Wenn ständiges Funktionieren erschöpft – und der Körper streikt

Frau hält sich erschöpft den Kopf

Unsere Gesellschaft lobt die „Funktionierer“ – doch wer ständig liefert, brennt aus. Kathleen Kunze zeigt, wie wir dem Dauerstress entkommen und ein lebendiges, selbstbestimmtes Leben zurückgewinnen.

Im Fokus Überlebensmodus

Unsere Gesellschaft feiert die „Funktionierer“: Menschen, die zuverlässig liefern, Erwartungen erfüllen, immer verfügbar sind – und nie klagen. Sie halten Familien zusammen, Projekte am Laufen, Teams stabil. Doch der Preis ist hoch: chronische Erschöpfung, Schlaflosigkeit, Sinnverlust. Viele spüren es längst: Etwas in uns läuft heiß.

Kathleen Kunze nennt dieses Phänomen den Funktionsmodus – einen Zustand ständiger Aktivierung, in dem das Nervensystem nicht mehr abschalten kann. Ihr Buch „Raus aus dem Funktionsmodus – zurück zu dir“ ist kein Wohlfühlratgeber, sondern eine präzise Anleitung, um aus dem Dauer-Funktionieren zurück ins eigene Leben zu finden.

Wenn der Körper Nein sagt

Irrtümer und Mythen rund ums ArbeitsrechtKunze weiß, wovon sie spricht. Jahrzehntelang funktionierte sie selbst: als leistungsorientiert Mitarbeiterin, Mutter, Führungskraft. Bis ihr Körper stoppte – mit Panikattacken, Erschöpfung, Herzproblemen. Der Zusammenbruch wurde ihr Wendepunkt.

Sie zeigt, wie tief der Funktionsmodus in uns verwurzelt ist. Er ist kein Schwäche, sondern ein Überlebensstrategie des Nervensystems. Kinder, die früh lernen, dass Liebe und Sicherheit an Leistung gebunden sind, entwickeln innere Antreiber, Kritiker und Perfektionisten – Stimmen, die sie bis in Erwachsenenleben antreiben.

Ein Spiegel für alle

„Funktionieren ist Sympathikus-Aktivierung“, schreibt Kunze. Das Nervensystem bleibt im Alarmzustand, Adrenalin wird zur Normalität. Ruhe fühlt sich bedrohlich an, der Körper schaltet nicht mehr auf Regeneration. Was einst Stärke war – zuverlässig handeln, helfen, leisten – wird zum schleichenden Raubbau an der Gesundheit.

Im Buch begegnen wir den vielen Gesichtern des Funktionierens: Dem Pflichterfüller, der nie Nein sagt. Dem Kümmerer, der für andere lebt. Dem Erfolgreichen, der sich über Leistung definiert. Dem Selbstverbesserer, der selbst seine Erholung optimiert. Diese Typologie ist kein Schubladendenken, sondern ein Spiegel. Jede:r Leser:in erkennt sich irgendwo wieder – und versteht, wie das eigene Nervensystem Sicherheit über Leistung sucht.

Vom Funktionieren ins Fühlen

Der Ausstieg beginnt mit einem radikalen Schritt: erkennen, dass man funktioniert. Kunze führt Leser:innen durch praktische Experimente, etwa mit zwei Blättern Papier: „Ich funktioniere“ und „Ich fühle mich wohl und entspannt“. Wer sich darauf stellt, spürt den Unterschied sofort. Der Körper weiß, bevor der Kopf versteht.

Hier beginnt der Wandel: die Verbindung zu sich selbst. Kunze nutzt Methoden aus der Traumtherapie, somatische Achtsamkeit und bilaterale Stimulation („Butterfly Hug“), um das Nervensystem zu beruhigen. Es geht nicht um Disziplin, sondern um Regulation. Nicht um Optimierung, sondern um Sicherheit. Denn das Gegenteil von Funktionieren ist nicht Faulheit – es ist Lebendigkeit. Erst wenn das Nervensystem sich sicher fühlt, kann der Mensch Freude empfinden, Bedürfnisse wahrnehmen, Pausen zulassen.

Kunze beschreibt diesen Prozess als Reise:

  1. Verstehen, was dich ins Funktionieren treibt.
  2. Die inneren Antreiber und Glaubenssätze erkennen.
  3. Das Nervensystem regulieren – körperlich, nicht nur kognitiv.
  4. Neue Muster üben: Stopp sagen, atmen, fühlen.

Mit praktischen Tools, Reflexionsfragen und Übungen bleibt das Buch lebensnah und frei von esoterischem Überbau. Es übersetzt Psychologie in den Alltag.

Vom Hamsterrad zum Gleichgewicht

Kunzes Ansatz ist kein Aufruf zur Selbstaufgabe, sondern zur Balance. Sie unterscheidet zwischen funktionalem und dysfunktionalem Funktionieren. Funktional ist: handeln, wenn es nötig ist. Dysfunktional ist: handeln, weil man nicht anders kann.

Im Arbeitskontext bedeutet das: Leistung darf bleiben – aber nicht als Dauerzustand. Führungskräfte, die selbst permanent funktionieren, können keine gesunden Teams führen. Unternehmen, die Leistung ohne Regeneration fordern, riskieren Ausfälle, Fluktuation und Sinnkrisen.

Kunze liefert damit auch eine wirtschaftliche Botschaft: Regulierte Menschen sind produktiver, kreativer, empathischer. Wer sich sicher fühlt, denkt langfristiger, trifft bessere Entscheidungen, führt souveräner. Burnout-Prävention ist keine Fürsorge, sondern strategische Weitsicht.


Mehr zum Thema:


Der neue Erfolg: Sich(er) fühlen

Im letzten Teil des Buches lädt Kunze ein, das Leben wieder „bunt“ zu machen – ein Bild für Lebendigkeit nach Jahren in Grautönen. Sie fordert auf, Bedürfnisse zu entdecken, sich zu spüren, langsamer zu werden. Es geht nicht um Rückzug, sondern um einen anderen Modus des Daseins: bewusst, körperlich verankert, innerlich stabil.

Der Wandel, den Kunze beschreibt, ist kein schneller Prozess. Es ist ein Umlernen, ein neuronales Re-Wiring. Doch er ist machbar. Ihr eigener Weg belegt es. Aus der Frau, die rund um die Uhr arbeitete und Panikattacken bekam, wurde eine Therapeutin, die anderen hilft, ihr Nervensystem zu beruhigen.

Vom Funktionieren zum Leben:

– Am Anfang steht die Erschöpfung. Man wacht auf, noch vor dem Wecker, mit dem Gedanken: „Was muss ich heute alles schaffen?“ Der Tag ist getaktet, jede Minute verplant.

– Dann kommt der Körper. Erst Kopfschmerzen, dann Schlaflosigkeit, dann Angst. Der Körper sagt Nein – unmissverständlich.

– Und dann die Erkenntnis: Funktionieren ist keine Stärke mehr, sondern ein Gefängnis.

– Der Wendepunkt: ein Moment der Stille. Ein Atemzug. Ein Innehalten.

– Die Lösung: zurück in den Körper, zurück ins Fühlen. Schritt für Schritt. Mit jedem bewussten Nein, jedem tiefen Atemzug, jedem Tag, an dem man nicht mehr perfekt sein will.

– Am Ende steht ein anderes Leben: langsamer, echter, farbiger. Ein Leben, dass nicht auf Leistung basiert, sondern auf Verbindung.

Das Buch als Kompass für eine neue Arbeitskultur

„Raus aus dem Funktionsmodus – zurück zu dir“ ist mehr als ein Selbsthilfebuch. Es ist ein Plädoyer für eine gesellschaftliche Neuorientierung – von der Funktionslogik zur Lebenskultur. Kunze zeigt, dass wahre Stärke nicht im Durchhalten liegt, sondern im Loslassen. Nicht im Funktionieren, sondern im Spüren.

Für Führungskräfte, Coaches und Change-Begleiter bietet das Werk wertvolle Einsichten:

– Stressmanagement beginnt im Nervensystem, nicht im Kalender.

– Selbstmitgefühl ist keine Schwäche, sondern die Basis für Resilienz.

– Regeneration ist kein Luxus, sondern Voraussetzung für Leistung.

Kathleen Kunze liefert ein kraftvolles Plädoyer für eine neue Definition von Erfolg – eine, die Körper, Geist und Seele integriert. Denn nur wer sich sicher fühlt, kann frei handeln. Und nur wer aufhört zu funktionieren, kann anfangen zu leben.

Wir sind der Wandel-Newsletter

Sabine Hockling

Die Chefredakteurin Sabine Hockling hat WIR SIND DER WANDEL ins Leben gerufen. Die Wirtschaftsjournalistin und SPIEGEL-Bestsellerautorin beschäftigt sich seit über 20 Jahren mit den Veränderungen unserer Arbeitswelt. Als Autorin, Herausgeberin und Ghostwriterin veröffentlicht sie regelmäßig Sachbücher – seit 2023 in dem von ihr gegründeten DIE RATGEBER VERLAG.