigen und die Vorteile des eigenen Unternehmens bei der Entwicklung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Fokus zu stellen. Viele deutsche Großunternehmen bieten zudem attraktive Möglichkeiten, Karrierestationen im Ausland zu absolvieren – offenbar ein echtes Plus, um im Wettbewerb um Top-Absolventen zu punkten“, so Mielke weiter.
Bayern bietet die besten Perspektiven
Bayern bleibt bei Berufseinsteigern beliebt: 53 Prozent sehen dort gute Karriereaussichten – genauso viele wie im Vorjahr. Nordrhein-Westfalen folgt mit 36 Prozent (minus acht Prozent), Berlin mit 36 Prozent (minus drei Prozent). „Es scheint, dass sich der Hype um die Hauptstadt zumindest für den Moment abgekühlt hat. Berlin kann nichtsdestotrotz weiterhin gerade mit einer lebendigen Start-up-Szene, die einen Spitzenplatz im europäischen Vergleich einnimmt, punkten“, sagt Hinz. Diese Unternehmen bieten Studierenden laut Hinz interessante Einstiege mit viel Verantwortung.
„Daneben haben aber auch die großen Flächenländer Bayern, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg als Industriestandorte mit gut ausgebauter Infrastruktur nach wie vor eine große Anziehungskraft auf die Studentinnen und Studenten in Deutschland. Angesichts der schwierigen Lage der deutschen Industrie könnte die Attraktivität der Industriehochburgen allerdings etwas nachlassen“, sagt Mielke. Interessant: Bayern führt bei Studierenden aller Fachrichtungen. 49 Prozent der Frauen und 56 Prozent der Männer sehen dort die besten Perspektiven. Bei Frauen folgt Berlin (40 Prozent), bei Männern Nordrhein-Westfalen (36 Prozent).