Nach den Kriegsverbrechen in Butscha und anderen ukrainischen Städten will der Westen die Sanktionen weiter verschärfen. Doch was ist noch möglich?
Nach den Gräueltaten in der ukrainischen Stadt Butscha will der Westen weitere Sanktionen gegen Russland verhängen. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte am Sonntag weitere Strafmaßnahmen angekündigt. Auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron will die bisherigen Sanktionen verschärfen. Und der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell sagte am Montag in Brüssel, dass die EU-Staaten nun sehr schnell neue Sanktionen beschließen würden – es wäre das fünfte Sanktionspaket der EU. Morgen soll darüber beraten werden. Auch die USA, Kanada, die Schweiz, Großbritannien, Japan, Südkorea und Australien haben Sanktionen gegen Russland verhängt und diese seit Beginn des Angriffskriegs von Russland auf die Ukraine mehrfach verschärft.
Was also könnte jetzt noch kommen? Um das zu klären, lohnt sich der Blick auf die bisherigen Strafmaßnahmen. Dazu gehören neben der Sperrung des Luftraums umfangreiche Handelssanktionen, also Import- und Exportverbote. Russland soll es etwa unmöglich gemacht werden, seine Ölraffinerien zu modernisieren. Das Land soll nur noch sehr beschränkten Zugang zu wichtigen Technologien wie Halbleitern oder Software haben sowie kaum noch an Flugzeuge und Waffen kommen können. Zudem wurden zahlreiche russische Oligarchen sanktioniert, ihre Vermögenswerte eingefroren, Einreiseverbote erteilt. Am wichtigsten aber ist der Teilausschluss aus dem Banken- und Zahlungssystem SWIFT, der Ende Februar verhängt wurde. Es gilt als bisher schärfstes Sanktionsinstrument gegen Russland.
Viele noch in Russland tätige Unternehmen argumentieren mit enormen Einbußen
Doch ganz so scharf, wie immer wieder von der Politik angepriesen, sind die Maßnahmen bisher nicht. So sind Russlands Banken noch nicht vollkommen vom globalen Finanzsystem abgeschnitten. Und auch der Handel zwischen Russland und dem Westen ist bisher “nur” eingeschränkt – aber eben immer noch möglich. Mehrere hundert Unternehmen allein in Deutschland führen ihre Geschäfte mit Russland ungeachtet der Beschränkungen fort. Zum Beispiel der Konsumgüterkonzern Henkel, der trotz der nun bekannt gewordenen Gräueltaten an der ukrainische Zivilbevölkerung an seinem Russland-Geschäft festhält, wie der Konzern gestern mitteilte. Der Hersteller vom Klebestift Pritt und dem Waschmittel Persil beschäftigt rund 2.500 Menschen in Russland und sieht sich für diese nach eigenen Angaben verantwortlich, heißt es zur Erklärung. Bisher hat Henkel lediglich Investitionen sowie Werbe- und Sponsoringmaßnahmen gestoppt.
Bei Unternehmen wie diesen könnten Sanktionen ansetzen – was auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck bereits angekündigt hat. So sagte der Bundeswirtschaftsminister, dass man weitere russische Güter untersagen und weitere Exportverbote für Technologien und Konsumgüter verhängen könnte. Allerdings wird die Bundesregierung – und vor allem der Bundeskanzler und der Bundeswirtschaftsminister – nicht müde zu betonen, dass über die Sanktionen und deren Folgen gründlich abgewogen werden müsse. Viele noch in Russland tätige Unternehmen – wie eben Henkel – argumentieren mit enormen Einbußen, wegfallenden Arbeitsplätzen und damit, dass auch viele Jobs und das Geschäft in Deutschland gefährdet wären, müssten sie ihr Russlandgeschäft beenden.
Schlupflöcher schließen
Daher ist es wichtig, dass die bisherigen Schlupflöcher geschlossen werden. Das gilt auch und gerade für die Finanzsanktionen. Laut Habeck gebe es gerade hier “noch Umgehungstatbestände” und Potential zum Nachschärfen. Bei SWIFT könnten freilich noch weitere Stufen erfolgen. Denn ausgenommen sind bisher zum Beispiel die Gazprom-Bank und die größte russische Bank Sberbank, beide Banken sind wichtig für den Energiehandel mit Russland. Seit Freitag sind sie vielleicht noch wichtiger geworden, denn da trat ein Dekret in Kraft trat, das vorsieht, dass die Lieferungen für Energie in den Westen nun doch in Rubel bezahlt werden sollen. Seither zahlen Deutschland und weitere EU-Staaten zwar vertragsgemäß weiter in Euro oder US-Dollar, die Wertstellungen werden aber über ein Extra-Konto bei diesen Banken in Rubel umgewandelt, was indirekt zur Stabilisierung der russischen Währung beiträgt. Und der russische Präsident Wladimir Putin droht weiter mit einem Lieferstopp an “unfreundliche Staaten”. Doch der Ausschluss der bisher ausgenommenen russischen Banken von SWIFT käme in etwa einem Energieembargo gleich. Ein Schritt, den manche Stimmen wie die Grüne Marieluise Beck, fordert. Sie plädierte in der Sendung von Anne Will am Sonntagabend dafür, ein Embargo schnell und auf wenige Monate befristet zu erwägen. Denn das würde Russland nachhaltig destabilisieren, immerhin hängt 40 Prozent des russisschen Staatshaushalt von den Einnahmen aus dem Energiegeschäft mit dem Westen ab. Ein Embargo, gerade über die Sommermonate, wenn der Energiebedarf in Europa wegen der warmen Temperaturen nicht ganz so hoch ist, könnte insofern erheblichen Druck erzeugen.
Jedoch nicht nur hierzulande warnt vor allem die Industrie vor diesem Schritt. Deutschland ist immer noch zu 40 Prozent abhängig, vor allem vom russische Erdgas. Einige Industriesektoren, darunter die Chemie-, Nahrungsmittel- sowie Metall- und Stahlindustrie können nur einen Bruchteil ihres Bedarfs an russischen Erdgas kurzfristig substituieren. Ein enormer Wirtschaftseinbruch, Millionen von Arbeitsplätzen und letztlich erheblicher Wohlstand wären gefährdet. Ähnlich ist die Lage und Stimmung in Österreich, Bulgarien, Tschechien, der Slowakei und Ungarn. All diese EU-Länder sind bisher gegen ein Energieembargo. In Italien indes – das immerhin genauso stark abhängig ist wie die Bundesrepublik – ändert sich die politische Meinung gerade.
Angst vor dem Energieembargo
Betrachtet man hingegen nur die Abhängigkeit bei Öl und Kohle, zeigt sich etwas mehr Spielraum. Zum einen sind viele EU-Länder hier nicht so stark abhängig, zum anderen lassen sich diese fossilen Energien eher ersetzen. In Deutschland hat die Bundesregierung gerade die Eckpunkte für den Ausbau der Windenergie an Land vorgestellt. Gut möglich ist es daher, dass die EU zunächst daher den Blick aufs Öl richtet. Frankreichs Präsident Macron hat bereits ein Embargo nur für Kohl und Öl ins Spiel gebracht. Das wäre wirtschaftlich besser zu verkraften. Aber was, wenn Russland auf ein solches Embargo den Gashahn zudreht – oder aber die Lieferungen reduziert? Auch das will mitbedacht werden, wie etwa SPD-Vorsitzender Lars Klingbeil wiederholt betont.
Hierzulande hat man bereits erste Vorkehrungen getroffen. Die Bundesregierung hat gerade die Eckpunkte für den Ausbau der Windenergie an Land vorgestellt, Wirtschaftsminister Robert Habeck hat zudem alternative Bezugsquellen etwa in Katar gesichert. Im Bundeswirtschaftsministerium wurde nach Berichten des Handelsblatt auch schon vor Tagen durchgespielt, wie man die deutschen Töchter russischer Energiefirmen enteignen könne. Die Raffinerie im ostdeutschen Schwedt gehört etwa mehrheitlich einer Tochter des russischen Energiekonzerns Rosneft. Und die deutsche Tochter, Rosneft Deutschland, steht schon länger unter Beobachtung. Das Unternehmen war zuletzt unter Druck geraten.
Zwar sind russische Energieunternehmen bisher von den Sanktionen ausgenommen, spurlos geht der Krieg an ihnen aber nicht vorüber: Gazprom Germania und Rosneft Deutschland haben Probleme, neue Verträge in Deutschland abzuschließen. Bei Gazprom überschlugen sich am Montag die Ereignisse: Der Gazprom-Konzern hatte am Freitag angekündigt, seine deutsche Tochter aufzugeben. Diese betreibt über die Töchterunternehmen Wingas und Astora in Kassel Gashandel sowie den größten deutschen Erdgasspeicher in Rehden. Eigentlich hatte der russische Staatskonzern die deutsche Tochter an die russischen Unternehmen JSC Palmary und Gazprom export business services LLC (GPEBS) verkaufen wollen. Vielleicht ein Schachzug, möglichen Sanktionen vorzugreifen? Auf jeden Fall wird daraus zunächst nichts.
Deutsche Töchter russischer Energieunternehmen enteignen
Die Bundesregierung setzte gestern nämlich die Bundesnetzagentur als Treuhänderin für die deutsche Tochter ein. “Die Bundesregierung tut das Notwendige, um die Versorgungssicherheit in Deutschland zu gewährleisten. Dazu zählt auch, dass wir Energieinfrastrukturen in Deutschland nicht willkürlichen Entscheidungen des Kremls aussetzen”, so Wirtschaftsminister Habeck zu diesem Schritt. Er begründete die Entscheidung mit unklaren Rechtsverhältnissen und einem Verstoß gegen Meldevorschriften. Ziel sei es, die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Denn im Raum stand der Verdacht, dass Gazprom Germania seine Gasspeicher taktisch einsetzt und die Speicherstände niedrig hält, um die Engpasssituation zu verschärfen.
Im Falle einer solchen missbräuchlichen Verwendung der Gasspeicher ist unter Umständen auch eine Enteignung möglich. Eine Kanzlei soll das Bundeswirtschaftsministerium bereits dabei beraten haben, ein entsprechendes Gesetz auf den Weg zu bringen, berichtete das Handelsblatt unter Berufung auf Insider. Nun also ist das Unternehmen zunächst befristet bis zum 30. September 2022 in der Treuhandverwaltung der Bundesnetzagentur. Wie Russland darauf reagieren wird, bleibt abzuwarten. Denn freilich wird auch dieser Schritt nicht unbeantwortet bleiben.
Mittelfristig werden nur ein Energieembargo und ein kompletter SWIFT-Ausschluss etwas bringen
Denn freilich bleiben die Sanktionen des Westens in Russland nicht unbeantwortet. Russland hat seinerseits eine Vielzahl an Strafmaßnahmen erlassen. Erst gestern verschärfte das Land als Vergeltung die Einreisebestimmungen für Angehörige “unfreundlicher Länder”. Putin unterzeichnete ein Dekret, nach dem die bislang geltenden erleichterten Visa-Regeln für Bürgerinnen und Bürger aus dem Westen aufgehoben werden. Und auch auf diplomatischer Ebene war Russland aktiv und hat mehrere ausländische Diplomaten als angebliche Spione ausgewiesen. Die Bundesregierung zieht nach – am Montagabend kündigte Bundesaußenministerin Baerbock an, dass 40 russische Diplomaten zu “unerwünschten Personen” erklärt werden. Das kommt einer Ausweisung gleich. Doch mittelfristig werden wohl nur ein Energieembargo und ein kompletter SWIFT-Ausschluss etwas bringen. Es wäre schmerzhaft – aber immer noch besser, als wenn Russland diesen Schritt als Vergeltung geht und den Westen wieder einmal vorführt.